(Schwestersektion von Offensiv im spanischen Staat)
erschienen auf Spanisch am 07. März 2008.
Vorwort
Die brutale Krise des
Finanzmarktes hat die tiefsitzenden Krankheiten der kapitalistischen Wirtschaft
offenbart: eines Organismus, der sich nun schon länger in einer Phase des
Verfalls und der Alterung befindet und der schon lange aufgehört hat, eine
progressive Rolle bei der Entwicklung der Produktivkräfte zu spielen. Nach
Jahren der Illusionen und der pro-kapitalistischen Propaganda haben Krise und
Rezession das wahre Gesicht der kapitalistischen Weltwirtschaft zum Vorschein
gebracht. Dieser Vorgang wird von allen Menschen der Welt aufmerksam
beobachtet: von den Massenmedien, Regierungen, Finanzinstituten, in der
akademischen Welt aber natürlich auch von der Arbeiterklasse, unseren
Nachbarschaften, Fabriken und Häusern. Nach Jahren spektakulärer Gewinne von
Multimillionären, aufgeblähten Finanz- und Immobilienblasen und massiver
Verschuldung fliegen uns die Trümmer dieser Wirtschaftsweise um die Ohren,
verursachen Unsicherheit und Angst.
Die gegenwärtige Krise
wird seit Jahren sorgfältig vorbereitet. Ihre schnelle, nahezu virale
Verbreitung erklärt sich durch den Charakter des Booms, den die kapitalistische
Wirtschaft in den letzten zwei Jahrzehnten erlebt hat. Nur wenige haben jedoch
die Unausweichlichkeit dieser Krise vorhergesehen. Die überwiegende Mehrheit
der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftler und Fachjournalisten, die im
Allgemeinen auf der Gehaltsliste der großen kapitalistischen Konsortien stehen,
plauderten noch vor nicht allzu langer Zeit darüber, wie solide die Grundlagen
des Finanzsystems und der Weltwirtschaft seien, oder verbargen ihre
Informationen über die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in den Vereinigten
Staaten. Tausende dieser Personen, die von ihren Medienforen aus täglich den
Mainstream der öffentlichen Medien erzeugen, lehnten die Perspektive eines
abrupten Stopps der wirtschaftlichen Aktivität empört ab... Diese „Realisten“
konnten sich nicht mit der Vorstellung abfinden, dass ihr System vielleicht
nicht so perfekt sei und dass sich der finanzielle Höhenflug schon bald in
einen Alptraum verwandeln würde.
In solch unheilvollen
Momenten für die Verfechter des Kapitalismus müssen wir einmal mehr wiederholen,
dass Marx Recht hatte! Die ökonomische Theorie des Marxismus hat den Test der Realität
glänzend bestanden; ihre Grundlagen und ihre Analysen des globalen Prozesses
der kapitalistischen Produktion, seiner Widersprüche und seiner Dynamik, sind zutreffend
und lebendiger denn je. Es genügt, Werke wie „Das Kapital“ oder „Theorien über
den Mehrwert“ zu lesen, die vor mehr als 150 Jahren geschrieben wurden, um zu
verstehen, warum die Bourgeoisie und ihre Ideologen den Marxismus als ihren
gefürchtetsten Feind betrachten, und ihn immer wieder unter Tonnen von
Beleidigungen, Lügen, Verleumdungen und Verfälschungen begraben wollen.
Für die Arbeiterklasse
hingegen, für ihre Jugend und ihre bewusstesten Elemente, ist die Kenntnis über
den Reichtum der marxistischen Wirtschaftstheorie eine notwendige Grundlage. Aus
diesem Grund veröffentlichen wir eine Reihe von Artikeln zu den wichtigsten
Aspekten marxistischer Wirtschaftstheorie in dieser Ausgabe von El Militante.[1]
Wenn es keinen Gewinn gibt, gibt es
keine Produktion
Bürgerliche
Wirtschaftstheoretiker lehnen es ab, den Kapitalismus als eine vorübergehende
und zeitlich begrenzte soziale Formation zu betrachten. Das ist kein Zufall:
Als Ideologen im Sold der Ausbeuter betrachten sie das System, das ihnen ihre
Privilegien und ihr Prestige verleiht, als die Krone menschlichen Fortschritts.[2]
Im Allgemeinen gehen alle Schulen der bürgerlichen politischen Ökonomie davon
aus, dass bei Ausbruch der Krise nur diejenigen Faktoren gefunden werden
müssen, mit denen die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Produktion
und Nachfrage erreicht werden kann, um das Problem zu lösen. Mit anderen
Worten: Das Phänomen der kapitalistischen Krisen ist im Rahmen des Systems
lösbar, und depressive Perioden sind nicht mehr als punktuelle Unfälle in einem
Prozess des kontinuierlichen Aufstiegs der Produktion und der Schaffung von
Zivilisation.
Für die marxistische
Ökonomie, die auf dem dialektischen Materialismus basiert, ist der
Ausgangspunkt für die Behandlung des Problems genau das Gegenteil. Das
kapitalistische System hat, wie jede Produktionsweise oder sozioökonomische
Formation, einen vorübergehenden Charakter. Marx demonstrierte in seinem
bahnbrechenden Werk „Das Kapital“ die Gesetze, die die Funktionsweise von
Produktion, Umlauf und Austausch von Gütern erklären und das kapitalistische
System charakterisieren. Ausgehend von den Beiträgen der klassischen Ökonomie
und über diese hinaus entdeckte Marx, dass das Ziel, das die kapitalistische
Produktion antreibt, der maximale Profit ist, d.h. der Kampf um die Aneignung des
Mehrwerts, der von der menschlichen Arbeit, der einzigen wertschöpfenden
Quelle, deren Wert durch den Verkauf von Waren realisiert wird, produziert
wird. Im Kapitalismus geht es nicht um die Befriedigung sozialer Bedürfnisse,
sondern um die Erzielung von Profit: Wenn es keine Möglichkeit des Profits, der
Realisierung von Mehrwert gibt, wird der Kapitalist nicht produzieren. Dies ist
das grundlegende Merkmal der kapitalistischen Produktionsweise. Die Größe des
Wertes einer Ware wird demzufolge gemessen an der „wertschöpfenden Substanz“,
d.h. der in ihr enthaltenen Arbeit. Für den Marxismus wird der Wert einer Ware
durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt, die in ihre
Produktion investiert wird.
Krise der Überproduktion
Weit entfernt von dem
idyllischen Bild, das die bürgerlichen Ökonomen gerne von der reibungslosen
Funktionsweise des Kapitalismus malen, erklärt der Marxismus den anarchischen
Charakter der kapitalistischen Produktion, die von den blinden Kräften des
Marktes und dem individuellen Profitmotiv der Kapitalisten angetrieben wird. Dabei
stößt die kapitalistische Akkumulation immer an objektive Grenzen. Der
Marxismus erklärt die Ursachen der kapitalistischen Krise, und im Zentrum
seiner Erklärung steht der Widerspruch zwischen dem sozialen,
gesamtgesellschaftlichen Charakter, den die Produktion im Kapitalismus hat, und
dem individuellen, privaten Charakter der Aneignung.
Im Kapitalismus hat
die Entwicklung der Produktivkräfte und der internationalen Arbeitsteilung den
Charakter der Produktion völlig verändert. Das aber bringt das zyklische
Auftreten von Krisen hervor, von Überproduktionskrisen. Im Gegensatz zu anderen
Produktionsweisen und sozioökonomischen Formationen der Vergangenheit sind die
Eigentümer des Kapitals, die ständig durch die Konkurrenz anderer auf dem Markt
konkurrierender Kapitalisten unter Druck gesetzt werden, gezwungen, die
Produktionstechniken ständig zu revolutionieren, die Produktionsmittel zu
erneuern und die Ausbeutung der Lohnarbeitskräfte zu intensivieren (Erhöhung
des absoluten und relativen Mehrwerts). Es herrscht ein harter Wettbewerb
zwischen den Kapitalisten um eine höhere Gewinnrate, was in der Folge
dramatische Auswirkungen auf die allgemeine Funktionsweise des Systems hat.
Das Kapital fließt
immer in diejenigen Produktionsbereiche mit der größten Profitmarge, auch wenn
das einen hohen Einsatz von Anlagekapital[3]und
eine allmähliche Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals[4]
bedeutet. Dieses Phänomen ist in jeder Periode des kapitalistischen Booms
aufgetreten, wenn die Produktion ansteigt, die internationale Arbeitsteilung
sich ausweitet und der Welthandel die Märkte erweitert. Dies geschah auch in
der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, einer
kriegerischen Zerstörung, die die größte Anzahl von Produktivkräften in der
Geschichte vernichtete. So gab es in den goldenen Jahrzehnten der 50er und 60er
Jahre und in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern eine gewaltige
Entwicklung neuer Produktionszweige (Ölderivate, Chemie, Automobilindustrie,
Luftfahrt, Elektronik, Militärindustrie...), und es wurden
Vollbeschäftigungsquoten erreicht. Doch die Art, wie seit der großen Rezession
von 1973 „Wachstum“ erzeugt wird, unterscheidet sich davon. Die Fortschritte
sind viel kleiner und Gewinne werden nur in bescheidenem Maß in den
Produktionsapparat reinvestiert, was die Schleusen zu einer beispiellosen
historischen Phase der Finanzspekulation öffnete.
Der durchschnittliche
Kapitalist investiert sein Kapital in dem Bereich, der ihm Profite verspricht:
Wenn er glaubt, in bestimmten Produktionszweigen schnelle und größere Gewinne
erzielen zu können, wird er nicht zögern, so viel Kapital wie möglich in sie zu
investieren, indem er auf Bankkredite und massive Verschuldung zurückgreift.[5]
Wenn er dies nicht tut, verliert er die Möglichkeit, seinen Anteil an den
Gewinnen zu erhöhen. Aber dieser Prozess kann nicht grenzenlos sein, auch wenn
das Streben nach Profit grenzenlos ist. Am Ende steht eine Überinvestition von
Kapital, d.h. die Investitionen werden nicht so schnell amortisiert,[6]
weil der Markt mit Rohstoffen gesättigt ist. Die unvermeidliche Folge dieser
Überinvestitionen in Investitionsgüter ist eine Überproduktion, sowohl von
Konsumgütern als auch von Produktionsmitteln, und eine Überkapazität der
installierten Produktion. Kurz gesagt, es gibt von allem zu viel, eine Fülle,
die der Markt zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht aufnehmen kann. Ab einem
bestimmten Punkt beginnt die Krisenphase mit einer Spirale aus sinkenden Gewinnen,
Desinvestitionen, Massenentlassungen und Fabrikschließungen. Kurz gesagt, die
Zerstörung der Produktivkräfte nimmt den Wirtschaftskreislauf in Beschlag.
Heute wird deutlich,
dass die Krise, die aus der inneren Funktionsweise des Kapitalismus selbst resultiert,
durch verschiedene Faktoren katalysiert und beschleunigt werden kann. Die riesige
Finanzblase, die sich im letzten Jahrzehnt aufgrund der starken Zunahme von
Krediten und der massiven Verschuldung angesammelt hat, hat nicht nur den Markt
und die Produktion über ihre Grenzen hinaus ausgedehnt und den Kapitalisten,
die spekulierten, große Gewinne beschert, sondern auch die gegenwärtige
Rezession beschleunigt. Die Krise der Finanzmärkte war nicht die Ursache der
Rezession, die ihre Wurzeln in der Realwirtschaft hat, aber sie hat sie
zweifellos begünstigt und wird ihre explosionsartige Verbreitung befeuern. Kurz
gesagt, wie Marx und Engels im Kommunistischen Manifest betont haben, drücken
die Krisen die Revolte der Produktivkräfte gegen die Zwangsjacke der
bürgerlichen Eigentumsverhältnisse und des Nationalstaates aus,[7]
die von der Bourgeoisie in der Phase ihres revolutionären Aufstiegs geschaffen,
aber in der Ära der überwältigenden Dominanz des Weltmarkts in ein reaktionäres
Hindernis verwandelt wurde.
Teil I
Die Gültigkeit der marxistischen
Theorie der kapitalistischen Krisen
Am 4. Dezember 1928,
Monate vor dem schicksalhaften Börsencrash vom Herbst 1929, überbrachte
US-Präsident Coolidge dem Repräsentantenhaus seine letzte Botschaft zur
allgemeinen Lage: „Keiner der bisher zusammengetretenen US-Kongresse hatte vor
ihnen eine so günstige Perspektive, wie sie uns heute geboten wird. Was die
inneren Angelegenheiten betrifft, gibt es Ruhe und Zufriedenheit (...) und die
längste Periode des Wohlstands. Nach außen hin herrscht Frieden, und diese
Aufrichtigkeit wird durch gegenseitiges Verständnis gefördert...“.
Wenn wir die
Wirtschaftsgeschichte des Kapitalismus betrachten, insbesondere die Zeiten des
finanziellen Überschwangs, finden wir immer wieder dieselben Individuen,
angeblich fähig und intelligent, die die Macht der Hochfinanz in ihren Händen konzentrieren
und Nationen regieren. Wenn man die Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht als die
toten Seiten eines Buches, sondern als Quelle der Lehren betrachtet, mit denen die
Gegenwart zu verstehen und die Zukunft vorzubereiten ist, kann man viel lernen.
Deshalb müssen die Lehren aus dem Wirtschaftscrash von 1929, seinen Ursprüngen
und Folgen, sehr ernsthaft untersucht werden.
Der Crash von 1929
Die durch den Ersten
Weltkrieg in Europa verursachte massive Zerstörung der Produktivkräfte, die mit
keiner früheren imperialistischen Konfrontation vergleichbar ist, hat die Achse
der Weltwirtschaftsaktivität unwiderruflich in Richtung Pazifik verschoben und
die USA als entscheidende Wirtschaftsmacht positioniert.[8]
Zwischen 1922 und 1925
schienen die Grundlagen des amerikanischen Wachstums solide zu sein. Angetrieben
durch die Entwicklung neuer Märkte für ihre Erzeugnisse (sowohl in Europa als
auch in Lateinamerika) und durch die zivile Anwendung der neuen Erfindungen und
Technologien, die der Krieg mit sich brachte, machte die amerikanische
Industrie erstaunliche Fortschritte. Dieser dynamische Prozess hat sich
wiederum in der Entwicklung neuer Produktionszweige (Kunststoff, Luftfahrt,
Telekommunikation...) und in einer starken Steigerung der Arbeitsproduktivität
niedergeschlagen. Einige wenige Zahlen genügen, um die frenetische
Wirtschaftstätigkeit zu veranschaulichen, die die Vereinigten Staaten erlebten:
Zwischen 1923 und 1929 stieg die Automobilproduktion um 33% und der Verbrauch
von elektrischer Energie um mehr als 100% an. Im Jahr 1925 lagen die
produktiven Investitionsraten bei fast 20% des Bruttosozialprodukts.
Inmitten eines
scheinbar unendlichen Wohlstands zeigten sich jedoch Ende 1926 die ersten
Anzeichen einer Verlangsamung der Produktionstätigkeit aufgrund der
europäischen Stagnation und der Sättigung der Weltmärkte für Getreide und
landwirtschaftliche Produkte (insbesondere Weizen und Baumwolle, die einen
deutlichen Rückgang der Agrarpreise zur Folge hatten). Von diesem Moment an
trat ein für wirtschaftliche Boomzeiten typisches Phänomen auf: Aufgrund des
Überflusses an Kapital, das nicht gewinnbringend in der produktiven Wirtschaft
platziert werden konnte, wurde es stark auf die Börse umgelenkt.
Zwischen 1926 und 1929
vergrößerte sich die Kluft zwischen wirtschaftlicher Aktivität und
Börsenspekulation: In diesen vier Jahren stieg der allgemeine Index der
Aktienkurse von 105 auf 220, während der allgemeine Geschäftsindex der
börsennotierten Unternehmen nur von 105 auf 120 stieg. Wie heute kollidieren
die Wünsche der Spekulanten und der Behörden, den Kreislauf des Aufschwungs auf
unbestimmte Zeit aufrechtzuerhalten, mit der Realität. Der Einbruch der
Aktienkurse war abrupt und überraschend, was wiederum eine unbestreitbare
Tatsache widerspiegelt: Die Aktiva der Unternehmen und ihr Produktionsvolumen
lagen weit unter dem, was die Preisindizes anzeigten. Die Dynamik der
Realwirtschaft, die durch keinen Aktienmarkt zu leugnen ist, setzte sich
schließlich durch, und die Auswirkungen waren verheerend.
Panik
Am 24. Oktober 1929
brach Panik aus: Die Wall Street-Börse registrierte mehr als neun Millionen
Verkaufsanträge, am 29. Oktober waren es 16 Millionen. Die New Yorker Börse
verlor im Oktober 20 % ihres Marktwertes und im November 1929 50 %.[9]
Die massiven Kredite,
die die Spekulationsblase der 1920er Jahre nährten, übertrugen die Krise sofort
auf den Bankensektor und beschleunigten den allgemeinen Zusammenbruch. Die
Banken konnten die Kredite in Höhe von mehreren Millionen Dollar, die sie zur
Finanzierung des Kaufs von Börsenwerten und Unternehmen, die keinen Wert mehr
hatten, gewährt hatten, nicht zurückerhalten.[10]
Die
Produktionstätigkeit erlitt einen starken Rückgang: Bei einem Index der
Industrieproduktion von 100 für 1928 lag der Index 1930 bei 83 und 1932 bei 54.
1929 verschwanden 22.909 Unternehmen, 1932 waren es 31.822. Die
Investitionsraten brachen zusammen: lagen sie 1929 noch bei 15,4% des BSP, so
sanken sie 1931 auf 7,2% und 1932 auf 1,5%.
Gleichzeitig stieg die
Arbeitslosigkeit auf ein unbekanntes Niveau: von 1,5 Millionen Arbeitslosen im
Jahr 1929 stieg sie auf 4,5 Millionen im Jahr 1930, 7,9 Millionen im Jahr 1931,
11,9 Millionen im Jahr 1932 und schließlich 13 Millionen im Jahr 1933. Auf dem
Land kam es zu einer regelrechten Abwanderung von mehr als 600.000 Bauern pro
Jahr in die Städte und wohlhabenderen Regionen.
Eine weltweite Krise
In einer globalisierten
Wirtschaft machte die Krise nicht an den Grenzen der Vereinigten Staaten Halt.
Wie 2008 zog die Rezession sofort nach Europa, wo das Finanzsystem nach dem
Abzug des US-Kapitals seine Strangulierung nicht vermeiden konnte. Was aber am
weitgehendsten zur Vertiefung der Krise führte, war die weit verbreitete
Annahme protektionistischer Maßnahmen und wettbewerblicher Abwertungen durch
die verschiedenen Mächte, um ihre Märkte zu schützen. In Frankreich stiegen die
Einfuhrzölle von 17,8% im Jahr 1929 auf 29,4% im Jahr 1935. Auch in
Großbritannien wurde die Dosis des Protektionismus deutlich erhöht: Die Zölle
stiegen von 19,8% im Jahr 1932 auf 23,3% im Jahr 1935. Durch diese Maßnahmen erlitt
der Welthandel einen sehr starken Rückgang; allein in den Vereinigten Staaten
führte der wirtschaftliche Zusammenbruch dazu, dass der Wert ihrer Importe von
4,4 Milliarden Dollar im Jahr 1929 auf 1,339 Milliarden Dollar im Jahr 1932 sank.
Kurz gesagt, die
Produktion ging in allen Ländern zurück, die Arbeitslosigkeit stieg auf ein
erschütterndes Niveau und die Inflation nahm dramatische Formen an, was die
Löhne und die Kleinunternehmen ruinierte. Die politischen Auswirkungen der
weltweiten Rezession waren enorm. Europa wurde durch Generalstreiks,
Massendemonstrationen und eine tiefe Krise der bürgerlichen Demokratie und
ihrer Institutionen erschüttert. Es begann eine Phase von Revolution und der Konterrevolution,
die nur mit der Zeit von 1917-1923[11]
verglichen werden kann.
Das kapitalistische
Gleichgewicht wurde auf allen Ebenen (wirtschaftlich, politisch, diplomatisch
und militärisch) zerbrochen.
Die Lektionen der Geschichte
Obwohl es Daten und Zahlen
gibt, die bestätigen, dass wir in den letzten zehn Jahren außergewöhnlich
günstige Bedingungen für eine neue Phase der kapitalistischen Akkumulation
erlebt haben, werden wir, wenn wir den gesamten Zeitraum genau betrachten, auch
die Schwierigkeiten für produktive Investitionen erkennen, eine angemessene
Rentabilität für alle in diesen Jahren erzielten Kapitalgewinne zu bieten. Das
Phänomen der Überakkumulation von Kapital, das seit der zweiten Hälfte der
1990er Jahre viel ausgeprägter ist, hat die gigantische Spekulationsblase
hervorgerufen, die nun geplatzt ist. Die Börse wurde wie in den Jahren vor dem
Crash von 1929 zu einem neuen Eldorado, das den idealen Traum eines jeden
Kapitalisten ermöglichte: Kapital zu produzieren, ohne die harte Erfahrung von
produktiven Investitionen und dem Verkauf von Rohstoffen machen zu müssen.
Die Phänomene des
Aktienrückkaufs, die Börsenexplosion der Dotcom-Unternehmen, der irrationale
Werteüberschuss, der bei weitem nicht dem Tätigkeitsvolumen der Unternehmen und
ihren Gewinnen auf dem Markt entspricht, haben dazu geführt, dass das
überschüssige Kapital an der Börse und in den großen Spekulationsfonds
untergebracht wurde. Das Finanzkapital bestätigte, was Marx im Kapital geschrieben
hinterlassen hatte: es entwickelte eine immer unabhängigere Bewegung von dem
Prozess, den die reale Wirtschaft durchlief, es wurde fiktiv und unproduktiv
und verwandelte sich in eine totes Gewicht der kapitalistischen Produktion.
Damit wurde der grundlegende Widerspruch der Überproduktion verschärft: der
zwischen dem Kapital, wie es direkt in den Produktionsprozess eingeführt wird,
und dem Kapital, wie es als Geld präsentiert wird, auf relativ autonome Weise
und außerhalb des Prozesses.
Da die Realisierung des
Mehrwerts in Schwierigkeiten geriet, wurde der Finanzsektor auf der Suche nach
größerer Rentabilität zunehmend durch Kapital genährt. In den 1990er Jahren und
im laufenden Jahrzehnt wurde der permanente Rückgriff auf Kredite, der für jede
Expansionsphase typisch ist, zu einem unverzichtbaren Element, um den Konsum zu
garantieren und damit die Produktion aufrechtzuerhalten. Unter diesen Umständen
wurde der Druck, die kreditbasierte Akkumulation aufrechtzuerhalten, noch
stärker, und die natürlichen Grenzen des Wirtschaftszyklus wurden überschritten.[12]
Seit zehn Jahren
erleben wir eine vollständige Deregulierung der Finanzmärkte, die den
Kapitalverkehr zwischen verschiedenen Bereichen produktiver und spekulativer
Investitionen erleichtern soll. Auch in diesen Jahren wurde die verbreitete
Anwendung des Hebeleffekts[13]
gefördert, um Mega-Firmenzusammenschlüsse zu finanzieren, um auf einem
zunehmend gesättigten Markt konkurrenzfähig zu bleiben indem der Hebeleffekt
Gewinnraten ermöglicht. Die Ausweitung des Welthandels, die Öffnung der UdSSR
und Chinas für imperialistisches Kapital,
der erbarmungslose Druck auf unterentwickelte Volkswirtschaften, ihre Grenzen
für eine Lawine westlicher Investitionen zu öffnen (Freihandelsabkommen,
bilaterale Abkommen...), die massiven Privatisierungen von Staatsunternehmen,
die Immobilienblase usw. Alle trugen zur Omnipräsenz des Finanzkapitals bei.
Aber der Finanzmarkt und die Kredite sind vom Fluchtventil der kapitalistischen
Akkumulation zu den Auslösern einer globalen Wirtschaftskrise geworden. Und
diese Krise wird nach einer Periode des Booms, die auf Kosten der weltweiten
Überausbeutung der Arbeiterklasse erreicht wurde, die Grundlagen des
Kapitalismus erschüttern und den Kampf für die sozialistische Umgestaltung der
Gesellschaft ganz oben auf die Tagesordnung setzen.
[1] In den
folgenden Artikeln werden wir uns kurz und bündig mit theoretischen Debatten
über die Krisentheorie, die in der marxistischen Bewegung aufgetreten sind,
sowie mit der marxistischen Theorie des Imperialismus befassen. Anschließend
analysieren wir die Geschichte der Krisen, wobei wir unsere Aufmerksamkeit auf
den Crash von 1929, den Boom nach dem Zweiten Weltkrieg und den Keynesianismus
richten und mit der Rezession von 1973/74 abschließen. Schließlich werden wir den
gegenwärtigen finanziellen Zusammenbruch, die Rezession der amerikanischen
Wirtschaft und die Auswirkungen beider Phänomene auf die Weltwirtschaft und den
Klassenkampf analysieren.
[2] „Meine
Untersuchung mündete in dem Ergebnis, dass Rechtsverhältnisse wie Staatsformen
weder aus sich selbst zu begreifen sind noch aus der sogenannten allgemeinen
Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern vielmehr in den materiellen
Lebensverhältnissen wurzeln, deren Gesamtheit Hegel, nach dem Vorgang der
Engländer und Franzosen des 18. Jahrhunderts, unter dem Namen „bürgerliche
Gesellschaft“ zusammenfasst, dass aber die Anatomie der bürgerlichen
Gesellschaft in der politischen Ökonomie zu suchen sei. [...] In der
gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte,
notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein,
Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer
materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser
Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die
reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und
welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Die
Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen
und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der
Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein
bestimmt“ (Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie, in: Marx-Engels-Werke
(MEW) Bd. 13, Berlin 1961, S. 7 – 11).
Diese zentralen Ideen des marxistischen Denkens setzen in keinem
Fall die Annahme einer fatalistischen und mechanischen Sicht der Geschichte
voraus. Marx und Engels stellten auch fest:
„Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle
Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere
Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen
Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet
worden sind.“ (ebd.) Selbst ein zerfallendes System wie der Kapitalismus kann
überleben und sein endgültiger Zusammenbruch kann sich sehr lange hinziehen,
wenn die Arbeiterklasse nicht in der Lage ist, es mit revolutionären Methoden
zu stürzen und eine andere höhere Form der Produktion und Organisation der
Gesellschaft zu etablieren. Daher lehnt der Marxismus den wirtschaftlichen
Determinismus gänzlich ab, auch wenn dieser von seinen ideologischen Feinden
als ein zentrales Merkmal des marxistischen Denkens angesehen wird. Entgegen
jeder mechanistischen und empirischen Vision hat der revolutionäre Marxismus
immer auf dem Klassenkampf als Motor des historischen Wandels basiert.
[3]
Konstantes Kapital, das in Maschinen, Gebäude usw. investiert wird
[4] Organische
Zusammensetzung = Anteil des konstanten Kapitals an gesamter Kapitalmenge
[5] Das zeigt
auch, dass bei der Suche nach Investitionsfeldern nicht das Gesetz der
Nachfrage, sondern die Profitmarge entscheidet.
[6] Getilgt,
in Erträge umgesetzt
[7] Karl
Marx/Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, in: Marx-Engels-Werke
(MEW) Bd. 4, Berlin 1959, S. 467.
[8] Betrug die US-Auslandsverschuldung 1914 noch
3,7 Milliarden Dollar, so lag der Gläubigerüberschuss 1919 bei über 3
Milliarden Dollar. Während des Ersten Weltkrieges erzielten die Vereinigten
Staaten eine außergewöhnliche Kapitalakkumulation und konzentrierten die
größten Goldreserven der Welt, während der Dollar die einzige konvertierbare
Währung in diesem Edelmetall war.
[9] Zwischen
1929 und 1932 fiel der Kurs einer Gruppe von 65 Wertpapieren von der
125-Dollar-Grenze auf weniger als 27 Dollar. Ein Einbruch, der mit dem
aktuellen Preisverfall vieler Immobilienunternehmen, Bauunternehmen und Banken
in den USA und Europa verglichen werden kann.
[10] 1929
scheiterten in den Vereinigten Staaten 642 Banken, 1930 waren es 1.341 und 1931
schoss die Zahl der Pleiten auf 2.298. Insgesamt gingen zwischen 1931 und 1932
5.096 Banken in Konkurs.
[11] Selbst in
den Vereinigten Staaten gab es große Bewegungen von Arbeitslosen, eine
politische Radikalisierung nach links und eine beispiellose Streikwelle,
insbesondere nach 1933, als die Wirtschaft Anzeichen einer Erholung zeigte.
[12] „Um beim Kredit anzufangen, so hat er in der
kapitalistischen Wirtschaft mannigfaltige Funktionen, seine wichtigste besteht
aber bekanntlich in der Vergrößerung der Ausdehnungsfähigkeit der Produktion und
in der Vermittlung und Erleichterung des Austausches. Da, wo die innere Tendenz
der kapitalistischen Produktion zur grenzenlosen Ausdehnung auf die Schranken
des Privateigentums, den beschränkten Umfang des Privatkapitals stößt, da
stellt sich der Kredit als das Mittel ein, in kapitalistischer Weise diese
Schranken zu überwinden [...] So ist der Kredit, weit entfernt, ein Mittel zur
Beseitigung oder auch nur zur Linderung der Krisen zu sein, ganz im Gegenteil
ein besonderer mächtiger Faktor der Krisenbildung. Und das ist auch gar nicht
anders möglich. Die spezifische Funktion des Kredits ist - ganz allgemein
ausgedrückt - doch nichts anderes, als den Rest von Standfestigkeit aus allen
kapitalistischen Verhältnissen zu verbannen und überall die größtmögliche
Elastizität hineinzubringen, alle kapitalistischen Kräfte in höchstem Maße
dehnbar, relativ und empfindlich zu machen. Dass damit die Krisen, die nichts
anderes als der periodische Zusammenstoß der einander widerstrebenden Kräfte
der kapitalistischen Wirtschaft sind, nur erleichtert und verschärft werden
können, liegt auf der Hand.“ (Rosa Luxemburg: Sozialreform oder Revolution? (1899),
in: Gesammelte Werke Bd. 1.1, Berlin 1987, S. 378 – 379).
[13] Auch
Leverage-Effekt: Anreize, den Verschuldungsgrad zu erhöhen. Zum Beispiel wenn
das Aufnehmen von Krediten aufgrund günstiger Konditionen weniger kostet, als
sich das investierte Kapital rentiert – das befördert die Investition von
Fremdkapital. Damit steigt jedoch auch das Risiko von Zahlungsausfall bei niedrigerer
oder ausbleibender Rendite. (Anm. d. Ü.)