Welche Auswirkungen hat die aktuelle Krise auf die Beziehungen zwischen den imperialistischen Mächten?


Vincent Schwarz, Marxistische Organisation Offensiv

Die Ausbreitung des Corona-Virus hat viele Regierungen weltweit kalt erwischt. Sie haben es versäumt, frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen und sehen sich nun gezwungen, das öffentliche Leben stark einzuschränken oder, wie aktuell in Italien, Spanien und Frankreich, komplett zu unterbinden, damit das Gesundheitssystem nicht völlig zusammenbricht. Das hat dramatische Folgen für die Weltwirtschaft, die keine der imperialistischen Mächte unverschont lassen. Trotzdem sind nicht alle in gleichem Maße betroffen. Obwohl das Virus in China ausgebrochen ist, werden Europa und die USA wohl deutlich mehr Schaden davontragen als Asien. Der Grund ist einfach: viele asiatische Staaten waren durch ihre Erfahrungen mit Epidemien aus den letzten 20 Jahren auf einen solchen Fall vorbereitet und konnten die Fallzahlen relativ niedrig halten. Auch in China sind die (offiziellen) Infiziertenzahlen mittlerweile rückläufig.

In Europa werden dagegen täglich tausende neue Fälle bestätigt und täglich neue Einschränkungen bis hin zu Ausgangssperren verhängt. Es geht nicht mehr darum, die Verbreitung des Virus aufzuhalten, sondern sie zu verlangsamen. Dieser Prozess wird wohl mehrere Monate dauern, es werden bereits für den Sommer geplante Veranstaltungen abgesagt. Auch die USA erleben in den letzten Tagen einen rasanten Anstieg der bestätigten Infektionen und Todesfälle. Die wegen des schlechten Gesundheitssystems ohnehin prekäre Situation wurde noch dadurch verschärft, dass Trump an das neue Virus zunächst so wenig geglaubt hat wie an den Klimawandel. Der „Westen“ wird nicht nur wirtschaftlich voraussichtlich stärker leiden als andere, er muss sich auch die Blöße geben, auf medizinische Hilfe ausgerechnet aus Kuba und China zurückgreifen zu müssen. Die Tendenz zum Niedergang des westlichen Kapitalismus bekommt durch die Corona-Krise eine neue Dynamik. Dazu kommt, dass es in Krisenzeiten allgemein eine Tendenz zum Protektionismus bzw. wirtschaftlicher Kriegsführung gibt, um die eigenen Konzerne zu schützen und die Kosten der Krise so weit wie möglich auf andere abzuwälzen. Solche Maßnahmen könnten die Weltwirtschaft noch tiefer in den Abgrund reißen. [siehe https://offensiv-marxisten.blogspot.com/2020/03/wirtschaft-corona-krise-trifft-die.html]

Das Coronavirus ist zwar der Auslöser, aber nicht die Ursache für die Wirtschaftskrise oder die interimperialistischen Konflikte. Diese liegen in der massiven Überakkumulation von Kapital und der Verschiebung der globalen Kräfteverhältnisse durch den Niedergang des „Westens“ und den Aufstieg Asiens (vor allem Chinas) sowie den Versuch, insbesondere der USA, diese Entwicklung zu stoppen. [Link zum Imperialismus-Artikel] Das Virus kommt dabei natürlich allen Parteien gelegen, um aus der Krise des Kapitalismus eine „Corona-Krise“ zu machen, in der Bevölkerung Angst und Rassismus zu schüren und protektionistische oder aggressive Maßnahmen zu begründen. Ganz aktuell finden diese Tendenzen zu verstärkten Konflikten zwischen den imperialistischen Mächten ihren Ausdruck einerseits in gegenseitigen Anschuldigungen. Trump spricht vom „ausländischen Virus“ aus China und hat ohne Absprache einen Einreisestopp für Europäer verhängt, weil „Europa nicht genug im Kampf gegen das Virus getan hat“. Währenddessen behauptet die chinesische Regierung, das Virus käme eigentlich aus den USA.

Andererseits kommt es auch zu handfesten Konflikten: Die OPEC-Staaten und Russland konnten sich trotz verringerter Nachfrage nicht auf eine gemeinsame Reduzierung der Erdöl-Fördermenge einigen, woraufhin der Ölpreis um etwa 30% eingebrochen war. Saudi-Arabien ist in der Krise auf hohe Ölexporte zur Staatsfinanzierung angewiesen und Russland dürfte sich zumindest darüber freuen, dass die relativ teure Fracking-Methode, mit der die USA zum weltweit größten Ölexporteur geworden ist, unrentabel wird. Gleichzeitig hat dieser Preiseinbruch katastrophale Folgen für Länder wie Venezuela, die vom Ölexport abhängig sind, aber höhere Förderkosten haben als Saudi-Arabien. Ein anderes Beispiel ist der Streit um den Impfstoff, an dem gerade von einer deutschen Firma in Tübingen geforscht wird und den Trump sich Berichten zufolge durch das Aufkaufen der Firma oder die Abwerbung von Wissenschaftlern exklusiv für die USA sichern wollte. Ein weiterer Beleg dafür, dass die alten Allianzen immer mehr aufbrechen und der „Westen“ auch in der öffentlichen Kommunikation zum Zweckbündnis verkommt.

Gleichzeitig ist die EU nicht zu einem gemeinsamen Krisenmanagement in der Lage, der Einreisestopp für Nicht-EU-Bürger ist bislang die einzige gemeinsame Maßnahme. Es werden mittlerweile täglich, teilweise fast stündlich, neue Grenzen auch innerhalb der EU geschlossen, alles in Eigenregie der Nationalstaaten. Auch über die Maßnahmen im eigenen Land entscheidet jede Regierung selbst. Auf der anderen Seite wird die Krise erneut zu einem massiven Anstieg der Staatsverschuldung führen, auf den die Länder wegen der EU nicht mit einer eigenen Geldpolitik reagieren können. Die EZB kann ungleich betroffene Länder nur gleich behandeln und damit die Ungleichgewichte noch verstärken. Das Euro-Regime ist mit seinen bisherigen Regeln nicht mehr lebensfähig. Eine Reform wird erneut zu enormen sozialen Verwerfungen führen und die Legitimität der EU noch stärker infrage stellen.

Wir müssen uns auf eine Zunahme von Konflikten einstellen, sowohl zwischen den Klassen eines jeden Landes als auch zwischen den Herrschenden der verschiedenen Staaten. In dieser Situation muss das weltweite Proletariat zusammenstehen, um seine existenziellen Interessen zu verteidigen, zuallererst gegen die herrschende Klasse im eigenen Land. Einen Vorschlag dazu, wie das in Deutschland aussehen kann, findet ihr in unserem Sofortprogramm: