„Prostitution zerstört
Gleichheit, Solidarität und Kameradschaft zwischen den beiden Hälften der
Arbeiterklasse. Ein Mann, der die Gunst einer Frau kauft, sieht sie nicht als
Gefährtin oder als gleichberechtigte Person. (…) Seine Verachtung für die
Prostituierte, deren Gefälligkeiten er gekauft hat, beeinflusst seine
Einstellung zu allen Frauen. Die Entwicklung der Prostitution stärkt, anstatt
das Wachstum von Gefühlen der Kameradschaft und Solidarität zu ermöglichen, die
Ungleichheit der Beziehungen zwischen den Geschlechtern.“ – Alexandra Kollontai
Sofia Cazel, Exekutivkomitee von Esquerda Revolucionária
(Schwesterorganisation von Offensiv in Portugal)
Veröffentlicht auf Portugiesisch am 25. Juli 2019
Die materiellen
Grundlagen
Weit davon entfernt,
der „älteste Beruf der Welt“ zu sein, ist die Prostitution stattdessen mit dem
Privateigentum, der Spaltung der Gesellschaft in soziale Klassen und einer
ausreichenden Entwicklung des Waren- und Geldverkehrs entstanden. Im 19.
Jahrhundert hat die Entwicklung der kapitalistischen Industrieproduktion eine
große Masse von Frauen unter Bedingungen extremer Unsicherheit und Armut in die
Städte vertrieben und diese gezwungen, zum Überleben nicht nur ihre
Arbeitskraft, sondern auch ihre eigenen Körper zu verkaufen. Die Prostitution
etablierte sich als riesige Institution. Sie erscheint als das verborgene
Gesicht der bürgerlichen, monogamen Familie: Während Frauen streng zur
sexuellen Freiheit gezwungen werden – um den erblichen Übergang von Eigentum zu
gewährleisten –, erhalten Männer völlige Freiheit, Frauen zu benutzen.
Das sind, kurz gesagt,
die historischen Ursprünge eines der lukrativsten Unternehmen der Welt – der
Sexsklaverei. Seit seiner Etablierung ist dieses Geschäft wiederrum ein
grundlegender Bestandteil der wirtschaftlichen Basis des Machismo, der
sich in allen Formen der Gewalt gegen Frauen materialisiert: Objektivierung,
Belästigung, Vergewaltigung, Femizide.
Die bürgerlichen
„Lösungen“
Im Angesicht der
brutalen Realität des Verkaufs von Frauen und Kindern auf globaler Ebene hat
die Bourgeoisie in erster Linie vor allem ihre Moral bestätigt; Sie hat die
Prostitution als tragisches Spiegelbild der menschlichen Natur verurteilt, als
Verderbtheit von „Familienwerten“, den Kapitalismus von Schuld freigesprochen
und Prostituierte als krank und kriminell beschuldigt, als Frauen, die sich für
ein „einfaches Leben“ entschieden haben, während sie gleichzeitig anhaltende
Arbeitslosigkeit, miserable Löhne und Lebensbedingungen, Abhängigkeit von der
Familie und alles andere, was Frauen zur Prostitution verurteilt, durchgesetzt
haben.
Als herrschende Klasse
ist die Bourgeoisie nur in der Lage, Lösungen zu präsentieren, die ihr System
nicht gefährden. Die erste ist die Kriminalisierung von Prostituierten. Was
diese Maßnahme wirklich bezweckt, ist die Unterdrückung und Verfolgung armer
Frauen und der schwächsten Teile der Arbeiterklasse, wie Migrantinnen oder
Trans-Frauen. Marxisten stellen sich kompromisslos gegen die Kriminalisierung
und Verfolgung armer Frauen.
Aber in dieser Zeit des
organischen Zerfalls des Kapitalismus sucht das Bürgertum nach neuen
Profitmöglichkeiten und einige von ihnen sehen die Legalisierung der
Prostitution in Kombination mit einer wachsenden Anzahl an Frauen, die Opfer
von Prekarisierung und Austerität werden, als Chance. Gleichzeitig ist die
Legalisierung eine politische Antwort. Angesichts des Aufstiegs des
Klassenkampfes und des feministischen Kampfes kann die Bourgeoisie nicht nur
Repression anwenden. Die Legalisierung der Prostitution bedeutet für die
Bourgeoisie in der Tat einen ideologischen Triumph: einen Schritt weiter in der
Trivialisierung des Kaufs und Verkaufs armer Frauen.
Es ist kein Zufall,
dass das Legalisierungsprogramm, das Prostituierte als Dienstleister und die
Zuhältermafia als Arbeitgeber maskiert, gerade jetzt vom kleinbürgerlichen
Feminismus auch in Portugal übernommen und gefördert wird, parallel zum
ungezügelten Wachstum des Tourismus. Wie immer funktioniert die
kleinbürgerliche Linke als Injektionspunkt der bürgerlichen Ideologie in die
Arbeiterklasse. Die aktivsten Förderer der Legalisierung von Zuhältern sind oft
gerade in der Sexindustrie als Unternehmer und Grundbesitzer tätig oder haben
die Aussicht, dies durch eine Legalisierung zu werden. Dazu zählen sogar
Frauen, die ihren Körper selbstständig verkaufen oder ein eigenes Unternehmen
haben (einige sind sogar Zuhälter). Diese Gruppe ist zahlenmäßig unbedeutend,
genießt eine viel größere Kontrolle über ihr Leben und stellt die Prostitution
als „empowernden“ Beruf dar, während ihr arme Frauen, die im
Prostitutionssystem gehandelt und versklavt werden, völlig gleichgültig sind.
Die Befürwortung der
Legalisierung mit dem Ziel einer Versbesserung der Bedingungen der Prostitution
bedeutet jedoch, den Charakter nicht nur der Prostitution selbst sondern auch
des bürgerlichen Staates an sich vollkommen zu ignorieren. Eine solche
Befürwortung verteidigt letztlich die Aufrechterhaltung der sexuellen Sklaverei
unter „besseren Bedingungen“; Sie hält an Illusionen fest, dass der bürgerliche
Staat zugunsten prostituierter Frauen und gegen Zuhälter eingreifen würde, wo
dieser aufgrund seiner Natur immer zugunsten der Arbeitgeber handelt.
Es ist der Höhepunkt
des kleinbürgerlichen Idealismus zu denken, dass die Gewalt eines Unternehmens,
das aus der Inhaftierung und systematischen Vergewaltigung von Frauen Profit
zieht, per Dekret aufgehoben werden kann. Die Prostitution kann nur in ihrer
Beziehung zum Menschenhandel und zum Großkapital verstanden und darf in keiner
Weise von ihren Auswirkungen auf den sozialen Überbau, d.h. auf Kultur und
Ideologie, von ihrer Stärkung von Frauenfeindlichkeit und der Gewalt an Frauen
getrennt werden.
Die Legalisierung in
Deutschland hat dies bereits zweifelsfrei mit dem Fall von Jürgen Rudloff
bewiesen. Der selbsternannte „König der Bordelle“, der wegen Beteiligung am
Menschenhandel, Zwangsprostitution und Betrugs verhaftet wurde, sitzt heute
eine lächerliche Strafe von fünf Jahren ab. In Rudloffs Bordellen, die wie
Tausend andere in ganz Deutschland funktionieren, kamen Frauen über
internationale Schlepperorganisationen an, wurden inhaftiert, zur Prostitution
gezwungen und geschlagen, wenn sie die von Zuhältern bestimmte Anzahl von
„Kunden“ nicht „bedienen“ konnten. Nach den Worten einer dieser Frauen wurden
sie „wie Tiere behandelt“.
Die Prostitution bleibt
nach der Legalisierung genau gleich. Alles, was sich ändert, sind die Ausmaße:
Es gibt mehr Kunden, mehr und größere Bordelle… und vervielfachte Gewinne für
die sklaventreibenden Zuhälter.
Ein wachsendes Problem
In Portugal sind
derzeit 56% der Frauen in der Prostitution Ausländerinnen. Die Mehrheit davon
sind Frauen aus Brasilien, den PALOP-Ländern oder aus Osteuropa. Viele kommen
durch Menschenhandel ins Land. Diese Realität ist in allen europäischen Ländern
verbreitet – in Deutschland liegt der Prozentsatz sogar bei 85%! Das zeigt die
enge Verbindung zwischen Neokolonialismus, Rassismus und Prostitution.
Die Folgen der Krise
und der Sparpolitik für die Prostitution in Portugal zeigen einmal mehr ihren
direkten Zusammenhang mit der Armut. Die Prostitution nimmt im Land weiter zu,
heute noch mehr als in der Troika-Zeit. Der exorbitante Mietpreis, der elende
Mindestlohn und die Zerstörung der öffentlichen Dienstleistungen treiben immer
mehr Frauen in die Prostitution, zunehmend in neuen Formen.
Eine dieser neuen
Formen ist der Weg, den Vermieter gefunden haben, um spekulative Mieten und die
Armut von Tausenden Frauen auszunutzen. In Lissabon und Porto können Frauen
Zimmer „mieten“ und dafür „intime Gefälligkeiten“ erhalten! Großgrundbesitzer
verwandeln ihre Immobilien in echte Bordelle – es gibt Wohnungen im Zentrum von
Lissabon, für die Frauen exorbitante Mieten zahlen und gezwungen werden,
„Kunden“ zuhause zu empfangen, in einem vom Hausbesitzer festgelegten Tempo.
Eine andere neue Form
sind die aufkommenden Anwendungen für Online-Prostitution. Auf der Website
einer dieser Plattformen können wir Dinge wie „dies ist eine Plattform
übergreifende Anwendung von Kontaktanzeigen, die Dienstleistungen in ihrem
geographischen Gebiet anbieten“ oder sogar „es gibt zwei Akteure auf der
Plattform: die Kunden – als Nutzer – und die Dienstleister - als Frucht“ lesen.
Natürlich hätte die
Legalisierung der Prostitution in Portugal genau die gleichen Auswirkungen wie
in Deutschland, mit dem erschwerenden Faktor, das Portugal ein Zielort des
Sextourismus werden würde.
Die Klassenposition:
Abolitionismus
Esquerda Revolucionária
(Schwesterorganisation von Offensiv in Portugal) führt einen bewussten Kampf
gegen die Prostitution und ihre ideologischen Folgen in der Arbeiterklasse.
Dies ist nur mit der Zerstörung ihrer materiellen Grundlagen möglich. Dafür
sind die Stärke und Organisation unserer Klasse, der Arbeiterklasse, nötig, die
die einzige Klasse ist, die kein Interesse an Prostitution und
Frauenunterdrückung hat, kein Interesse daran, die
Hälfte ihrer Stärke patriarchaler Unterdrückung zu unterwerfen.
Es gibt keine Boote und
keine Lastwagen, die versklavte Frauen befördern, ohne dass Lohnarbeiter für
ihren Betrieb notwendig sind. Es gibt keinen Container, der ohne die Hand der
Arbeiter entladen wird. Das Proletariat ist die einzige Klasse, die in der Lage
ist, der Prostitution ein für allemal ein Ende zu setzen: indem sie sich
organisiert und Vollbeschäftigung, freies Wohnen, Gesundheit und Bildung
erkämpft, dem Kapitalismus ein Ende setzt und eine Gesellschaft aufbaut, in der
keine Frau als Ware behandelt wird; eine sozialistische Gesellschaft.