Exekutivkomitee von Izquierda Revolucionaria
(Schwestersektion von Offensiv im spanischen Staat)
erschienen auf Spanisch am 07. Januar 2020.
(Schwestersektion von Offensiv im spanischen Staat)
erschienen auf Spanisch am 07. Januar 2020.
Pedro Sánchez ist mit zwei Stimmen Vorsprung zum Präsidenten
gewählt worden. Diese Tatsache spiegelt die tiefe politische Polarisierung
wider, in die wir eingetaucht sind, und leitet eine heiße Legislaturperiode von
historischer Bedeutung ein. Zum ersten Mal seit September 1936 kommt eine
Koalition aus den beiden großen Parteien der reformistischen Linken, der PSOE
und Unidas Podemos, an die Macht.
Für Millionen von linken Wählern ist die Bildung dieser
Regierung nicht nur eine Erleichterung. Nachdem sie gesehen haben, was im
Parlament passiert ist, empfinden viele Kämpfer und Aktivisten heute ein Gefühl
der Entrüstung. Der Klassenhass der Rechten auf alles, was einen Schritt zur
Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiterfamilien, in den Forderungen der
unterdrückten Nationen und Völker, im Kampf gegen Gewalt an Frauen und für
demokratische Rechte darstellt, hat sich mit all seiner Härte offenbart.
Was am 4., 5. und 7. Januar passiert ist, erinnert an die
Parlamentssitzungen der Zweiten Republik, als Gil Robles und Calvo Sotelo ihre
Putsch-Tiraden schmetterten. Dieselben Bezeichnungen als „Verräter“, „Terroristen“, „Kommunisten“, „Mörder“, „Separatisten“ und dieselbe Verachtung, die die Hauptrolle beim faschistischen
Aufstand vom 18. Juli 1936 spielte und uns in eine blutige Diktatur stürzte.
Sie sind die gleiche Oligarchie, verbunden durch eine gemeinsame Tradition.
Das Wüten der Führer von PP, Vox und Cs auf der Tribüne
macht klar, dass sie keine Ruhe geben und alle ihnen zur Verfügung stehenden
Mittel einsetzen werden, um jede Maßnahme zu sabotieren, die ihren Interessen
zuwiderläuft. Erst in diesen Tagen haben wir alle möglichen Manöver erlebt, von
den Aufrufen zum Fraktionswechsel von Inés Arrimadas und dem Druck auf den
einzigen Abgeordneten von Teruel Existe bis hin zur antidemokratischen
Ungeheuerlichkeit des Zentralen Wahlausschusses (JEC), den Präsidenten der
Generalitat de Catalunya für amtsunfähig zu erklären.
Das reaktionäre Pack wird sich nicht fügen
Jeder Anspruch, zwischen einer „vernünftigen"
Rechten und der extremen Rechten zu unterscheiden, ist durch die Ereignisse
widerlegt worden. Als Pablo Casado Sánchez drohte, ihn wegen Rechtsbeugung vor
Gericht zu bringen, falls er Quim Torra nicht sofort entlasse, klaute er die
Rede von Santiago Abascal, der die gleiche Drohung aussprach und forderte, die
Guardia Civil solle den Präsidenten der Generalitat verhaften. Beide
bezeichneten die Koalitionsregierung als „sozialkommunistisch“, sie
würde das Land in den „bolivarischen“ Ruin führen und der „Freiheit“ ein Ende machen.
Die beiden wetteiferten um die gröbsten Beleidigungen. Der
Führer der PP nannte Sánchez einen „Soziopathen“, warf ihm „Wahlbetrug“ und mangelnde „Legitimität“ vor, weil er „mit den Erben von Batasuna“ und den „Putschisten, die Spanien
zerreißen“ paktiere. Der Vox-Führer nannte die Regierung „antispanisch und verfassungsfeindlich“ und nicht „legitim“. Erwähnung verdienen außerdem die Herabsetzungen gegen die
Abgeordneten von Bildu, ERC oder JxC. Der spanisch-nationalistische Hass passte
nicht mehr in den Plenarsaal.
Es gab eine millimetergenaue Kampagne unter Beteiligung der
CEOE, der rechten Medien und natürlich der Bischofskonferenz, deren höchste
Vertreter, Ricardo Blázquez, Erzbischof von Valladolid, und Antonio Cañizares,
Erzbischof von Valencia, angesichts der „kritischen Situation, in der sich
das Land befindet“, alle ihre Gemeindemitglieder aufriefen, „für
Spanien zu beten“.
Die Koalitionsregierung
Es wäre ein Fehler, nicht zu verstehen, dass diese Koalition
das Ergebnis der großen Massenmobilisierungen ist, die seit 2011 in Spanien
stattfinden. Die Explosion vom 15. März und die Generalstreiks, die Wellen zur
Verteidigung des öffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesens, die Märsche für
die Würde, die Jugendmobilisierungen gegen den Klimawandel, die
Massendemonstrationen der Rentner, die großen feministischen Streiks vom 8.
März und die Bewegung des katalanischen Volkes für das Recht auf
Selbstbestimmung und die Republik... haben den Sturz der alten politischen
Elite bewirkt.
Aber wenn der Applaus, die brüderlichen Umarmungen und die
Tränen der Rührung einmal vergessen sind, werden die Widersprüche, die sich in
der Gesellschaft erhärtet haben, wieder die Bühne einnehmen. Dann eröffnen sich
für Pedro Sánchez und Pablo Iglesias zwei Optionen: entweder die Kapitulation
vor der Reaktion und den großen Wirtschaftsmächten, die hinter ihr stehen (dem
Beispiel von Tsipras in Griechenland folgend), oder eine harte Konfrontation
mit ihnen allen, um zugunsten der Arbeiter, Jugend und Ausgebeuteten zu
regieren.
Deshalb ist es wichtig, sich an die kühnen Worte von Pablo
Iglesias zu erinnern, als er erklärte, dass die neue Exekutive die „Erfahrung“ der Sozialisten mit „Frische“ von Unidas
Podemos verbinden wird. Die „Erfahrung“ der PSOE in La Moncloa als
Stütze des Regimes von '78 ist der Arbeiterbewegung und Jugend, den sozialen
Aktivisten oder dem katalanischen und baskischen Volk nur zu gut bekannt. Wir
vergessen ihre Politik der Kürzungen, Konterreformen und des schändlichen
Einknickens vor dem spanischen Nationalismus nicht. Wird die Sozialdemokratie
dank der Minister von Unidas Podemos ihren Kurs ändern?
Pablo Iglesias' Rhetorik über die „Frische“ von
Unidas Podemos kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie seit Jahren die
soziale Mobilisierung durch bloße institutionelle Beteiligung ersetzt haben und
wenn sie wichtige Positionen an der Spitze großer Stadträte besetzt haben,
haben sie die meisten der geweckten Erwartungen enttäuscht. Heute bekennen sie
sich zur Verfassung und zeigen sich als unerschütterliche Anhänger desselben
Regimes, das sie bis vor kurzem noch behauptet haben zu bekämpfen.
Und in diesen Kontext müssen wir das Programm der
Koalitionsregierung und seine wahre Reichweite stellen. So sehr sie sich auch
als Bruch mit früheren Politiken darstellen will, ihre Halbheiten und
Beschränkungen stellen eine solche Sichtweise in Frage.
1. Im Bildungsbereich schlagen sie vor, das LOMCE durch das „Ley Celaá“ zu ersetzen und im Fach Religion nicht mehr zu bewerten.
Aber die religiöse Indoktrination in den öffentlichen Schulen wird weitergehen,
ebenso wie die Milliarden Euro im öffentlichen Haushalt, mit denen
Privatunterricht subventioniert wird.
2. Es ist die Rede davon, die „schädlichsten“ Aspekte der Arbeitsreform von 2012 zu beseitigen, wie etwa Entlassungen
aufgrund von krankheitsbedingten Fehlzeiten. Aber die Senkung der Kosten für
Entlassungen, der Wegfall der Gehaltsansprüche bei unrechtmäßigen Kündigungen,
die Abschaffung der Genehmigungspflicht, um betriebsbedingte Kündigungen
durchzusetzen oder die Vertragsauflösung durch die Unternehmen werden nicht
angetastet.
3. Die Einkommenssteuer wird für Einkommen über 130.000 Euro
um zwei Punkte und für Einkommen über 300.000 Euro um vier Punkte erhöht, aber
es werden keine bedeutenden Maßnahmen gegen Steuerbetrug ergriffen. Die
Vereinbarung umfasst auch die Erhöhung des Mindestlohns während der
Legislaturperiode, die „Nachhaltigkeit und Angemessenheit des öffentlichen
Rentensystems“ im Rahmen des Toledo-Pakts - jedoch ohne die vorherigen
Konterreformen aufzuheben - und verschiedene Maßnahmen zur „Eindämmung des
Mietpreisanstiegs“, ohne die meisten davon zu konkretisieren.
4. Das Ausländerrecht bleibt so, wie es ist. Die Politik der
Internierungslager für Immigranten wird fortgesetzt und die rassistischen und
fremdenfeindlichen Rechtsvorschriften, die die EU gegen Flüchtlinge erlassen
hat, werden respektiert.
5. Obwohl die „sofortige Rückgabe“ des Pazo de
Meirás und eine Prüfung der „vom Franco-Regime geplünderten
Vermögenswerte, um sie ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben“ vorgeschlagen wird, wird nicht von der Verfolgung der Verbrechen des Frankismus
und der politischen und wirtschaftlichen Wiedergutmachung für seine Opfer
gesprochen.
6. Einmal mehr werden allgemeine Vorschläge gegen Gewalt an
Frauen, „Leihmutterschafts“-Agenturen und zur Verteidigung der Rechte
von LGTBI gemacht. Aber 2019 endete mit der höchsten Zahl an ermordeten Frauen
in den letzten Jahren.
7. Außerdem wird ein neues Gesetz zur Sicherheit der Bürger
vorgeschlagen, welches das „Ley Mordaza“ (Knebelgesetz) ersetzen
soll, dessen Kleingedrucktes noch abzuwarten bleibt, aber der Digital-Erlass,
der einen Anschlag auf die Meinungsfreiheit darstellt, wird beibehalten.
8. Im wirtschaftlichen Bereich werden „die Mechanismen
der Haushaltsdisziplin zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit der öffentlichen
Finanzen“ eingehalten, mit anderen Worten: die von der Europäischen Union
auferlegte Politik der Kürzungen und Sparmaßnahmen wird übernommen.
Nichts liegt uns ferner als uns in sektiererischer
Herabsetzung zu üben, aber in der Politik müssen wir ernsthaft sein. Wer A
sagt, wird unweigerlich B, C, D und den Rest des Alphabets sagen.
Das Recht des katalanischen Volkes auf Selbstbestimmung
Die Amtseinführung von Sánchez wäre ohne die Enthaltung der
13 Abgeordneten von Esquerra Republicana dank der Verständigung mit der
Pro-Unabhängigkeitspartei nicht möglich gewesen. Dazu hat auch das Urteil des
Europäischen Gerichtshofs (EuGH) beigetragen, das die repressiven Manöver des Obersten
Gerichtshofs zurückweist und Junqueras, Puigdemont und Toni Comín als
Abgeordnete des Europäischen Parlaments Immunität gewährt.
Die entscheidende Frage ist, was passiert, wenn die
Zentralregierung und die Generalitat sich zu Verhandlungen zusammensetzen. Es
ist mehr als offensichtlich, dass die derzeitige Führung der PSOE niemals die
katalanische Republik oder das Recht auf Selbstbestimmung akzeptieren wird. Sie
wird dies nicht tun, weil sie zu eng mit dem Regime von 78, dem Staatsapparat
und der Bourgeoisie verbunden ist.
Die Führung der ERC denkt, dass dieser Pakt zusammen mit der
Freilassung von Oriol Junqueras aus dem Gefängnis, um seine MdEP-Akte zu
erhalten, und der Aussicht auf eine Situation der Halbfreiheit für den Rest der
politischen Gefangenen auf mittlere Sicht die Gemüter beruhigen könnte. Aber
diese Pläne kollidieren mit der frankistischen Justiz und der wütenden
Kampagne, die die Rechte und Ultrarechte entfesselt. Sie unterschätzen auch das
Niveau, das die Mobilisierung der Bevölkerung in Katalonien erreicht hat, und
den Fortschritt im Bewusstsein von Hunderttausenden von Jugendlichen und
Arbeitern, die nicht bereit sind, sich mit heißer Luft zu begnügen.
Nur die Mobilisierung auf den Straßen wird die Kürzungen
stoppen, Rechte erkämpfen und die Frankisten besiegen!
Die spanische Bourgeoisie beklagt seit Jahren den Mangel an
politischer Stabilität. Sie will nicht verstehen, dass dies der Preis für die
Krise des Kapitalismus, die endlosen Kürzungen, die himmelschreiende soziale Ungleichheit
und eine repressive Gesetzgebung ist, die sozialen Widerstand niederhalten und die demokratischen Rechte untergraben soll. Der wachsende Vertrauensverlust, der das Regime von '78 erschüttert, fällt nicht vom Himmel, sondern ist die Folge der explosivsten Periode des Klassenkampfes seit dem
Ende der Franco-Diktatur.
Aber etwas am heutigen Zustand stimmt nicht. Es kann nicht funktionieren, wenn Pablo
Casado und Santiago Abascal immer wieder an die Gesetzgebung von '78 appellieren,
um den König hochleben zu lassen, und Sánchez und Iglesias
anzugreifen, und letztere greifen auf dieselbe Verfassung zurück, um sich zu
verteidigen. Dieses Spiel soll den Kern des Problems verbergen: Das aus der Zeit des Übergangs geborene Regime dient nicht zwei Herren. So sehr die parlamentarische
Linke es auch leugnet, seine Funktion ist es, die Interessen der
kapitalistischen Oligarchie und ihres Herrschaftsapparates zu schützen.
Die Führer von Unidas Podemos und PSOE wollen uns schon
jetzt darauf vorbereiten, dass es bei der aktuellen Zusammensetzung des Parlaments unumgänglich
sein wird, Zugeständnisse in zentralen sozialen und politischen Fragen zu machen. Und hier kommen wir zurück
zu einem essenziellen Punkt. Es ist unmöglich, große soziale Veränderungen
durchzusetzen, wenn man sich gleichzeitig von den Wechselbeziehungen der parlamentarischen
Kräfte, dem institutionellen Spiel und den Gerichten abhängig macht, die in der
Klassengesellschaft immer unter der festen Kontrolle der Kapitalisten stehen.
Genau das Gegenteil funktioniert. Um die parlamentarische
Schwäche zu überwinden, und diese Regierung hat viel davon, ist es absolut
notwendig, sich auf die Mobilisierung der Massen zu stützen. Indem wir eine
große Bewegung auf den Straßen, in den Betrieben, in den Stadtvierteln
aufbauen, die den Kampf aller Sektoren gegen die Politik der Kürzungen und
Sparmaßnahmen, gegen die Repression und zur Verteidigung unserer sozialen,
wirtschaftlichen und politischen Rechte vereint, können wir die Reaktion
niederringen.
Leider hat keiner der kommenden Minister von Unidas Podemos
etwas in dieser Richtung erwähnt. Keiner von ihnen stellt die Rolle von Nadia
Calviño in Frage, die aus dem Wirtschaftsministerium die Fortführung
der Politik sichern wird, die am meisten dem IBEX 35, den Banken und der EU
nützt. Ganz im Gegenteil. Es scheint so, dass sie, um ihre neue Regierungsposition
zu sichern, versuchen werden, den sozialen Frieden zu wahren, wie sie es
bereits tun, indem sie sich gegen den Generalstreik am 30. Januar im Baskenland
stellen und den unsozialen Haushaltsplänen der PNV im baskischen Parlament
zustimmen. Das ist ein schwerer Fehler.
In den kommenden Monaten werden viele Widersprüche die neue
Regierung einholen, wenn sie die Quadratur des Kreises versucht und in Konflikt
mit ihrer sozialen Basis gerät. Aber Naivität und blindes Vertrauen sind einer
kritischeren und bewussteren Haltung gewichen, zumindest unter wichtigen
Schichten der neuen Generation von Kämpfern. Die Welt hat stark
verändert, und 2019 ist ein gutes Beispiel dafür. Die Aufstände in Chile,
Ecuador, Kolumbien, Algerien, Libanon, Irak... oder der Generalstreik der
französischen Arbeiterklasse zeigen, dass es die Kraft und Entschlossenheit
gibt, sich nicht nur der extremen Rechten und der neoliberalen Politik
entgegenzustellen, sondern auch die Gesellschaft zu verändern.
Pablo Iglesias erklärte bei der Vorstellung des
Regierungsprogramms, dass „die grundlegende Herausforderung darin besteht,
das 'Sí se puede' (Yes we can) in eine aktive Regierungspolitik
umzusetzen“. Wir nehmen ihn beim Wort.