Überproduktion und gigantische Schulden. Chinesischer Kapitalismus in der Krise

Bárbara Areal, Exekutivkomitee von Izquierda Revolucionaria
Jahrelang und insbesondere nach dem wirtschaftlichen Debakel, das durch die Subprime-Krise ausgelöst wurde, wurde China zum Leuchtturm sowohl der ideologischen Verteidiger des kapitalistischen Systems  als auch derjenigen, die mit dem chinesischen Staat ihre stalinistischen Nostalgie befriedigen.  Von bürgerlichen Ökonomen wurde der Vormarsch Chinas als Beweis für die Vitalität des Kapitalismus, von gewissen Linken als Beispiel für „Marktsozialismus“ angeführt. China schien die Produktivkräfte mit einem Elan zu entwickeln, der an die historische Phase erinnert, als die Bourgeoisie eine junge Klasse war, die ein langes Leben vor sich hatte. Darüber hinaus wurde behauptet, China würde den großen kapitalistischen Traum Wirklichkeit werden lassen: die Immunität vor Krisen. Die Zuversicht war so groß, dass viele vorhersagten, dass dieser Koloss in der Lage sein würde, die gesamte Weltwirtschaft zu stützen.

Die Anti-Krisen-Maßnahmen, die das Regime zwischen 2008 und 2009 durchführte, schienen all diesen „Theoretikern“ Recht zu geben. Nach der massiven Vernichtung von Arbeitsplätzen während des ersten Jahres der Rezession wurden Millionen von Arbeitsplätzen wiederhergestellt und das BIP erholte sich. Aber ohne die Auswirkungen der Regierungsmaßnahmen zu unterschätzen, darf nicht aus den Augen verloren werden, wie entflammbar das Material ist, das sich durch die kapitalistische Restauration und die globale Krise in den Fundamenten der chinesischen Wirtschaft angesammelt hat. Nur, wenn man diese Entwicklung verfolgt hat ist es möglich, eine zutreffende Langzeitperspektive aufzustellen. Mithilfe dieser Methode war schon damals ersichtlich, dass das Grundproblem der chinesischen Wirtschaft – die Überproduktion – sich voll entfalten würde, sobald sich die Dynamik der staatlichen Investitionen erschöpft hat. Zudem würden die Konjunkturprogramme langfristig die strukturellen Probleme nur noch verschärfen.

Jährliches BIP

2007
14,2
2008
9,6
2009
9,2
2010
10,4
2011
9,3
2012
7,7
2013
7,6

Dieselben alten Rezepte

Nach einem kurzzeitigen Aufwärtstrend liegt das chinesische Wirtschaftswachstum seit zwei Jahren unter 8%. Zwar hat sich der Handelsüberschuss, der fast die Hälfte seines Volumens eingebüßt hatte, teilweise wieder erholt, aber dies hat das Wiederauftreten von Symptomen der Überproduktion nicht verhindert. Die Stahl- und Zementindustrie, zum Beispiel, arbeitet mit 72% ihrer Kapazität. Um sich ein Bild vom Ausmaß dieses Phänomens zu machen: Der Plan der Regierung, Produktionslinien abzuschaffen, betrifft Bergbau, Metallurgie (einschließlich Stahl, Kupfer und Blei), Papier, Glas, Zement usw.

Der asiatische Drache reproduziert eine wirtschaftliche Entwicklung, die in ihren Grundzügen in größerem Maßstab und auf dialektische Weise die Phasen wiederholt, die die Krise in den USA und in Europa ausgelöst hat. Der Grund, warum die chinesische Bourgeoisie es nicht vermeiden kann, in dieselbe Dynamik zu verfallen, ist nichts anderes als die Unmöglichkeit, die Krisen der Überproduktion unbegrenzt hinauszuzögern.

Die riesigen Kapitalmengen, die zur Aufrechterhaltung der Wachstumsrate der Wirtschaft mobilisiert wurden, haben zu einer gigantischen Verschuldung geführt. Der Gesamtkreditbestand in China hat 220% des BIP erreicht und ist von 9 Billionen USD im Jahr 2008 auf 23 Billionen USD im Jahr 2012 gestiegen. Die Rating-Agentur Fitch rechnet vor, dass das so genannte Schattenbanken, in denen ein Vermögen von fast 6 Billionen Dollar liegt, viele der Praktiken kopieren, die zur Subprime-Krise geführt haben. China tritt in einen Teufelskreis ein, in dem ein zunehmender Anteil der neuen Kredite zur Bedienung bestehender Schulden und nicht für neue Investitionen verwendet wird. Diese Dynamik wird durch die Gesamtverschuldung der Kommunen verstärkt, von denen viele bis 2013 rund 3,3 Billionen Dollar betragen werden.

Im Bewusstsein dieser Situation versucht das Regime, das Kreditwachstum einzudämmen, ist dabei aber bisher gescheitert. Im Juni und Dezember 2013 kam es aufgrund starker Erhöhungen der Interbankenkreditzinsen zu zwei großen Liquiditätskrisen. Umgangssprachlich ausgedrückt: Die Zinsen, die sich die Banken gegenseitig für das Verleihen von Geld in Rechnung stellten, wurden durch das Misstrauen gegenüber der tatsächlichen Fähigkeit, dieses Geld zurückzuzahlen, deutlich erhöht. In beiden Fällen intervenierten die chinesischen Führer in den ersten Momenten nicht sofort und hofften auf eine kontrollierte Anpassung, die das exponentielle Anwachsen der Verschuldung eindämmen würde. Aber schließlich, und bei beiden Gelegenheiten, angesichts des Risikos, dass die Liquiditätskrise durch die Aufdeckung nicht rückzahlbarer Kredite verlängert würde, ordneten sie eine neue Finanzspritze durch die Zentralbank an.

Auf dem Weg zu einem klassischeren Kapitalismus?

Trotz der Tatsache, dass das staatskapitalistische Regime der chinesischen Bourgeoisie eine unangefochtene Dominanz über das Bankwesen und die Industrie verleiht, haben die Gesetze des Marktes innerhalb der Grenzen Chinas entscheidendes Gewicht. In der heutigen Phase kapitalistischen Niedergangs können die staatlichen Interventionen die gleichen Phänomene, die in anderen Ländern aufgetreten sind, nicht verhindern. Die Führer der KPCh, die gleichzeitig an der Spitze des Prozesses der kapitalistischen Restauration stehen, scheinen der Effektivität der staatlichen Kontrolle zu misstrauen und neigen zu einem eher klassischen Kapitalismusmodell, in dem der Privatsektor eine noch größere Rolle spielt. Diese Tatsache spiegelte sich in den Beschlüssen der Dritten Plenarsitzung des XVIII. Zentralausschusses der KPCh im November wider. Unter den beschlossenen Maßnahmen ragt die Öffnung für private Investitionen in den Bereichen Banken, Energie, Infrastruktur und Telekommunikation heraus. Im Falle des Bankensektors wird auch der Eintritt von ausländischem Kapital in kleine und mittlere Unternehmen erleichtert. Es wurde auch beschlossen, die Preise weiter zu liberalisieren, indem die Kontrolle, die der Staat nach wie vor über Brennstoffe und Elektrizität ausübt, eingeschränkt wird. Die praktischen Folgen all dieser Maßnahmen werden wie ein Sprung vom Regen in die Traufe sein.

Arbeiter von Honda in einer Auseinandersetzung mit
offziellen Repräsentanten der Gewerkschaft nach einem Streik
in einer Autofabrik in Foshan am 31. März 2010.
Die großen makroökonomischen Fragen sind nicht das einzige Problem der chinesischen Kapitalisten. Die sozialen Unruhen, die durch die enorme Zunahme der Ungleichheiten verursacht werden, geben ihnen Anlass zur Sorge. Parallel zu den Wirtschaftsreformen wurden einige Änderungen in Bezug auf die Bürgerrechte angekündigt, um der Arbeiterklasse eine gewisse Hoffnung zu geben (Verschwinden der Umerziehungslager, in Wirklichkeit Sklavenarbeitslager, oder die Lockerung der Ein-Kind-Politik in bestimmten Fällen). Wir alle erinnern uns daran, dass es die chinesischen Arbeiter wegen der enormen Stärke und Schlagkraft ihrer Mobilisierungen in den Jahren 2011 und 2012 in die Seiten der westlichen Presse schafften. Der Anstieg des Klassenkampfes setzt sich fort: Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Streiks im Vergleich zu 2012 um 7%. Eines der drängendsten Probleme des Regimes besteht darin, dass die offiziellen Gewerkschaften, obwohl sie die einzigen legalen sind und auf staatliche Unterstützung zählen können, nicht in der Lage sind, die Entwicklung von Forderungen nach einer echten und demokratischen Vertretung in den Fabriken zu stoppen.

Ein zunehmend gefräßiger Imperialismus

Im Kapitalismus besteht eine enge und zerbrechliche Beziehung zwischen innerer sozialer Stabilität und Interventionen auf dem globalen Markt. Wie andere weiter entwickelte Länder ist China weniger denn je in der Lage, auf die Ausbeutung der weniger entwickelten Nationen zu verzichten. China braucht Rohstoffe, um seine Industrie zu einem niedrigen Preis zu beliefern, muss in neue Märkte eindringen und seine Dominanz auf anderen Märkten aufrechterhalten, um seine Waren verkaufen zu können. Die militärische Aufrüstung in Asien, deren Protagonisten China und die Vereinigten Staaten sind, ist nicht darauf zurückzuführen, dass sich die Kapitalisten der mit diesem Konflikt verbundenen Risiken nicht bewusst sind. Es ist die Antwort der verschiedenen nationalen Bourgeoisien auf die Krise der Überproduktion.

Nach fünf Jahren der Weltwirtschaftskrise sieht sich der chinesische Riese mit zahlreichen Problemen konfrontiert, sogar mit manchen zusätzlichen Schwierigkeiten, die seine Konkurrenten nicht in dem Ausmaß haben. In China konzentrieren sich 22% der Weltbevölkerung, aber nur 6% der Wasserreserven und 7% des Ackerlandes. Diese Realität hat die chinesische Bourgeoisie an die Spitze der Vertreter der imperialistischen Plünderung gedrängt. Vor einigen Monaten kam der in der Ukraine verhandelte Vertrag ans Licht: Die Verfassung dieses Landes wurde so geändert, dass in den kommenden Jahren 5% seiner Fläche, 29.000 km², die der Fläche Galiziens[1] entsprechen, an China verkauft werden können.[2] Die Gesetzesvorlage für die Wirtschaftsbeziehungen mit China stellt auch einen schweren Schlag für die industrielle Entwicklung der Länder dar, in denen China am intensivsten interveniert. Nach Angaben der CEPAL entfielen von den 250.000 Millionen Dollar, die der Handelsaustausch zwischen Lateinamerika und China im Jahr 2012 ausmachte, mehr als 80% der Deviseneinnahmen der amerikanischen Länder auf fünf Rohstoffe, während die chinesischen Einnahmen zu mehr als 90% aus der Produktion stammten.

Hinter den roten Fahnen der chinesischen KP verbirgt sich eine ehrgeizige Bourgeoisie, die den vom stalinistischen Regime geerbten Staat nutzt, um die kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse umfassend zu restaurieren. Ende Januar 2014 wurde die massive Nutzung von Steueroasen durch Angehörige von KPCh-Führern bekannt, die sie nutzten, um Milliarden von Dollar aus dem Land zu schaffen. Unter ihnen sind der Schwager von Xi Jinping, dem derzeitigen Präsidenten, der Sohn und Schwiegersohn des ehemaligen Premierministers Wen Jiabao und die Tochter seines Vorgängers Li Peng. Die klaffende soziale Ungleichheit, die in den Vereinigten Staaten und Europa in der Hitze des Booms und der Krise gewachsen ist, hat das Bewusstsein und den Kampf der Arbeiter auf ein Niveau getrieben, das nur mit historischen Perioden verglichen werden kann, die den Ausbruch revolutionärer Krisen ankündigten. Im neuen kapitalistischen China wird es nicht anders sein.