von Miguel Angél Domingo, Exekutivkomitee von Izquierda Revolucionaria (Spanischer Staat)
Veröffentlicht auf Spanisch am 04. Oktober 2019
Am 14. September fand ein überraschender Drohnen- und
Raketenangriff auf das größte Ölfeld in Saudi-Arabien statt, der einen Einbruch
der Produktion um die Hälfte nach sich zog – 6% des heutigen Weltvolumens. Es
ist weiterhin unklar, wann die Produktion wieder zum Normalzustand zurückkehren
kann und die Ölpreise sind um 20% gestiegen und haben für ein weiteres
Ansteigen der Spannung in der Weltwirtschaft gesorgt.
Die jemenitischen Huthi-Milizen, gegen die Saudi-Arabien seit
2015 einen zerstörerischen Krieg führt, der das Land verwüstet und Zehntausende
Tote und die größte humanitäre Krise des Planeten heraufbeschworen hat, haben
sich zu dem Angriff bekannt. Saudi-Arabien, der US-Imperialismus und
europäische Regierungen haben sich beeilt, den Iran als Hauptverantwortlichen für
die Angriffe zu benennen.
Die Zerstörung des Gleichgewichts im Mittleren Osten und
weltweit
Um diesen Angriff und die zahlreichen Interessen dahinter zu
verstehen, muss man ihn im Kontext der Situation im Nahen Osten sehen. Das
fragile Gleichgewicht zwischen den verschiedenen regionalen Mächten wurde 2003
durch die Invasion der USA im Irak im Jahr 2003 erschüttert. Die Niederlagen
der Revolutionen des sogenannten Arabischen Frühlings haben dieses
Ungleichgewicht verstärkt und die momentane Situation der internationalen
Beziehungen hat dann endgültig den Rahmen gesprengt. Die Unfähigkeit der USA, irgendetwas irgendwo
zu kontrollieren - was im Irak und in Afghanistan in krasser Form zum Ausdruck
kommt - spiegelt ihren Niedergang als Weltmacht und gleichzeitig ihre
wachsenden Schwierigkeiten angesichts des Aufkommens Chinas wider, das den
regionalen Mächten in diesem Gebiet Flügel verleiht, die ihre Position
verbessern wollen. Saudi-Arabien und der Iran sind zwei der Hauptakteure in
diesem großen Spiel.
Unter der Obama-Administration hat der US-Imperialismus
versucht, den Nahen Osten zu verlassen. Nachdem
sie ihre Abhängigkeit von saudischem Öl beseitigt hatten - die USA sind der
größte Ölproduzent der Welt geworden -, verschoben sie ihren Fokus auf den Pazifik um sich um China
zu kümmern. Ihre Schwäche im Irak zwangen die USA zu einem Abkommen mit dem
Iran, um einen kontrollierten Rückzug sicherzustellen. So ist der Atomdeal
geboren worden, der es dem Iran ermöglichte, am internationalen Ölmarkt teilzunehmen
im Austausch gegen einen Stopp ihrer nuklearen Aufrüstung, und der als Folge
zumindest ein bisschen Stabilität im Irak garantieren sollte.
Diese
neue Situation ermöglichte es dem iranischen Regime, seine Stellung in der
Region - im Libanon, in Syrien oder im Irak - auf Kosten des Einflussverlustes
seiner wichtigsten Rivalen und der wichtigsten US-Verbündeten - Saudi-Arabien
und Israel - zu stärken. Das
ist was hinter dem Krieg im Jemen steckt, den Saudi-Arabien nach der Eroberung
der Hauptstadt durch die Huthi-Milizen, gedeckt vom Iran, begonnen hat.
Trumps Wahlsieg wurde von Netanyahu und der Saudi-Oligarchie
ausgenutzt im Versuch, die Situation wieder umzukehren. Der US-Präsident gab
ihnen einen Freifahrtschein und erhöhte den Druck gegen das iranische Regime
bis zur Aufkündigung des Atomdeals im Mai 2018. Seitdem wurden die
US-Sanktionen gegen den Iran stetig erhöht, haben die ökonomische Krise
verschärft und die Lebensbedingungen der Bevölkerung extrem verschlechtert.
Zur gleichen Zeit kam es zu einer Reihe von Scharmützeln
(Festsetzung mehrerer Tanker, mysteriöse Angriffe auf andere, der Abschuss
einer US-Drohne durch den Iran…) für die sie den Iran verantwortlich machen
wollen. Das reaktionäre iranische Regime hat auf die eine oder andere Art in
diesem Angriff in Saudi-Arabien seine Finger im Spiel gehabt, wenn man dessen
Komplexität und Ausmaß beachtet. Wie der Journalist David Hearst gesagt hat,
hat der „Iran Trump eine klare Botschaft geschickt“ mit diesem Angriff: „Ist
Chaos was du willst? Willst du die internationalen Vereinbarungen von deinem
Vorgänger brechen und uns bestrafen? Dann können wir dir Chaos bringen und du
wirst bald herausfinden wie verwundbar deine Verbündeten sind“ (www.middleeasteye.net,
9/17/2019).
Was wir beobachten können ist die unglaubliche Heuchelei des
Imperialismus: Die Verantwortlichen für die Kriege im Irak und Afghanistan, für
die Zerstückelung Libyens, für den Jemen-Krieg, für die dramatische Situation
des palästinensischen Volkes etc. zeigen auf den Iran als die „größte Gefahr in
der Region“.
Der US-Imperialismus mit dem Rücken zur Wand
Der US-amerikanische Imperialismus will den Nahen Osten
verlassen, aber sie können weder das, noch irgendwie anders voranschreiten.
Ihre Aktionen ziehen mehr Versagen als Erfolge nach sich. Die nahen Verbündeten
der USA sind in der Krise: Netanyahu hat seine Wahl verloren und Bin Salman,
der „starke Mann“ Saudi-Arabiens, beweist jeden Tag mehr was für ein Fiasko er
doch eigentlich ist. Nachdem er versprochen hat, den „Kampf in das Herz des
Irans“ zu tragen, war alles, was er bekommen hat, eine katastrophale Attacke im
Herzen seiner eigenen Ölproduktion.
Das Vertrauen in das
saudische Königreich ist stark angetastet und seine Verwundbarkeit wurde
deutlich: Der weltweit größte Waffenkäufer hat die Hälfte seiner Ölproduktion
durch nicht mehr als ein paar Raketen und zivile Drohnen, die für den Transport
von Sprengstoffen ausgelegt sind, gestoppt.
Trump befindet sich in einem komplexen Dilemma. Auf der einen
Seite war seine Reaktion auf den Angriff auf das Ölfeld sehr zurückhaltend: er
bestand auf einen verhandelten Truppenabzug und schickte nur ein paar Hundert
Soldaten, hauptsächlich Raketenstellungen – die, nebenbei, eine sehr schlechte
Figur gemacht haben in ihrer Fähigkeit, den Angriff abzuwehren. Der
Imperialismus will keinen Krieg mit dem Iran. Erstens, weil der Iran nicht der
Irak ist, er hat eindeutig aufgerüstet und alle Stellungen in der Region in den
letzten Jahren verstärkt; zweitens, weil ein neuer Krieg, nach Irak und
Afghanistan und mit der sozialen Unruhe, die gerade in den USA herrscht, einen
Aufstand auslösen könnte, der sogar größer sein könnte als die in den 60ern des
letzten Jahrhunderts. Auf der anderen Seite untermauert Nichtstun ihre
defensive Rolle gegenüber ihren Verbündeten, von der die aufstrebenden Mächte
profitieren.
China baut Einfluss im ganzen Nahen Osten auf. Anfang
September wurde ein Abkommen über mehr als 400.000 Millionen Dollar in den
Energie- und Infrastruktur-Sektoren mit dem Iran unterzeichnet. Gleichzeitig
treibt China Hafenbau- und Industrieprojekte mit den Hauptverbündeten der USA
voran: Sowohl Ägypten, Saudi-Arabien, Oman und die Arabischen Emirate – zu letzteren
hat China ein besonderes Verhältnis - als auch Irak, Syrien und der Türkei. Das
ist der Grund warum die USA unfähig sind, den Mittleren Osten zu verlassen.
Wir können sagen, dass es keinen Krieg der USA mit dem Iran
geben wird, aber damit erschöpft sich das Thema nicht. Der Imperialismus
verbreitet Barbarei im ganzen Nahen Osten, Kriege zum Machterhalt
vervielfältigen und überschatten sich gegenseitig. Im Angesicht dessen ist das
Ayatolla-Regime keine Alternative für die Massen, denn es trachtet nur nach einer
Verständigung mit dem Imperialismus, um seine Geschäfte in Ruhe abwickeln zu
können. China und Russland mit ihrer entscheidenden Rolle in der letzten
Periode sind nur interessiert, ihr Stück vom Kuchen vergrößern zu können
während die USA untergehen. Der einzige Weg hinaus ist der revolutionäre
Umsturz der verschiedenen Oligarchien und dem Folgen des Beispiels des
arabischen Frühlings, der ein neues Aufleben in den algerischen Massen gefunden
hat. Nur das Volk kann das Volk retten.