Wirtschaftsnationalismus und Handelskrieg. Kapitalismus am Abgrund

Bárbara Areal. Exekutivkomitee von Izquierda Revolucionara 
Erschienen am 07. Juni 2019 


Auch wenn zehn Jahre seit Ausbruch der Großen Rezession 2008 vergangen sind, war der Kapitalismus nicht bloß unfähig sein Gleichgewicht wiederherzustellen, sondern steuert auch auf eine möglicherweise katastrophale neue Phase zu.

Dieses bedrohliche Szenario zeichnet sich bei den Verhandlungen zwischen den beiden größten Weltmächten ab, die wegen ihrer ständigen Brüche und Versöhnungen immer mehr wie eine Seifenoper aussehen. Auf der einen Seite versetzt eine mögliche ökonomische Trennung die Hauptakteure des Konflikts in Schwindel, da sie einen Handelskrieg von enormen Ausmaßen und damit einen Zusammenbruch ähnlich dem in den 1930er-Jahren auslösen kann. Sekundäre Akteure wie die Europäische Union oder Institutionen wie der IWF versuchen sie davon zu überzeugen, diese Ideen fallenzulassen. Andererseits treibt die Möglichkeit die weltweite Vorherrschaft zu verlieren, den US-Imperialismus auf den Pfad des Wirtschaftsnationalismus, in der Hoffnung "Amerika wieder groß zu machen". Wenn die Drohungen der USA durchgesetzt werden, wird der chinesische Kapitalismus aufgrund der derzeit durchlebten innenpolitischen Schwierigkeiten zur Antwort gezwungen sein.

Zölle und Protektionismus

Die Verschärfung der Situation ist auf die Entscheidung der US-Regierung zurückzuführen, die Zölle auf eine Reihe von chinesischen Importen im Wert von rund 200 0000 Millionen Dollar um 25% zu erhöhen. China reagierte genauso auf eine Menge US-Importe im Wert von geschätzten rund 60 0000 Millionen Dollar.

Doch das letzte und bedeutendste Kapitel dieser Entwicklung waren die Ereignisse um den Telekommunikations-Giganten Huawei, dem Kronjuwel der technologischen Entwicklungen aus China, der durch eine Notstands-Verordnung der Trump-Regierung sanktioniert wurde, einer Verordnung, die ein Vetorecht über die "Besitztümer physischer oder juristischer Personen" einräumt, das auf alle "Designs, Entwicklungen, Produkte oder Produktteile" anzuwenden ist, die für den US-amerikanischen Markt bestimmt sind und ein "inakzeptables Risiko" für die nationale Sicherheit des Landes darstellen. 

Dieser Torpedo gegen Huawei's Auslandsgeschäfte wurde mit einer weiteren chinesischen Rakete beantwortet. Gao Feng, der handelspolitische Sprecher, hat das Erstellen einer "nicht vertrauenswürdigen Subjekte"-Liste angekündigt, mit denen es verboten wäre, Geschäfte zu machen. Die Verwendung von Militärbegriffen ist nicht übertrieben. Der Beginn einer protektionistischen Aktions- und Reaktionsspirale, die durch die Erhöhung der Zölle auf die Erhöhung der Preise für Importe aus Konkurrenzländern und das direkte Verbot von Handelsbeziehungen mit bestimmten Unternehmen angetrieben wird, ist wirtschaftlich gesehen eine Kriegserklärung. Diese Folgen können genauso oder noch verheerender sein als ein bewaffneter Konflikt.

Die USA verteidigen ihre Vormachtstellung

Ohne Trumps rüpelhafte Persönlichkeit oder seine Wahlambitionen zu ignorieren, wäre es ein Fehler, eine Perspektive auf der Grundlage dieses Faktors zu entwickeln. Der Marxismus negiert nicht die Rolle des Einzelnen, aber sein Genie oder seine Dummheit haben nur dann einen entscheidenden Einfluss, wenn er sich mit dem sozialen und wirtschaftlichen Kontext in Einklang befindet. Die Arroganz dieses Seifenoper-Cowboys spiegelt den Niedergang der US-Macht wider. Weite Wirtschaftsräume, von Asien über Afrika bis Lateinamerika, die historisch von den großen nordamerikanischen multinationalen Konzernen ausgebeutet wurden, stehen heute unter der Kontrolle des chinesischen Imperialismus. Es hat ein qualitativer Wandel in den internationalen Beziehungen stattgefunden, mit dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Folgen, die für den gegenwärtigen Kampf entscheidend sind.

Trump übertreibt nicht in Bezug auf den Handel. Das US-Handelsdefizit mit China hat im Jahr 2018 620 Milliarden Dollar überschritten. Das entspricht einem Anstieg von 23% gegenüber der Regierung Obamas. Der Abstieg der USA war konstant und unaufhaltsam. Auch wenn die Exporte der Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg 20% mehr als die der restlichen Welt zusammengenommen ausmachten, sind sie heute kleiner als ein Zehntel. Darüber hinaus hat sich der "stars and stripes"-Kolloss in eine gefährlich verschuldete Wirtschaft verwandelt, und sein größter Gläubiger ist niemand Geringeres als China. Dieser Abschwung hat noch nicht zu einem endgültigen Umschlagen von Quantität zu Qualität geführt, da die USA trotz ihrer Schwächen noch ihre Vormachtstellung als Weltmacht behaupten. Der Dollar ist nach wie vor die dominierende Währung im Handelsaustausch und ihre militärische Überlegenheit ist unbestritten. Aber hinter Trumps Reaktion verbirgt sich die Angst der US-Bourgeoisie, die darüber nachdenkt, zu handeln, bevor es zu spät ist.

Huawei in sein Fadenkreuz zu setzen, ist kein Zufall. Es ist ein hochmodernes Unternehmen, das in 170 Ländern tätig ist, 180.000 Mitarbeiter beschäftigt und ein Jahreseinkommen von mehr als 40.000 Millionen Euro hat. Darüber hinaus gehört es Ren Zhengfei - einem ehemaligen Militäroffizier, der ein Paradebeispiel für die kapitalistische Umwandlung der höheren Ränge der Bürokratie ist, die die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) dominiert.

Die sozialen und ideologischen Folgen der oben genannten Ereignisse sind von größter Bedeutung. Die Große Rezession hat die mächtige und konservative nordamerikanische Mittelschicht geschwächt, während sich der "amerikanische Traum" auflöst.  Die Ungleichheit erreicht neue Höhen und weckt das Massenbewusstsein.

Marxisten sind nicht die einzigen, die dies sagen: Nach Ansicht einiger bürgerlicher Analytiker, wie beispielsweise in der Santander Bank, ist eines der Probleme, mit denen die USA noch konfrontiert sind, die "ideologische Radikalisierung und Polarisierung"1, die sich in Phänomenen wie dem Anstieg der Unterstützung für Bernie Sanders und dem zunehmenden Zuspruch für die Ideen des Sozialismus zeigt, die jeden Tag bei den Jugendlichen in den USA immer beliebter werden.

China wird den Weltmarkt nicht aufgeben

Chinas nationale Industrie hat die Phase, in der sie nur minderwertige und schwach entwickelte technologische Waren produzieren konnte, vollständig überwunden. Jetzt schlägt eine ihrer Flaggschifffirmen das Wahrzeichen der amerikanischen Technologie: Apple. In den ersten Monaten diesen Jahres hat Huawei den multinationalen Konzern Apple vom zweiten Platz der meistverkauften Telefone weltweit verdrängt. Zwischen 2018 und dem ersten Quartal 2019 hat Samsung seine Führungsrolle beim Verkauf von Mobiltelefonen gehalten und ausgebaut und erreicht einen Marktanteil von 19%; Huawei ist auf den zweiten Platz mit einem Anteil von 14,3% gestiegen; während Apple sich auf den dritten Platz zurückgezogen hat, der von 11,1% auf 8,8% zurückgegangen ist.

Huawei zu blockieren bedeutet, im Mittelpunkt des strategischen Plans des chinesischen Regimes zu stehen, die Auswirkungen der Rezession 2008 zu bewältigen. Im Jahr 2015 kündigte die Pekinger Regierung mit viel Getöse das Made in China 2025 Programm an, mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Industrie gegenüber ihren westlichen Konkurrenten zu optimieren. Damit die chinesischen Waren überall auf der Welt ankommen, wurde Jahre zuvor mit dem Bau der "Seidenstraße" begonnen, einem vom asiatischen Riesen kontrollierten Verkehrsnetz, das 65 Länder - darunter verschiedene europäische Nationen wie Griechenland oder Italien - mit einem potenziellen Markt von über 4000 Millionen Menschen abdecken wird.

Der chinesische Kapitalismus bereitet sich seit Jahren auf die bevorstehenden schwierigen Zeiten vor, was sich auch im politischen Charakter seines Regimes widerspiegelt. Xi Jinping wurde als "Strongman" konsolidiert, der seine große Nation mit eiserner Hand regieren sollte. Zum ersten Mal seit Mao wurde ein neuer Paragraph in der Verfassung geschrieben, um "Xi Jinping's Gedanken über den Sozialismus mit chinesischen Merkmalen für eine neue Epoche" anzuerkennen. Offensichtlich ist im chinesischen Regime kein Sozialismus zu finden.

Darüber hinaus steht Chinas Wirtschaft trotz seines wirtschaftlichen Überschusses und seines Platzes als größter Exporteur der Welt vor tiefen Unruhen - der zweistellige Anstieg der BIP-Raten ist Teil einer immer weiter zurückliegenden Vergangenheit. Das BIP-Wachstum von 6,6% war 2018 der niedrigste Wert der letzten 30 Jahre. Die Verschuldung erreicht ein ähnliches Niveau wie der nordamerikanische Gegner und steigt von 140% des BIP im Jahr 2007 auf 260% im Jahr 2018. Die Sorgen um den Rückgang der Produktion und den damit verbundenen Anstieg der Arbeitslosigkeit haben zu einem neuen staatlichen Investitionsprogramm geführt, das in den nächsten Jahren 3 Milliarden Dollar erreichen wird.

Die 2008er Subprime-Wohnungsblasen haben nichts von der aktuellen Blase in China. Tatsächlich musste die Regierung ihren ursprünglichen Plan aufgeben, dieser Blase aus Angst vor einer Krise die Luft rauszulassen, bis zu dem Punkt, an dem die chinesischen Vertreter den Betrag der liquiden Kapitalreserven, den die Banken sicherstellen müssen, reduziert haben, indem sie die Steuern senken und die Kreditbedingungen entspannen.

Die chinesischen Führer sind außerdem vorsichtig mit den angesammelten sozialen Spannungen. In der letzten Zeit hat es einen deutlichen Anstieg von Streiks für höhere Löhne gegeben. Weite Schichten der Arbeiterklasse rebellieren gegen halb-sklavische Arbeitsbedingungen. Eines der letzten Beispiele war der Protest der Arbeiter im Technologiesektor "996.ICU", gegen den Werktag von 9 Uhr morgens bis 21 Uhr abends an sechs Tagen die Woche, was mentale und physische Erschöpfung hervorruft und die Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Intensivstation bringen kann. 

Die Adern des Kapitalismus sind verstopft

Aus historischer und internationaler Sicht durchläuft der Kapitalismus einen seiner kritischsten Momente. Seine materielle Basis wurde durch eine Überproduktionskrise und eine Verschuldung, die die wichtigsten Finanzadern blockieren kann, zum Erliegen gebracht.

Internationale Beziehungen sind zunehmend gezeichnet durch den Abbruch alter Vereinbarungen, was überall Chaos verursacht – dazu muss man sich nur die Folgen des Brexit ansehen.

Und in der Arena des Klassenkampfes erheben sich die Massen trotz der vergangenen Niederlagen und des Fehlens einer revolutionären Führung, die ihrem Geist entspricht, in jedem Land und bisher ist kein Anzeichen eines Waffenstillstands zu erkennen. Der arabische Frühling, der als tot und begraben gilt, blüht im Sudan und in Algerien wieder auf. Gleiches gilt für die Massenmobilisierungen in Lateinamerika, insbesondere in Brasilien und Argentinien gegen Bolsonaro und Macri.

Die kapitalistische Welt lebt weiterhin fort, aber sie hat tiefe und traumatische Veränderungen erlitten. Vor drei Jahrzehnten begann China seine Verwandlung in einen Motor des globalen Wachstums in einem Prozess, der mit der kapitalistischen Restauration und dem Tod der nach der Revolution von 1949 eingeführten Planwirtschaft gipfelte. Die stalinistische Bürokratie, die den Staat regiert, wurde Teil der neuen Bourgeoisie.

Etwas später verbarg Präsident Bill Clinton seine Aufregung nicht, als er Chinas Premierminister Zhu Rhongji traf: „Die Vereinigten Staaten unterstützen den Zugang der Volksrepublik China zur WTO ab 1999 ausdrücklich“.² Vor Kurzem jedoch änderte der nordamerikanische Kapitalismus seine Meinung drastisch und erklärte, dass die USA einen Fehler gemacht hätten, als sie den Beitritt Chinas zur WTO unterstützten.³

Mit dieser Situation konfrontiert könnten beide Supermächte ihre Ausrichtung auf einen wirtschaftlichen Nationalismus verstärken und einen offenen Handelskrieg beginnen.  Wenn dies geschieht, wird die Heilung schlimmer sein als die Krankheit. Weltmärkte sind wie ein lebendiger Organismus, und wenn man sie zerlegt, könnte es zu einer Katastrophe kommen. Trotzkis Behauptung, dass „...die Weltwirtschaft den nationalen Markt untergeordnet hat“,⁴ ist heute zutreffender denn je...

Der Handelskrieg zwischen den USA und China zieht sich durch die ganze Welt. Unternehmen aus allen Teilen der Welt - wie die deutsche Infcom Technologies, die japanische Panasonic und Toshiba, die britische ARM oder große Telekommunikationsunternehmen wie Vodafone- mussten sich für eine Seite entscheiden, und sie wählten Trump, obwohl sie auf sehr verlockende Geschäfte mit Huawei verzichten mussten.

Wir können uns nur fragen, was mit dem Preis der "Seltenen Erden" geschehen wird, der wertvollen Mineralien, die für fast jedes technologische Produkt unerlässlich sind, da China 83% der weltweiten Produktion kontrolliert. Aber die Auswirkungen dieses Krieges gehen über Telekommunikation und Informatik hinaus. Caterpillar, der Gigant der Industrieausrüstung, verlor 5% seines Wertes am Aktienmarkt aus Angst um seine 19 Fabriken in China, und Nike zittert aufgrund der Tatsache, dass 21% seiner Produktion dort stattfinden (mit 21% in Indonesien und den restlichen 47% in Vietnam).

Mehr als 170 Schuheinzelhändler haben folgenden Brief an Trump geschickt: „Als führende amerikanische Schuhfirmen, Marken und Einzelhändler mit Hunderttausenden von Mitarbeitern in den USA schreiben wir, um Sie zu bitten, Schuhe sofort von der neuesten Section 301-Liste zu entfernen, die vom Handelsvertreter der Vereinigten Staaten am 13. Mai 2019 veröffentlicht wurde. Der vorgeschlagene zusätzliche Tarif von 25 Prozent für Schuhe wäre katastrophal für unsere Verbraucher, unsere Unternehmen und die amerikanische Wirtschaft insgesamt.“ Auch die Börsen haben eine Meinung, und ihre Meinung kann wichtige Gegenreaktionen hervorrufen.

Der Marxismus sagt seit einiger Zeit, dass die Rückkehr zum ökonomischen Nationalismus Ausdruck der organischen Dekadenz des Kapitalismus ist: „Die Aufgabe, die Arena wirtschaftlicher und sozialer Beziehungen an die Entwicklungsschritte neuer Technologien anzupassen, wird auf den Kopf gestellt und erscheint als das Problem, Produktivkräfte zurückzuhalten und abzubauen, um sie an die alte nationale Begrenztheit und die alten sozialen Beziehungen anzupassen. [...] Der hochmoderne wirtschaftliche Nationalismus ist unwiderruflich durch dem ihm eigenen reaktionären Charakter zum Scheitern verurteilt; er verzögert und senkt die Produktivkräfte, die die Menschheit hervorgebracht hat.“

Wenn wir uns all die beeindruckenden Entwicklungen in Wissenschaft, Technologie, Verkehr und Großproduktion ansehen wird deutlich, dass all die Alpträumen von Ungleichheit, chronischer Arbeitslosigkeit, Armut, imperialistischem Krieg und Umweltzerstörung leicht beendet werden könnten, wenn die Produktivkräfte unter der demokratischen, harmonischen und kooperativen Kontrolle der Arbeiterklasse stünden. 


1.https://es.portal.santandertrade.com/analizar-mercados/estados-unidos/politica-y-economia

2. Siehe diepresse.com "USA: Chinas Aufnahme in die WTO war ein Fehler", 20.01.2018

3. "Neues Agrarabkommen unterzeichnet, das Chinas Weg zur WTO am 10. April 1999 eröffnet" El Mundo 

4. Leo Trotzki: "Nationalism and Economic Life"

5. Leo Trotzki: "Nationalism and Economic Life"