von Katharina Doll, Offensiv Hamburg veröffentlicht in gekürzter
fassung zuerst im Januar 2019 in "Sozialismus Info", dem Theoriemagazin der "Sozialistischen Alternative" (SAV).
Paramilitärische (hier bayerische) Freikorps bilden den Stoßtrupp der Konterrevolution |
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Was in den Schulbüchern und im allgemeinen Sprachgebrauch als „Novemberrevolution“ bezeichnet wird, war Teil einer über Jahre anhaltenden Phase revolutionärer Massenbewegungen und Aufstände auf der einen, und reaktionärer Gegenschläge auf der anderen Seite. Nachdem im November 1918 die Auseinandersetzung zwischen Rätemacht und bürgerlicher Regierung vorerst zugunsten einer bürgerlichen Herrschaftsform ausgegangen war, kam es zu einer Reihe von wichtigen Auseinandersetzungen im Dezember 1918 und Januar 1919.
Was in den Schulbüchern und im allgemeinen Sprachgebrauch als „Novemberrevolution“ bezeichnet wird, war Teil einer über Jahre anhaltenden Phase revolutionärer Massenbewegungen und Aufstände auf der einen, und reaktionärer Gegenschläge auf der anderen Seite. Nachdem im November 1918 die Auseinandersetzung zwischen Rätemacht und bürgerlicher Regierung vorerst zugunsten einer bürgerlichen Herrschaftsform ausgegangen war, kam es zu einer Reihe von wichtigen Auseinandersetzungen im Dezember 1918 und Januar 1919.
Zur Vorgeschichte
Im November 1918 hatte die deutsche Arbeiterklasse die
Erfahrung gemacht, dass sie in vereinter und massenhafter Aktion die Machtfrage
in Deutschland entscheidend beeinflussen konnte. Doch auch wenn die Massen
bereit waren, nun auch die kapitalistische Herrschaft zu stürzen und die Macht
in die eigenen Hände zu nehmen, war die Frage nach Führung und Programm der
Revolution ungeklärt. Es entwickelte sich eine Doppelmacht zwischen dem
Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte und dem Rat der Volksbeauftragten
(Ansatz einer bürgerlichen Regierung).
Die Position der sozialistischen Kräfte um Rosa Luxemburg,
Clara Zetkin und anderer war vor allem mangels einer starken, eigenständigen
Organisationsstruktur geschwächt. In der SPD hatten sie vor 1914 darauf
verzichtet, sich der Bürokratisierung des Apparates organisiert
entgegenzustellen. Zum einen lag das wohl daran, dass die Parteiführer, die
später Partei und Revolution schändlich verraten sollten, oft auf einen offenen
ideologischen Konflikt verzichteten und sich stattdessen darauf konzentrierten,
durch Taten Fakten zu schaffen. So kommt es auch heute bei einigen
reformistischen Führungsfiguren politisch linker Parteien vor. Auch herrschte
wegen dem Massencharakter der SPD unter einer Reihe deutscher Sozialisten die
Vorstellung, die Partei sei nicht Führung der Klasse, sondern „Bewegung der
Klasse“ selbst.[1] Ihr gegenüber wollte man
sich nicht isolieren.
Nach dem Verrat der SPD-Führung 1914 war die Parteilinke um
Rosa Luxemburg wie paralysiert. Erste oppositionelle Treffen fanden in kleinem
Kreis eher provisorisch organisiert statt. Die Gründung der USPD war kein
eigenständiger Akt revolutionärer Kräfte der deutschen Sozialdemokratie, sondern
das Produkt dessen, dass die Parteiführung auch gemäßigte, zentristische
Kriegsgegner ausschloss. Rosa Luxemburg und die Spartakisten schlossen sich
entgegen der Haltung anderer radikaler Linker der USPD an.[2] Auch dort befanden sie
sich nun in der Minderheit.
In der Auseinandersetzung mit den rechten Kräften der
SPD-Führung reichte dieses Maß an Einfluss nicht aus. Die Masse der
Arbeiterklasse war verwirrt: vor ihnen stand eine Reihe sozialdemokratischer Führer,
die alle von der sozialistischen Revolution redeten, doch deren Differenzen von
der breiten Bevölkerung oft in der nun angeschlagenen Geschwindigkeit nicht
nachvollzogen wurden.[3] So
waren die Kräfte, die eine Räteherrschaft in Deutschland wollten, im
entscheidenden Moment unterlegen. Es kam zum Eintritt der USPD in eine
gemeinsame Regierung mit der SPD.
USPD und
Spartakusbund
Gerade der Regierungseintritt und die unentschlossene
Haltung der Mehrheit ihrer Repräsentant*innen führten in der USPD zu immer
härteren Differenzen. Der Spartakusbund war die stärkste sozialistische Kraft
links von der USPD-Führung, doch ähnlich wie in der SPD verzichtete seine Führung auf eine größer angelegte organisierte
Fraktionsarbeit in der USPD und (besonders wichtig!) den Arbeiter- und Soldatenräten
selbst.[4] Ihre Arbeit konzentrierte
sich auf die Veröffentlichungen der Roten
Fahne und Agitation bei Treffen und Demonstrationen.
Der Spartakusbund war keine gewachsene Arbeiterpartei,
sondern ein Zusammenschluss revolutionärer Zirkel, die sich 1918 in ganz
Deutschland gebildet hatten.[5]
Politisch vereinten sich darin unterschiedliche Strömungen – von proletarischen
Kräften bis zu idealistischen Pazifisten, militanten Ultralinken und
deklassierten Teilen der Arbeiterklasse. Die spezifische Zusammensetzung des
Spartakusbundes führte zu weitgehenden taktischen Uneinigkeiten. So gab es
keine Einigkeit zur Teilnahme an Wahlen, die Mehrheit sprach sich bald für
einen Wahlboykott aus. Manche Lokalstrukturen riefen Arbeiter sogar dazu
auf, ihre alten Gewerkschaften zu verlassen!
Auch nach den Niederlagen im November glaubte die Mehrheit
des Spartakusbundes, dass entschiedene Aktionen ausreichen würden, um die
bürgerliche Regierung zu stürzen. Nicht in der Lage, die Arbeiterbewegung
mithilfe einer breiten Arbeiterpartei zu führen, hoffte man auf die
„Spontanität der Massen“, deren Proteste man organisierte und durch Reden
starker Agitatoren wie Karl Liebknecht beeinflussen wollte. Mangels Kontrolle
über die so einberufenen Demonstrationen kam es dort immer wieder zu
gewaltsamen Zusammenstößen und Ausschreitungen, angeführt von deklassierten
Teilen der Arbeiterklasse.[6]
Eberts Blutweihnacht
Trotz aller politischen Unklarheiten waren
rätesozialistische Positionen und eine zunehmend harte Kritik der Regierungsbeteiligung
der USPD unter den bewusstesten Schichten der Arbeiterklasse verbreitet. Das
galt besonders auch für Teile der Berliner Arbeiterschaft, die einen hohen
Organisationsgrad hatte, eine revolutionäre Führung und viele wichtige Phasen
der Revolution (wie die Januarstreiks im Vorjahr) selbst durchlebt hatte. Unter
ihnen fanden die Positionen des Spartakusbundes mehr Gehör.
Parallel dazu verschärften sich die Konflikte um die
militärische Vormacht in der Hauptstadt. Am 6. Dezember schossen Unterstützer
des Berliner Stadtkommandanten Otto Wels (SPD) auf eine Demonstration des Roten
Soldatenbundes, 14 Menschen wurden getötet. Hunderttausende beteiligten sich in
den Folgetagen an Demonstrationen.
Am 12. Dezember versuchte die Regierung die während der
Novemberrevolution gebildete Volksmarinedivision, die im Berliner Stadtschloss
untergebracht war, zu räumen. Die Division verweigerte sich. Nach einem
Erpressungsversuch durch die Einbehaltung des Solds marschierte sie am 23. Dezember
zur Stadtkommandantur, setzte die Regierung fest, brachte die Telefonzentrale
unter ihre Kontrolle und warf den „blutigen Wels“ als Geisel in den Marstall.
Ein von Friedrich Ebert in Zusammenarbeit mit Generalstabsoffizier Waldemar
Pabst organisierter militärischer Angriff auf den Marstall am 24. Dezember
endete auch deshalb in einer blutigen Niederlage für die Reaktionäre, weil
einige ihrer Soldaten sich nach Ansprache der Revolutionäre weigerten, die
Truppen des Volkes zu bekämpfen.
Mehr als 60 Menschen starben in den Kämpfen um Stadtschloss
und Marstall. Das blutige Vorgehen der Führer der Mehrheitssozialdemokratie
entblößte sie als das, was sie waren: ein Haufen Konterrevolutionäre und
Verräter. Auch brachten sie die Verwundbarkeit der bürgerlichen Regierung zum
Vorschein. Die öffentliche Bestattung der ermordeten Matrosen wurde zur
Massendemonstration.
Sozialdemokratie im
Lager der Reaktion
Das Ende des Jahres 1918 war eine Phase massiver
Polarisierung. Die USPD verließ die Koalitionsregierung. Zwar hatte sich die
SPD vor den radikaleren Teilen der Arbeiterschaft diskreditiert, dennoch
folgten Massen auf einen Aufruf zur Gegendemonstration gegen den Umzug zur
Beisetzung der ermordeten Soldaten unter dem Slogan „Nieder mit der blutigen
Diktatur des Spartakusbundes“. Die Frage, wem die Arbeiterklasse folgte, war
immer noch nicht entschieden.
Die SPD-Führung rückte enger an „zuverlässigere“
militärische Kräfte. Viele einfache Soldaten wurden vom Dienst entlassen und
die Regimenter mit neuen Freiwilligen aufgefüllt. Gustav Noske, neuer
Volksbeauftragter für Heer und Marine, setzte stärker auf den Aufbau von
Freikorps. Ansätze davon gab es seit Anfang Dezember als General Maercker
begann, eigene Untereinheiten für den Fall des Bürgerkriegs gegen den
„deutschen Bolschewismus“ aufzubauen. Rechtsradikale Organisationen wie die
„Antibolschewistische Liga“ stellten sich, finanziert durch deutsche
Großindustrielle, an ihre Seite.
In den Freikorps sammelten sich die rechtesten und
reaktionärsten Elemente der Armee und Bevölkerung. Zu den wichtigsten
Bündnispartnern der SPD-Führung zählten von nun an neben der alten und
monarchistischen Obersten Heeresleitung auch Personen wie Waldemar Pabst,
Erster Generalstabsoffizier, wichtigste Kraft im Aufbau des
„Garde-Kavallerie-Schützen-Korps“ und stolzer früher Vertreter des deutschen
Faschismus.
Plakat der deutschen Schutzdivision 1919 |
Noske besichtigt das Freikorps Hülsen, Berlin im Januar 1919 |
Aufstand im Januar
Nach den Erfahrungen im Dezember glaubten die Spartakisten
nicht mehr, dass sie mit der USPD die Revolution verwirklichen könnten.[7] Man entschied sich nun für
die Gründung der Kommunistischen Partei an der Seite anderer radikal linker
Kräfte. Doch die Debatten gleich nach der Parteigründung zu Themen wie der
Organisationsstruktur der KPD oder der Teilnahme an Wahlen zeigten erneut, in
wie vielen zentralen Fragen des Aufbaus einer eigenständigen, revolutionären
Kraft Unklarheit herrschte. Auch waren die Kräfte, die den Kern der neuen
Kommunistischen Partei bildeten, alles andere als gewachsene Arbeiterparteien.
Die KPD war im Kampf noch nicht erprobt worden, und so zögerten große Teile der
deutschen Arbeiterschaft, sich ihr anzuschließen.
Dazu kam, dass sich die Ereignisse in Berlin deutlich
schneller und für die Berliner Arbeiterklasse nachvollziehbarer entwickelt
hatten als im Rest Deutschlands. Teilen der Berliner KPD erschien eine einfache
Wahlkampagne lächerlich in Zeiten, in denen der Geschmack des Bürgerkriegs in
der Luft lag.[8] Noch im Dezember riefen
Spartakisten und der Rote Soldatenbund zur Gründung einer militärischen Roten
Garde auf und bereiteten weitere Kämpfe vor. Doch die Kräfte, die sie
mobilisieren konnten, waren weit davon entfernt, eine proletarische Armee zu
bilden. Einige von ihnen sahen sich als Revolutionäre, waren aber keine
Unterstützer der Spartakisten. Auch waren sie schlecht ausgestattet und hatten
eher lose Verbindungen zur Arbeiterschaft der Berliner Fabriken.
Am 4. Januar entließ die Führung der SPD den Berliner
Polizeipräsidenten Emil Eichhorn (USPD). Er hatte sich während der
Weihnachtskämpfe geweigert, die ihm unterstehende Sicherheitswehr gegen die
Volksmarinedivision einzusetzen. Die SPD überzog ihn mit einer Schmutzkampagne
und ersetzte ihn mit einem regierungstreuen Sozialdemokraten. Eichhorn
verweigerte sich seiner Entlassung und wurde in dieser Position von den
Organisationen links der SPD verteidigt.
Noch am gleichen Abend versammelte sich die Zentrale der
KPD. Man war mehrheitlich der Meinung, dass ein Umsturzversuch gegen die
SPD-Regierung, die nach wie vor Sympathien bei relevanten Teilen der
Arbeiterklasse genoss, verfrüht wäre. Am Morgen des 5. Januar verbreitete man
stattdessen ein Flugblatt, in dem zu einer Demonstration am gleichen Tag aufgerufen
wurde. Von der Reaktion auf den Aufruf waren die Veranstalter selbst
überrascht. Hunderttausende strömten auf Berlins Straßen, um Eichhorn und die
Revolution zu verteidigen.
Demonstration bewaffneter Arbeiter gegen die Entlassung Emil Eichhorns |
Die Organisatoren berieten, was zu tun sei. Ledebour und
Liebknecht waren der Meinung, ein Umsturzversuch wäre nun möglich. Richard
Müller und andere warnten vor einem verfrühten Anpfiff zur Revolution, der zwar
in Berlin zu einem Sieg führen könnte, sich aber nicht auf nationaler Ebene ausbreiten
würde.[9] Sie unterlagen bei der
folgenden Abstimmung. So entschied sich die Mehrheit der Anwesenden für die
Bildung eines 52-köpfigen Revolutionsausschusses und weitere Schritte zur Einleitung
des Umsturzversuchs.
Gleichzeitig und ungeplant von der revolutionären Führung
besetzte eine Gruppe bewaffneter Arbeiter erneut den Vorwärts und in der
folgenden Nacht auch weitere Zeitungen und Verlage. Doch die Hoffnungen der
Revolutionären auf einen Umsturz wurden schon früh untergraben. Am 6. Januar
protestierten die Marinesoldaten im Marstall, in dem sich auch der
Revolutionsausschuss aufhielt. Der Ausschuss hatte ihre Unterstützung
angenommen, sie aber nicht nach ihrer Einwilligung zu einem anstehenden Revolutionsversuch
gefragt. Und obwohl sich am Folgetag, den 7. Januar, 500.000 Arbeiter am ausgerufenen
Generalstreik beteiligten, fanden sich in Berlin nur etwa 10.000 Mann, die
bereit waren, die Revolution im bewaffneten Kampf zu verteidigen. Bereits am
Abend des 6. Januar dämmerte es den Revolutionären, dass der Aufruf zum Umsturz
der Regierung eine fatale Fehleinschätzung war, Eichhorns Entlassung wurde
zugestimmt.
Noch am Abend des 6. Januars begannen die Verhandlungen mit
der Ebert-Regierung, durch die die Revolutionären einen Waffenstillstand und
geordneten Rückzug der Besetzer erwirken wollten. Die Verhandlungen
scheiterten. Gleichzeitig ließ die Führung der SPD den Spartakusbund in
Flugblättern als kriminelle und unberechenbare Kräfte hinstellen und so die
Spaltung in der Berliner Bevölkerung vertiefen sollten. Noske erhielt den
Oberbefehl über die Truppen in und um Berlin, stellte weitere Freikorps auf um
die Revolution physisch zu vernichten. Beide Seiten verteilten Aufrufe zum Griff
an die Waffen und dem bewaffneten Kampf im Herzen Berlins.
Barrikade während des Spartakusaufstands |
Zu einem solchen Schritt war die Berliner Arbeiterklasse
nicht bereit. Versammlungen fanden in den Fabriken statt, auf denen sich die
Mehrheit der Arbeiter für eine friedliche Lösung und eine Beendigung der
„Fraktionskämpfe“ aussprach. Am Morgen des 9. Januar hielten Arbeiter von
Schwartzkopf und AEG im Humboldthain eine Versammlung unter dem Motto
„Arbeiter, vereint euch, wenn nicht mit euren Führern dann über ihre Köpfe
hinweg“.
Diese Stimmung nutzte die SPD-Führung aus, um die
„extremistischen Tendenzen“ in Berlin weiter zu denunzieren. Schritt für
Schritt gewannen die Reaktionäre Bastionen innerhalb der Stadt zurück. Am 10.
Januar überfiel die Brigade Reinhard das spartakistische Hauptquartier in
Spandau. Bis zum 12. Januar wurde eine Reihe besetzter Gebäude im
Zeitungsviertel zurückerobert. Auf organisierte Schlachten waren die
Aufständischen nicht vorbereitet, viele ergaben sich freiwillig. Dennoch wollte
die SPD-Führung ein Exempel statuieren: über hundert Aufständische und eine
unbekannte Anzahl Zivilisten wurden ermordet. „Tötet Liebknecht!“ –
„Schlagt Rosa Luxemburg tot!“ hieß es auf unzähligen Plakaten in der Berliner
Innenstadt.[10]
Am 13. Januar rückten die umliegenden Freikorps in die Stadt
ein. Mit massiver Gewalt gingen sie gegen Sympathisanten der Revolution vor.
Und sie waren entschieden, der Revolution den Kopf abzuschlagen. Emil Eichhorn
und andere flohen, doch Luxemburg und Liebknecht weigerten sich, die Stadt zu
verlassen. Sie versteckten sich erst in Neukölln, dann in einer Wohnung von
Unterstützern in Berlin Wilmersdorf. Am Abend des 15. Januars wurden sie dort
zusammen mit Wilhelm Pieck verhaftet und ins Hotel Eden gebracht. In der Nacht
zum 16. Januar sollten sie dann nach Moabit verfrachtet werden.
Am nächsten Tag hieß es in der Presse, Liebknecht sei auf
der Flucht erschossen und Luxemburg von einer Menge Unbekannter gelyncht
worden. Das war eine Lüge. Schon im Hotel Eden wurde unter General Pabst der
Mord von Liebknecht und Luxemburg geplant. Gustav Noske ließ nach ihrer Festnahme
sehr deutlich durchblicken, dass er gegen ihre Ermordung nichts einzuwenden
hatte. So wurde Karl Liebknecht in den Tiergarten gefahren und dort erschossen.
Rosa Luxemburg wurde beim Abtransport aus dem Hotel niedergeschlagen,
erschossen und in den Landwehrkanal geworfen. Das darauf folgende Verfahren
wurde von Klaus Gietinger, der die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs wohl am
gründlichsten untersuchte, als einen der „schamlosesten Lügenprozesse der deutschen
Rechtsgeschichte“ bezeichnet – die Drahtzieher und Hintermänner der Tat kamen
unbehelligt davon.
Mit diesen Ereignissen waren vorerst Tür und Tor geöffnet
für die Gewaltexzesse der Konterrevolution. Im Februar fiel die Bremer
Räterepublik nach dem Einmarsch des ortsansässigen Freikorps. Als Anfang März
ein Generalstreik in Berlin ausgerufen wurde, ließ Noske von Pabst den Befehl
entwerfen: „Jede Person, die mit Waffen in der Hand angetroffen wird, ist
sofort zu erschießen.“ Diesen Befehl nutzte Noskes blutrünstige Gefolgschaft,
um in regelrechten Massakern 1.200 Arbeitern zu ermorden. Auch die Münchner
Räterepublik wurde im April 1919 von bayerischen Freikorps im Blut ertränkt,
tausende revolutionäre Arbeiter wurden ermordet oder inhaftiert. Damit wurde
die Stimme der Revolution – zumindest vorerst – von der Führung der deutschen
Sozialdemokratie im Blut ertränkt.
Woran scheiterten die
Spartakisten?
Es ist unmöglich, das Scheitern des Spartakusaufstands auf
eine einzelne Fehlentscheidung oder einen „dummen Zufall“ zurückzuführen.
Fehlerhafte Perspektiven und deren Korrektur sind in einem Prozess von
Revolution und Konterrevolution nicht die Ausnahme, sondern gehören notwendigerweise
zum Wachsen und Voranschreiten sozialistischer Parteien in einer solchen Phase.
Auch wenn solche Fehler eine entscheidende Rolle spielen können, ist noch viel
entscheidender, wie viel Zeit einer revolutionären Partei bleibt, um sie zu korrigieren,
auf welche Strukturen sie in diesem Moment zurückgreifen kann und ob sie
überhaupt das Vertrauen der Arbeiterklasse genießt.
Darin lag sicherlich eines der Probleme des Spartakusbundes.
SPD und USPD wirkten als Hemmschuh für die Revolution, doch die Spartakisten
sahen sich nicht als stark genug, mit ihnen zu brechen. Dass Illusionen über
die Einheit der Partei, gerade noch in der Zeit innerhalb der SPD, über lange
Jahre die Klarheit über tiefliegende Differenzen verhinderten und notwendige Schritte
zur eigenständigen Organisierung nicht in aller Entschlossenheit gezogen wurden,
fiel den Revolutionären 1918/-19 hart auf die Füße. Erst spät wurde die KPD
gegründet und war nicht in der Lage, im entscheidenden Moment bereits das
Vertrauen der Massen auf ihrer Seite zu haben. Wäre es früher zu einer stärkeren
Organisationsstruktur und zu organisierten Fraktionskämpfen in den deutschen
Arbeiter- und Soldatenräten gekommen, hätte sich die Situation in Deutschland
anders entwickeln können.
Das wird deutlich an den Weihnachtskämpfen 1918. Die
Volksmarinedivision und an ihrer Seite die Berliner Sicherheitswehr und andere
bewaffnete Arbeiter hatten Teile der Regierung festgesetzt, doch statt ihre
Absetzung und eine Neuwahl der Arbeiter- und Soldatenräte zu fordern,
verlangten sie nur ihren Sold. Wäre der Einfluss der Sozialisten unter den
Arbeitern und Soldaten zu diesem Zeitpunkt größer gewesen, hätte Eberts
„Blutweihnacht“ das Kräfteverhältnis in ganz anderem Ausmaß beeinflussen
können.
Auch hätte vermutlich in den Auseinandersetzungen nach dem
„großen Verrat“ der SPD und den Ereignissen der Novemberrevolution bereits
größere Klarheit über die Unterschiede zwischen SPD-Führung und Revolutionären
geherrscht. Denn im Jahr 1919 hatten zwar die Spartakisten selbst die richtigen
Schlussfolgerungen gezogen, jedoch zu einem so späten Zeitpunkt, dass sich
innerhalb weniger politisierten Schichten der Arbeiterklasse keine Klarheit
über die richtige Strategie festsetzen konnte. Der Kopf der Revolution ging in
die richtige Richtung, aber sie hatte keine Zeit, in der Breite und „an den
Füßen“ zu wachsen. Es fehlte eine sozialistische Arbeiterpartei, wie sie sich
in Russland schon seit der Spaltung der russischen Sozialdemokratie 1903
entwickelt hatte.
Weil es der deutschen Revolution an einer soliden Basis
fehlte, geriet ihr Kopf ins Schlingern. Auf die Niederlage im November folgen
etliche Versuche, das Kräfteverhältnis doch noch durch einen (mehr oder weniger
militärisch geführten) Machtkampf vor allem in Berlin zu entscheiden. Pierre
Broué schrieb dazu: „Im Dezember 1918, wie in Petrograd im Juli 1917, sahen die
radikalisierten Massen im bewaffneten Kampf eine einfache Abkürzung, um den
gordischen Knoten der politischen Auseinandersetzungen zu lösen, an denen sie
sich nicht länger beteiligen wollten. Doch in Berlin gab es keine
bolschewistische Partei, die eine politische Kampfperspektive aufzeigen oder
nach den Rückschlägen der ersten bewaffneten Demonstrationen und ihren
notwendigen Konsequenzen – welche leicht vorhersehbar waren – einen geordneten
Rückzug organisieren konnte.“[11]
Auch die mangelnde Verbindung zur Arbeiterklasse in Berlin
und viel mehr noch im Rest Deutschlands war zu diesem Zeitpunkt spürbar. Als
nach Eberts Blutweihnacht am 25. Dezember die Gebäude des sozialdemokratischen
Vorwärts erstmals angegriffen und besetzt wurden, wurde diese Besetzung nicht
durch die breite Berliner Arbeiterklasse geführt, sondern nur durch eine Handvoll
Berliner Revolutionären und bewaffneter Arbeiter. Auch deshalb wirkten die
revolutionären Obleute um Richard Müller zu diesem Zeitpunkt auf eine
Beendigung der Besetzung hin.
Ein solches „Abenteurertum“ machte es leichter für die SPD,
den Spaltkeil in die Berliner Arbeiterklasse zu treiben. Doch diese
Fehler waren Folge von Fehleinschätzungen in länger zurückliegenden Episoden
und damit zusammenhängend der subjektiven Schwäche des Spartakusbundes und der
neu gegründeten KPD. Mit weiteren Niederlagen der revolutionären Bewegung im
Nacken erkannte Rosa Luxemburg noch in ihren letzten Lebenstagen einige davon,
und nahm frühere, fehlerhafte Positionen nach dem Eindruck dieser Erfahrungen
zurück. Am 8. Januar 1919 schrieb sie:
„Deutschland war das klassische Land der
Organisation und noch mehr des Organisationsfanatismus, ja des
Organisationsdünkels. Um „Organisation“ willen hatte man den Geist, die Ziele,
die Aktionsfähigkeit der Bewegung preisgegeben. Und was erleben wir heute? In
den wichtigsten Momenten der Revolution versagt vorerst das gerühmte
„Organisationstalent“ in kläglichster Weise.“[12]
Und am 11. Januar:
„Der bisherige Zustand der
mangelnden Führung, des fehlenden Organisationszentrums der Berliner
Arbeiterschaft ist unhaltbar geworden. Soll die Sache der Revolution vorwärts
gehen, soll der Sieg des Proletariats, soll der Sozialismus mehr als ein Traum
bleiben, dann muß sich die revolutionäre Arbeiterschaft führende Organe
schaffen, die auf der Höhe sind, die die Kampfenergie der Massen zu leiten und
zu nutzen verstehen. […] Klarheit, schärfster, rücksichtsloser Kampf allen
Vertuschungs-, Vermittlungs-, Versumpfungsversuchen gegenüber, Zusammenballung
der revolutionären Energie der Massen und Schaffung entsprechender Organe zu
ihrer Führung im Kampfe – das sind die brennendsten Aufgaben der nächsten
Periode, das sind die bedeutsamen Lehren aus den letzten fünf Tagen wuchtigster
Anläufe der Massen und kläglichsten Versagens der Führer.“[13]
Leider waren die deutschen
Arbeiterorganisationen Anfang des 20. Jahrhunderts nicht in der Lage, die
versäumte Chance der Novemberrevolution wieder gutzumachen. Auch die neu gegründete
KPD sollte noch lange vom Problem der fehlenden Verankerung und politischer
Unklarheiten verfolgt werden, was sich auch in einem Zickzackkurs ihrer Führung
ausdrückte.
Das Scheitern der deutschen
Revolution hatte massive Folgen für das Weltgeschehen. Die Revolution in
Sowjetrussland blieb isoliert, und so hatte auch das Scheitern der deutschen
Revolution seinen Einfluss darauf, dass sie abebbte und schließlich der
Widerstand gegen den Stalinismus wie auch der Versuch der Weltrevolution Anfang
des 20. Jahrhunderts in einer Niederlage endete. Aber gerade in Zeiten, in
denen die soziale Ungleichheit auf der ganzen Welt so scharf zu Tage tritt wie
nie zuvor, kann man mit größter Sicherheit sagen, dass im Kampf zwischen
Revolution und Konterrevolution auch in Deutschland noch nicht das letzte Wort
gesprochen wurde. Es ist unsere Aufgabe, aus den Erfahrungen der Geschichte zu
lernen und nicht nur die besseren Analysen zu schreiben, nicht nur zu reden
sondern im Hier und Heute zu handeln und den Aufbau neuer, sozialistischer
Kräfte der Arbeiterklasse voranzutreiben.
[1] Siehe Rosa Luxemburg:
„Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie“
[2] Dazu gehörten vor allem die späteren
„Internationalen Kommunisten Deutschlands“ in Bremen, Hamburg, Hannover und
Rüstingen. Auch andere Revolutionäre wie beispielsweise Karl Radek hatten sich
schon früher für einen deutlicheren Bruch mit der deutschen Sozialdemokratie
ausgesprochen (siehe Karl Radek: „Einheit oder Spaltung“)
[3] Als am 14. Dezember die Rote Fahne Luxemburgs und Levis Text
„Was will der Spartakusbund?“ veröffentlichte, wurden sie von der Zeitung Freiheit im Artikel „Deutsche Taktik für
eine deutsche Revolution“ angegriffen, in dem ebenfalls von den „nächsten
Aufgaben der Revolution“ gesprochen wurde. Man musste als deutsche Arbeiter
schon genauer hinsehen um zu verstehen, welche Kräfte sich nun wirklich für ein
Ende der Klassenherrschaft einsetzten.
[4] Pierre Broué, 2006: The German Revolution
1917-1923 (S. 203)
[5] Siehe Paul Levis Erläuterungen zur
Zusammensetzung des Spartakusbundes auf dem II. Kongress der Kommunistischen
Internationale
[6] Siehe dazu Rosa Luxemburg in Die Rote Fahne vom 18. November 1918
[7] Wie es Pierre Broué beschreibt, wurde
damit „die Frage des Aufbaus einer revolutionären Partei letztendlich weniger
als zwei Monate nach Beginn der Revolution gestellt“ Broué, 2006, S. 201
[8] Paul Levi wies zu Recht darauf
hin, dass diese Stimmung zwar in manchen Vierteln Berlins herrschte, bei weitem
aber nicht im ganzen Land.
[9] Aus diesem Grund lehnte beispielsweise
Karl Radek den Umsturzversuch im Spartakusaufstand entschieden ab. Am 9. Januar
schrieb er an die Zentrale der KPD: „In
eurer Broschüre „Was will der Spartakusbund?“ erklärt ihr, dass ihr nur dann
die Macht ergreifen wollt, wenn ihr die Mehrheit der Arbeiterklasse hinter euch
habt. […] Heute hat die einzige relevante Massenorganisation, die der Arbeiter-
und Soldatenräte, keine Macht außer auf dem Papier. Demzufolge ist es nicht die
Partei des Kampfes, die Kommunistische Partei, die die Arbeiter- und
Soldatenräte anführt, sondern die Sozialpatrioten oder die Unabhängigen. In
einer solchen Situation ist es ein Wunschtraum, dass das Proletariat die Macht
ergreifen kann. Selbst wenn als Folge eines Putsches die Regierungsgewalt
in eure Hände fallen würde, wärt ihr abgeschnitten vom Umland und in wenigen
Stunden weggespült.“
[10] Siehe Richard Müller, 2011: „Eine Geschichte
der Novemberrevolution“ S.595
[11] Broué, S.236
[12] Rosa Luxemburg: Versäumte Pflichten
[13] Rosa Luxemburg: Das Versagen der Führer