Fyn Hansow, Offensiv Hamburg
Zum
Zeitpunkt des Verfassens dieses Textes hat der Bundestag der Bereitstellung
eines Hilfspaketes von mehreren Hundert Milliarden Euro für die angeschlagene
deutsche Wirtschaft zugestimmt. Damit ist die Notfallregel der im Grundgesetz verankerten „Schuldenbremse“, die eine solche Neuverschuldung unmöglich machen
würde, in Kraft getreten. Zusammen mit der massiven Intensivierung der
Staatsanleihenkäufe der EZB, der Aussetzung der Defizitregeln durch die
EU-Kommission unter Ursula von der Leyen [1]
und der Reaktivierung des aus der Krise 2008/9 noch bekannten „Sonderfonds
Finanzmarktstabilisierung“ (Soffin), der Teilverstaatlichungen und staatliche
Ausfinanzierungen großer Unternehmen ermöglicht, schaltet die deutsche Politik im
rasenden Tempo und in historischen Ausmaßen auf Krisenmodus.
Hinter den aktuellen Maßnahmen steckt
eine Wirtschaftskrise
Der
Hintergrund dazu könnte kaum ernster sein. Zwei Wochen nach dem „Schwarzen
Montag“ vom 9. März [2] ist klar,
dass es sich nicht um einen kurzzeitigen Abschwung handelt. Der Dow Jones [3]
wies zeitweise Einbrüche von über 30% auf. Zwar konnte das Notfallpaket der
US-Regierung von 2 Billionen Dollar die Kurse beruhigen, aber es scheint klar,
dass es den Abwärtstrend nicht auf Dauer aufhalten kann. Das größte
Finanzinstitut der Welt, Goldman, hat seine Prognosen innerhalb weniger Wochen
mehrmals nach unten korrigiert und rechnet nun im zweiten Quartal mit einem
Rückgang des US-amerikanischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 24%. Die
Deutsche Bank prognostiziert dem chinesischen BIP sogar einen Einbruch um ganze
31,7%. In der Bundesrepublik sind sich die meisten bürgerlichen „Experten“
einig, dass der von Olaf Scholz erwartete Rückgang der deutschen Wirtschaft von
5% eher bis zu 9% betragen wird.
Sollten sich
diese Zahlen bewahrheiten, erwartet uns in Deutschland der größte
Wirtschaftseinbruch in Friedenszeiten seit 1930. Unvorstellbar, dass solche
Entwicklungen in den nächsten Jahren nicht das politische und soziale Leben von
Grund auf verändern werden.
Die müden Versuche
der Politik, diese massive Krise komplett dem Coronavirus anzulasten, können
uns nicht täuschen! In den letzten Wochen konnten wir beobachten, wie die
direkten Folgen der Epidemie (der Zusammenbruch der Nachfrage aufgrund der
Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die Verstopfung der Produktionsketten,
die stückweise Schließung der internationalen Handelszentren) auf ein bereits schwer
krankes kapitalistisches System getroffen sind. Auch als Corona „nur“ ein
kleines, lokales Virus in der chinesischen Provinz Hubei war, stagnierten schon
große Teile der Weltwirtschaft. Deutschland tauchte bereits 2019 praktisch wieder
in die Rezession ein.[4]
Die
wirtschaftliche Erholung des letzten Jahrzehnts ist vorbei. Gleichzeitig wurden
die Krisenursachen für die Krise 2007/8 nicht behoben, sondern vertieft: Die
weltweite Verschuldung beträgt der Financial Times zufolge einen Rekordwert von
250 Billionen Dollar und die Aktienkurse haben sich schon vor dem Crash völlig
von der stagnierenden Realwirtschaft losgelöst und historische Höhen
beschritten. Auch in Deutschland fand beispielsweise im Immobiliensektor eine
spektakuläre Blasenbildung statt. Laut der Schweizer Bank UBS ist München
derzeit die Stadt, deren Immobilienpreise weltweit am stärksten überbewertet
sind.[5]
Demgegenüber
stehen nur wenig produktive Investitionen – und das, obwohl Maßnahmen
Ankurbelung der Wirtschaft, wie die drastische Senkung der Leitzinsen und
„Billiggeld“ – in den letzten Monaten schon lange ausgeschöpft wurden.[6]
Die kommenden Wochen werden zeigen, welche Auswirkungen unter anderem die
Aussetzung der schwarzen Null nun hat – klar ist aber, dass die bürgerliche
Politik damit versucht ein Auto durch den TÜV zu bringen, dessen Motor massiv
Schaden genommen hat.
Die Krise
heißt Kapitalismus!
Im Zuge der
letzten Weltwirtschaftskrise haben bürgerlich-reformistische Ökonomen immer
wieder gefordert, die unmittelbaren Auslöser der Krise unter anderem in Form
von Finanztransaktionssteuern, Einschränkung der Spekulation usw. einzudämmen.
Doch die
Finanzialisierung der Wirtschaft und die mageren produktiven Investitionen sind
nichts anderes als der Ausdruck eines Kapitalismus, der alt, krank, und immer
weniger dazu in der Lage ist, die Produktivkräfte zu entwickeln. Auf das
Problem der Überproduktion einerseits trifft eine massive Überakkumulation von
Kapital – die Finanzwirtschaft dient als „Auspuff“ für Kapital, das in der
Realwirtschaft nicht profitabel genug angelegt werden kann. Diese Krisenursache
ist innerhalb des Kapitalismus nicht wegzureformieren.[7]
In den kommenden Tagen
werden wir eine Artikelreihe veröffentlichen, die sich mit den Ursachen der
modernen, kapitalistischen Krisen auseinandersetzt.
Wendepunkt
2020
2020 markiert den Beginn einer solchen Wirtschaftskrise,
in Europa und weltweit, ausgelöst durch die Corona-Epidemie. Diese Krise könnte
in einer Depression enden, die mit den Zuständen in den 1930er Jahren vor dem
Zweiten Weltkrieg vergleichbar ist.[8]
In den letzten Tagen wurde immer öfter der Vergleich mit
der Weltwirtschaftskrise von 1929 angestellt. In den 1930ern traf eine scharfe
Rezession auf die protektionistische Politik der US-Regierung und sich
ausbreitende Handelskonflikte, die Öl ins Feuer gossen und aus dem Abschwung
eine Depression machten. Die Wirtschaftskrise verwüstete die Welt für ein
ganzes Jahrzehnt und weltweit musste die Bourgeoisie zu außergewöhnlichen
Mitteln greifen, um ihr System zu stabilisieren: Vom New Deal in den
Vereinigten Staaten zu faschistischen Regimes in Europa. Es brauchte die
Zerstörung eines Weltkrieges, um die Überkapazitäten abzubauen und den Weg für
den Nachkriegsboom zu bereiten.
Auch heute befindet sich der weltweite Imperialismus in
einem direkten Konkurrenzkampf – diesmal zwischen den USA, die dominierende
Supermacht der letzten Jahrzehnte, und der Volksrepublik China. Aus diesem
Spannungsfeld konnten wir in den letzten Jahren die Umsetzung zahlreicher
protektionistischer Maßnahmen auf fast allen Erdteilen und den Aufstieg des ökonomischen
Nationalismus beobachten. [9]
Diese Tendenz wird durch die aktuellen Grenzschließungen und gegenseiteigen
Beschuldigungen im Kontext der Corona-Pandemie nochmals verschärft werden.[10]
Sie verhindert eine gemeinsame internationale Strategie gegen die Krise, wie es
sie noch 2008 gegeben hat. Deutschland steht, als eine der größten
Exportnationen weltweit und dominierende Macht der Europäischen Union, im
Zentrum dieses Sturms. Gerade für Deutschland wird der Protektionismus die
Krise vorerst nicht abmildern, sondern vertiefen.[11]
Die „Lockdowns“,
bestehend aus Massenschließungen von Geschäften und Ausgangssperren bzw. einem
Kontaktverbot in Deutschland, führen darüber hinaus zu einem gewaltigen Einbruch
der Nachfrage (von vielen Ökonomen bereits als „Nachfrageschock“ bezeichnet) in
den meisten Wirtschaftsbereichen, der eine Deflation (sinkende Preise,
steigender Wert des Geldes) am Horizont erkennen lässt. Unternehmen müssen
angesichts der niedrigen Nachfrage die Preise immer weiter senken, Käufe werden
in Erwartung dieser fallenden Preise herausgezögert, Bargeld wird immer mehr wert.
Investitionen werden rückläufig und, vor allem, Schulden werden teurer. Bei dem
gewaltigen internationalen Schuldenniveau braucht es nicht viel Fantasie, sich
die Folgen auszumalen. Die niedrigen Leitzinsen, die den Geldfluss ankurbeln
sollten, werden zur Todesfalle. Auf eine solche alptraumhafte Entwicklung
weisen sowohl die fallenden Gold- als auch Rohstoffpreise (vor allem Öl) hin,
normalerweise „Inflationstreiber“.
Die Rolle des Staates
In Krisenzeiten wird die Funktion des bürgerlichen Staates
als Wahrer der Interessen der herrschenden Klasse deutlich. Um ihr System zu
stabilisieren und die Gewinne der Kapitalisten zu garantieren, tritt die
Regierung mit „wirtschaftspolitischen Maßnahmen“ in den Vordergrund. Das ist,
was wir in Deutschland mit der Ausweitung der Kurzarbeit,[12]
den verhängten „Kontaktverboten“, während die Arbeit in den meisten Betrieben
fortgesetzt wird, den Kreditprogrammen der KfW und jetzt mit der Aussetzung der
Schuldenbremse sehen. Für Jahre war die „Schwarze Null“ das Argument
schlechthin gegen höhere Ausgaben für Soziales oder im öffentlichen Gesundheitswesen
(!), doch wenn die Gewinne der Kapitalisten in Gefahr sind, ist sie innerhalb
von wenigen Tagen vergessen.
Gleichzeitig greift die Bundesregierung zu staatskapitalistischen
Maßnahmen, die vor wenigen Wochen noch undenkbar gewesen wären: Jens Spahn
koordiniert mit stillgelegten Teilen der Autoindustrie die Produktion von
Schutzausrüstung, Peter
Altmaier und Olaf Scholz reden von der Möglichkeit der – zeitweisen –
Verstaatlichung geschwächter Unternehmen. Das gibt einen Ausblick darauf, was
uns erwartet, wenn die Krise tiefer wird: Aufrufe zu sozialem Zusammenhalt und
„Burgfrieden“ im Bundestag und im Fernsehen, Umbau zu einem „starken Staat“ mit
Konjunkturpaketen und zeitweise weitreichenden Eingriffen in die Wirtschaft und
im öffentlichen Leben. Deutschland ist im Kriegsmodus.
Arbeiterklasse
in die Offensive!
Doch wir haben solche Eingriffe zeitweiser
Teilverstaatlichungen usw. schon früher erlebt. Sie haben nichts gemein mit der
Form von Verstaatlichung, für die wir als Sozialisten kämpfen. Stattdessen haben
sie nur zum Ziel, Verluste in Krisenzeiten vergesellschaften, um Banken und
Konzernanteile in besseren Zeiten zu günstigeren Konditionen wieder zu privatisieren!
Wir haben schon in den letzten Monaten den Versuch der
Bosse gesehen, ihre Krise auf die Schultern der Arbeiterklasse abzuwälzen. Von
der Autoindustrie bis zu Airbus sollten schon vor dem Crash Tausende Stellen
abgebaut werden, ThyssenKrupp ist jetzt das erste Beispiel für
Stellenstreichungen in der „Corona-Krise“. Es wird nicht das letzte sein.
Millionen Arbeiter und Arbeiterinnen werden sich bei großen Lohneinbußen auf
Kurzarbeit einstellen müssen, in Hamburg will sogar ein Krankenhaus seine Angestellten
auf Kurzarbeit setzen!
Die Zugeständnisse der Regierung an uns, beispielsweise,
dass Mietern bei Lohnausfall vorerst nicht mehr gekündigt werden darf, sind
natürlich ein Fortschritt, aber gegenüber den gewaltigen Spenden an die
Chefetagen ein Witz.
Statt Gewerkschaftsführungen, die sich bereitwillig
gegenüber den Unternehmen und zufrieden über diese „Kompromisse“ zeigen,
brauchen wir eine echte Vertretung für unsere Interessen. Wir müssen uns in den
Betrieben und Gewerkschaften für eine kämpferische Kampagne einsetzen: Gegen
Lohnkürzungen und Kurzarbeit, für Erhalt
aller Arbeitsplätze und die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen gegen Corona,
sowie Produktionsstopp aller nicht versorgungsrelevanten Bereiche bei vollem
Lohnausgleich.
Wir müssen für jede Verbesserung unserer Lebens- und
Arbeitsbedingungen kämpfen, aber diesen Kampf mit einem grundsätzlichen
verbinden: den gegen die Ursachen der Krise, gegen den Kapitalismus.
Marxistische Organisation aufbauen!
Die heutige Wirtschafts- und Gesundheitskrise beweist:
Der Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem für die Profite statt für unsere
Bedürfnisse, und die bürgerlichen Politiker seine willfährigen Helfer.
Es hat nie eine bessere Zeit gegeben, sich mit den Ideen
und Methoden des Marxismus auseinanderzusetzen und selbst aktiv zu werden. Nur
eine marxistische Analyse erlaubt es, die Lügen, die Propaganda und das Chaos
um die Corona-Epidemie und die kommende Krise zu durchschauen und zu verstehen,
in wessen Interessen Politik gemacht wird.
Die Wirtschaftskrise darf nicht auf unseren Schultern
ausgetragen werden! Für eine endgültige Verstaatlichung der Großkonzerne und ihre
demokratische Kontrolle und Verwaltung durch die Beschäftigten; Wirtschaften
nach einem gesellschaftlichen Plan, nicht nach dem Profitstreben der
Kapitalisten! Entschädigungslose Enteignung der Banken und des Finanzkapitals!
Doch
um den gemeinsamen Kampf zu organisieren, braucht es eine starke, marxistische
Organisation. Bau diese mit uns auf und organisier dich in
der Marxistischen Organisation Offensiv!
[1] genau die Regeln, die in den Jahren der Troika und
Quadriga genutzt wurden, einen brutalen Sparkurs in Südeuropa durchzusetzen und
Teile der dortigen Wirtschaft zu Spottpreisen aufzukaufen
[3] Aktienindex der größten Volkswirtschaft der Welt, der
USA
[6] Siehe
dazu auch unseren Artikel „Rutscht Deutschland in die Krise“, Nov. 2019 https://offensiv-marxisten.blogspot.com/p/rutscht-deutschland-in-die-krise.html
International siehe „Rezession, Krise der Demokratie
und wiedererstarkende Klassenkämpfe, Sept. 2019 https://offensiv-marxisten.blogspot.com/p/blog-page_9.html
[7] Siehe
ebd.
[8] Für
unsere weltwirtschaftlichen Perspektiven siehe https://offensiv-marxisten.blogspot.com/p/weltwirtschaft-in-panik-victor-taibo.html