von Katharina Doll
Dieser Beitrag wurde in Offensiv (Hamburg) diskutiert und überarbeitet und
schließlich in dieser Form beschlossen.
Foto: Plakat unserer Schwesterorganisation Izquierda Revolucionaria im Spanischen Staat: "Organisier dich und kämpfe - gegen die Drogen"
Ob Alkohol und Nikotin im Alltag, Crystal Meth
in Unterschichtsvierteln oder „Partydrogen“ wie MDMA in Berliner
Hipster-Ghettos: in dieser Gesellschaft sind Drogen Teil des Alltags. Jeder von
uns kommt mit dieser Realität in Berührung. Fast 2 Millionen Menschen in
Deutschland sind alkoholkrank.[1]
Über 20 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Raucher[2]
und geschätzt bis zu 180.000 Menschen abhängig von Opiaten.[3]
Laut dem „European Centre For Drugs And Drug Addiction“ sind Chemnitz, Erfurt
und Dresden heute die Top Drei der „Crystal-Hauptstädte“ Europas[4]
und der deutsche Markt der wichtigste Abnehmer des osteuropäischen
Metamphetamins.[5]
In den Gegenden, wo der Drogenkonsum zunimmt,
hat das soziale Gründe. Beispiel Ostdeutschland: dort hängt es zusammen mit der
Deindustrialisierung und damit, dass heute nur noch ein kleiner Teil der
Industriejobs existieren, die es dort vor der Restauration des Kapitalismus
gab. Mit den sozialen Angriffen der 90er- und 2000-Jahre und damit, dass ganze
Familien in der Region in Armut abgerutscht sind.
Sieht man sich die Lebensverhältnisse
international an, so wird in Bezug auf härtere Drogen noch deutlicher, dass die
Ideologie vom hippen „Work hard play hard“-Lifestyle, vom sauberen Koksen und
der „Partydroge“ zur Freizeitgestaltung nur eine dünne und meist wohlhabendere
Schicht dessen repräsentiert, was der Drogenkonsum für die einfache Bevölkerung
bedeutet. Die Crack- und Kokainepidemien in Nicaragua, Brasiliens Cracolândia (Crackland), Jugendliche auf
Perus Straßen mit zerfressenen Zähnen, kaputter Haut und vor allem einem
zerstörten Leben. Und auch wenn das in Deutschland deutlich seltener vorkommt –
es ist nicht so, als würde es eine solche Lebensrealität in deutschen
Armenvierteln nicht geben!
Trotzdem: ob Drogen nun Fluch oder Segen sind,
ob wir für Kriminalisierung oder Liberalisierung eintreten und wie eine
„fortschrittliche“ Kultur an der Drogenfrage aussieht; all das ist unter vielen
Linken umstritten. In einigen Gruppen scheint die Haltung verbreitet zu sein,
all das, was sich im illegalen Rahmen bewegt, sei subversiv und
fortschrittlich. „Hauptsache es knallt“ titelte ein Sticker der Linksjugend Thüringen
im Jahr 2017, der sich für „progressive Drogenpolitik“ einsetzen soll und ein
junges Mädchen zeigt, das mit Röhrchen in der Nase eine Line zieht.
Andere – vernünftigere – Teile der politischen
Linken argumentieren, eine liberale Drogenpolitik sei nötig, um die repressive
Verfolgung Süchtiger durch den Staat zu bekämpfen und eine Aufrüstung des
Polizeiapparats unter dem Vorwand der „Drogenbekämpfung“ zu verhindern. Doch
ist es richtig, sich deshalb das „Recht auf Rausch“ auf die Fahnen zu schreiben,
jede Warnung vor einer bürgerlich-liberalen Drogenpolitik über Bord zu werfen und
Hanfblätter auf politischen Plakaten zu glorifizieren?
Der
„Sinn“ des Drogenkonsums in der Klassengesellschaft
Schon früh in der Arbeiterbewegung spielte die
Frage von Alkohol und Rausch eine wichtige Rolle, weil sie auch in der
Lebensrealität der Arbeiter und Bauern einen hohen Stellenwert einnahm. Die
beengte Realität des bäuerlichen Lebens und die Umstände der Arbeiterklasse in
der frühen Industrialisierung ließen wenig Raum für Freizeit und Erholung.
Entsprechende Möglichkeiten mussten überhaupt erst durch Teile der Arbeiterbewegung
erkämpft werden. Um diese Realität ertragbar zu machen und so den Kampf für
eine Verbesserung dieser Umstände zu schwächen, ließen einige Unternehmer in
der Frühzeit der Industrialisierung in den eigenen Fabriken Schnaps an die
Arbeiter ausschenken, der Kneipenbesuch zu Feierabend gehörte für die meisten
vor allem männlichen Arbeiter zum Alltag.
Damals wie heute hatten Drogen den Zweck, die
eigene Lebensrealität mithilfe des Rauschs vergessen zu machen. Es gibt einen
Grund, warum sich für so viele der Rausch besser anfühlt als die nackte
Realität: Drogen täuschen uns über das Übel der Welt hinweg und vernebeln
unsere Sinne. Genau mit diesem Zweck wurden und werden sie gestern wie heute
von den Vertretern der herrschenden Klasse eingesetzt, die den Drogenhandel und
–konsum entsprechend den eigenen Interessen ausgestalten. Im südamerikanischen
Bergbau wie in der Silbermine von Potosí gehört der Drogenkonsum zum Tagesritual
der Kumpel, die den ganzen Tag kaum Tageslicht sehen, von klein auf in der
Miene arbeiten und oft mit rund 30 Jahren an den Folgen ihrer Arbeit sterben. Arbeiter
in Bangladeschs Textilfabriken konsumieren Yaba, um den Alltag zu ertragen. Im
Kampf der US-Regierung gegen die Schwarzenbewegung wurden Drogen in schwarzen
Ghettos verbreitet, um den Widerstand zu brechen. Der militärische Kampf, den
die US-Regierung mithilfe der Contra-Milizen gegen die nicaraguanische Sandinisten-Regierung
führte wurde nicht zuletzt finanziert durch den Handel von Crack in die
Vereinigten Staaten, was dort zu einer massiven Crack-Epidemie führte.
Aber auch weniger drastische Beispiele machen
den „Zweck“ des Drogenkonsums im kapitalistischen Alltag deutlich. Auch der
regelmäßige Konsum von Cannabis nach einer anstrengenden Schicht oder die weite
Verbreitung aufputschender Drogen im Gastronomiebereich sagt viel darüber aus,
dass Drogen nicht nur zum Vergnügen genommen werden, sondern ganz bewusst, um
den eigenen Lebens- und Arbeitsalltag erträglicher zu machen oder ihn überhaupt
bewältigen zu können.
Kriminalisierung
vs. Liberalisierung
Um also beantworten zu können, was eine
wirklich fortschrittliche Position zur Frage der Drogen ist, muss zuerst die
Frage gestellt werden, wessen Interesse sowohl die Verbreitung als auch die
Kriminalisierung von Drogen in der bürgerlichen Gesellschaft dienen. Dabei muss
erst einmal festgestellt werden: weder Kriminalisierung noch Liberalisierung
allein werden die Frage der Drogen im Interesse der lohnabhängigen Bevölkerung lösen.
Es gehört zum Wesen des bürgerlichen Staates, seine Gesetze (seien sie nun „liberal“
oder repressiv) im Interesse der herrschenden Klasse auszugestalten. Mit der
Frage der richtigen Maßnahme in der Drogenpolitik muss also immer die Frage
einhergehen, in wessen Interesse eine solche Maßnahme durchgeführt wird. Und
das ist in allen Fällen eine Frage vom Machtverhältnis zwischen den Klassen.[6]
Wie die „Drogenbekämpfung“ durch die Organe des
bürgerlichen Staates ausgeführt wird, ist mehr als offensichtlich. Der „Kampf
gegen die Drogen“ wird gewöhnlich als Vorwand genutzt, die staatlichen
Repressionsorgane auszubauen. Kurz vor dem G20-Gipfel in Hamburg wurden durch
den Polizeichef Andy Grote völlig unverhältnismäßig militarisierte Polizeieinsätze
gegen kleinere Dealerstrukturen in der Hamburger Hafenstraße veranlasst, um
eine weitere Aufrüstung zu rechtfertigen und die vorhandenen Sonderkommandos zu
testen. Ähnliche Beispiele in anderen Ländern und Städten gibt es wie Sand am
Meer. Und natürlich bedeutet „Drogenbekämpfung“ im bürgerlichen Staat auch,
dass es wie immer die Armen und Süchtigen sind, die am Ende in den Knästen
landen, während in vielen Ländern die großen Drogenbosse und Narcos eng
verbunden sind mit den Organen des bürgerlichen Staats und der herrschenden
Klasse.
Aus all diesen Gründen kommen Teile der
politischen Linken auf die Idee, eine liberale Drogenpolitik sei ein
erstrebenswerter Fortschritt und würde die Probleme lösen, die die
Kriminalisierungspolitik im bürgerlichen Staat bereitet. Aber das ist gerade
deswegen eine gefährliche Illusion, weil das kapitalistische System es ohne
Probleme schafft, derartige liberale Träume der kleinbürgerlichen Linken zu
integrieren und im Interesse der herrschenden Klasse auszugestalten. Und je
verbreiteter die Vorstellung ist, Drogenkonsum würde sich „gegen das System“
richten und das Hanfblatt oder sogar die Line Koks wären Symbole einer
„subversiven Kultur“, desto weniger Bewusstsein wird es auch für Maßnahmen
geben, die der Arbeiterklasse schaden.
„Liberale“
Drogenpolitik: Ein Geschenk für die herrschende Klasse
Geht man durch einen deutschen Knast, wird man
viele Menschen treffen, die aus armen Schichten kommen und sehr häufig auch im
Gefängnis noch Drogen nehmen. Es gehört zum Wesen des bürgerlichen Staats, dass
reiche Verbrecher in Freiheit leben, während die Gruppe der Knastbewohner sich
aus den ärmsten Schichten der Gesellschaft rekrutiert. Drogen werden in diesem
System genutzt, um die Ärmsten der Gesellschaft abhängig zu machen, ruhig zu
halten und hin und wieder zu kriminalisieren.
Aber wenn Repräsentanten der herrschenden
Klasse von „Liberalisierung“ sprechen, dann ist damit nicht gemeint, Arme und
Ausgestoßene von den Ketten der Kriminalisierung zu befreien. Gemeint ist, dass
bürgerliche Großkonzerne auf der Jagd nach Investitionsfeldern in das Drogengeschäft
einsteigen. Seit der Legalisierung von Cannabis in Kanada ist dort ein Markt
von tausenden Millionen Dollar entstanden, den sich multinationale Großkonzerne
untereinander aufteilen. Auch Coca Cola hat angekündigt in den Cannabismarkt
einzusteigen. Und gerade in Zeiten von Rezession und Stagnation, wie wir sie
erleben werden, bezeichnen einige Marktanalysten den Cannabishandel auf einem
liberalisierten Markt heute als das „grüne Gold“ das den Aktienkursen auf die
Sprünge helfen wird.[7]
Doch leider ist selbstverständlich, dass eine
solche Politik der Liberalisierung nicht für, sondern gegen unsere Interessen
durchgesetzt werden wird. Wenn multinationale Großkonzerne in den Markt mit den
Drogen[8]
einsteigen, bedeutet das, dass sie systematisch die Folgeschäden von Drogen
herunterspielen und dahingehend auch auf die Medienwelt Einfluss nehmen werden.
Dass ein öffentliches Bewusstsein zu den Folgeschäden des Rauchens entstanden
ist, war das Ergebnis jahrzehntelanger Kämpfe mit einer korrupten und
milliardenschweren Tabakindustrie, die in den 90er-Jahren den vertriebenen
Tabak noch mit Cumarin und Ammoniak gemischt hat, um seine suchterzeugende
Wirkung zu erhöhen. Und auch heute schon mangelt es, was die sogenannten
„weichen“ Drogen wie Cannabis angeht, an Bewusstsein für mögliche Folgeschäden,
gerade bei regelmäßigem Konsum. Immer wieder treten bei regelmäßigen
Konsumenten von Cannabis vor allem psychische Folgeschäden auf, wie Psychosen,
paranoide Schübe und Angstgefühle. Doch in diesem Gebiet gibt es kaum
Aufklärung, weil Cannabis allgemein für eine „weiche“ und unschädliche Droge
gehalten wird.
Dazu ist auch zu sagen, dass es nicht nur beim
Weg „in den Drogensumpf“ sondern vor allem auch auf dem Weg hinaus erhebliche
Unterschiede gibt, je nachdem, aus welcher sozialen Schicht man kommt. Reichen
mag es möglich sein, sich für ein halbes Jahr in eine private Entzugsklinik zu
begeben, psychische Probleme behandeln zu lassen und eine zeitlang aus dem
Arbeitsleben auszuscheiden. In ärmeren Schichten geht der soziale Abstieg viel
schneller und ist viel endgültiger. Und gerade für diese Schichten hält die
bürgerliche „Liberalisierungspolitik“ keine Lösung bereit, und das aus
verschiedenen Gründen.
Die von den vernünftigeren Vertretern einer
liberalen Drogenpolitik oft vertretene Position der „sicheren Injektionsräume“
ist an und für sich – wenn es rein um die gesundheitliche Betreuung und eine
sichere Umgebung zur Drogeneinnahme geht und um eine erste Kontaktstelle zu
wirklichen Entzugs- und Hilfsangeboten – nicht falsch. Gleichzeitig muss man
auch die sicheren Injektionsräume im Gesamtkontext sehen, und dazu gehört auch
der anhaltende Mangel ernsthafter Entzugsprogramme, einer langfristigen
psychosozialen und gesundheitlichen Betreuung von Süchtigen, ernsthaften
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, ausreichenden Sozialleistungen und mangelnder
Wohnraum. In Verbindung mit all diesen Problemen stellt der „sichere
Injektionsraum“ nicht eine „Lösung“ des Drogenproblems dar, sondern eine
Sparmaßnahme. Er ist das günstigste Angebot, um das Drogenproblem mit geringem
Kostenaufwand scheinbar zu bekämpfen und auf den Straßen möglichst unsichtbar
zu machen. Die meisten von harten Stoffen Abhängigen befinden sich so in einem
ständigen Hin und Her zwischen den Straßen um den Frankfurter Hauptbahnhof oder
den Münchner Katakomben und ab und an geöffneten sicheren Injektionsräumen.
Dieses Konzept der „sozialen Arbeit“ soll eigentlich den Zustand des Elends
aufrechterhalten und ähnelt dem der „akzeptierenden Arbeit“ in der
Prostitution, die ebenfalls ein soziales Problem erträglich gestalten soll,
anstatt Perspektiven für das Leben der betroffenen Menschen und soziale
Absicherung zu bieten.
Dazu kommt, dass gerade Abhängige aus ärmeren
Schichten auch nach Einführung eines liberalen und legalen Drogenmarktes oft
gar nicht die ökonomischen Mittel haben, das Feld der Illegalität zu verlassen.
Sie rutschen in die Beschaffungskriminalität – und das Problem der
Kriminalisierung ist auch hier wieder nicht gelöst.
Auch „teure“ reine Drogen in der Apotheke
würden das Problem der Drogenabhängigkeit in Armut nicht lösen. Gerade Zeiten
großer sozialer Krisen, wie im Griechenland der Wirtschaftskrise, die breite
Massen der Arbeiterklasse ins Elend stoßen, führen oft zu Drogenepidemien auf
den Straßen. Und es ist relativ sicher, dass im Griechenland der Krise, als
sich griechische Frauen am Straßenrand für einen BigMac prostituiert haben und
Abhängige auf den Straßen Sisa aus Autobatterien konsumieren, saubere Drogen
aus den Apotheken für die Masse der Abhängigen kaum leistbar gewesen wären.
Natürlich könnte man fordern, den sauberen Konsum
bestimmter Wirkstoffe auf staatlichem Weg zu ermöglichen. In manchen Fällen –
bei bestimmten Schmerzkrankheiten oder Ähnlichem – mag das auch nicht verkehrt
sein. Aber ist das der richtige Weg für die „breite Masse“ der Abhängigen? Dazu
müsste man die Frage beantworten, ob der Drogenkonsum überhaupt
gesellschaftlich nützlich und gewollt ist, oder ob wir nicht doch für
Alternativen wie Entzug, psychische und gesundheitliche Unterstützung, gute
Arbeit und eine Erhöhung der Sozialleistungen eintreten sollten.
Für
unsere Interessen kämpfen! Nein zur Kultur des bürgerlichen Verfalls!
Das führt uns zum letzten Punkt: unsere Haltung
zu den Drogen bemisst sich nicht nach der Frage von Liberalisierung und
Kriminalisierung, und auch nicht nach der Frage von Asketismus und abstraktem
Moralismus. Wir müssen die Frage beantworten, was der Arbeiterbewegung
subjektiv nützt und was uns schadet; in welcher Gesellschaft wir leben wollen.
Ähnlich wie bei der Frage der Prostitution ist auch das eine normative Frage, abhängig
vom subjektiven Klasseninteresse.
Wir lehnen Abhängige nicht ab, aber wir hassen
ein System, das gerade Menschen aus verarmten Schichten in die Abhängigkeit
stößt, ohne einen Weg aus Sucht und Beschaffungskriminalität zu bieten. Der
Drogenkonsum ist kein Ausweg aus dem Elend dieser Gesellschaft, sondern ein
Teil davon und ein Mittel das Elend aufrecht zu erhalten. Auch deshalb hat ihn
eine Reihe von Organisationen der Arbeiterbewegung bekämpft. Der
Arbeiterabstinentenbund der deutschen Sozialdemokratie veröffentlichte
Schriften, um das Bewusstsein über Alkoholkonsum und Alkoholkrankheit unter
Arbeiterinnen und Arbeitern zu fördern. Konfrontiert mit der von der CIA
organisierten Drogenepidemie in den Schwarzenghettos entwickelte die Black
Panther Party ein Regelwerk, das die Mitführung von Cannabis und Narkotika bei
der Parteiarbeit strikt untersagte. Auch in der russischen Oktoberrevolution
vertrat die bolschewistische Partei ein Programm zur Eindämmung von
Alkoholexzessen. 1917 gab Leo Trotzki den Befehl, den Weinvorrat in ganz
Petrograd zu vernichten um zu verhindern, dass der Alkoholkonsum
Desorganisation in die sowjetischen Truppen trägt. Erst 1922 wurde der
Alkoholhandel in Sowjetrussland – aufgrund massiver ökonomischer Engpässe –
wieder legalisiert.
Drogenkonsum in der Arbeiterbewegung
zurückzudrängen bedeutet nicht, einzelne Süchtige zu kriminalisieren. Es
bedeutet, den gemeinsamen Kampf aufzunehmen für ein lebenswertes Leben mit
sozialer Sicherheit und guter Arbeit für Alle, für die volle Ausfinanzierung von
Entzugsprogrammen, psychosozialen Versorgungsstätten und Gesundheitszentren in
den Stadtteilen, massiven Beschäftigungs- und Wohnbauprogrammen und für ein
Leben, das auch ohne Drogen lebenswert ist. Denn das, und nicht der Mangel an
legalen Partydrogen, ist das soziale Problem in deutschen sog.
„Problemvierteln“.
Gleichzeitig sind weder die Dealerei noch der Drogenanbau
Beschäftigungsformen, die von der proletarischen Bewegung unterstützt werden
sollten. Wenn es darum geht, Dealerstrukturen in den Wohnvierteln
zurückzudrängen, bedeutet das nicht automatisch, eine Aufrüstung des
Polizeiapparats zu fordern. Als in den 80er-Jahren das Kokain die Viertel
Galiziens in Spanien überschwemmt hat, kam es zu einer Bewegung einfacher
lohnabhängiger Mütter, die die Dealerstrukturen ihrer Viertel aufgesucht haben,
die Dealer geoutet und Widerstand dagegen geleistet haben, dass ihre Drogen die
Zukunft ihrer Söhne und Töchter zerstörten.
Mit der Frage der Dealerei hängt auch die Frage
zusammen, was aus unserer subjektiven Sicht gesellschaftlich nützliche und
wünschenswerte Arbeit ist. Das beantwortet auch den Vorwurf einiger Linker, die
sagen, die Legalisierung von Drogen sei nötig, um „die Gründung von
Betriebsräten im Drogenanbau“ zu ermöglichen. Aber man kann nicht bei jeder
Form der Arbeit argumentieren sie sei richtig, denn die würde die Gründung von
Betriebsräten und die Schaffung von Jobs ermöglichen. Wir sind für
Arbeitermacht in den Betrieben, und dafür, dass die Arbeiterklasse selbst
entscheidet welche Art der Arbeit gesellschaftlich nützlich ist. Wir sind nicht
für Kriegseinsätze, nur weil sie Arbeitsplätze im Bereich der Waffenindustrie
fördern könnten. Wir sind für die Abschaffung der Prostitution, auch wenn es
natürlich unterstützenswert ist, wenn Prostituierte sich gegen ihre Unterdrücker
wehren. Für ärmere Viertel, in denen Drogen und Prostitution für manche der
einzige Weg sind um an Geld zu kommen, braucht es alternative Arbeitsbeschaffungsprogramme
und ein dichtes soziales Netz. Dazu gehört auch unsere Forderung nach einer
30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, mit der auch sofort
massenhaft neue Stellen geschaffen werden könnten.
Auch auf internationaler Ebene muss die Frage
des Drogenanbaus beantwortet werden. So ist die imperialistische Ausbeutung der
Länder des Nahen Ostens und Lateinamerikas der Grund, warum sich dort (aus
Mangel an konkurrenzfähigen Alternativen) der Drogenanbau zu einem der
profitabelsten Wirtschaftszweige entwickeln konnte. Dieses Problem kann nur auf
internationaler Ebene beantwortet werden: mit einem entschlossenen Kampf gegen
die imperialistische Ausbeutung auch in den imperialistischen Ländern selbst,
genauso wie mit lokalen Kämpfen in Mexiko, Kolumbien und vielen anderen Ländern
gegen die Korruption und Kriminalität der Narcos und für die Enteignung ihrer
Ländereien. Das bedeutet aber auch, dass diese Ländereien nicht in die Hände
von CocaCola und anderen Multinationalen fallen dürfen, sondern unter Kontrolle
der lokalen lohnabhängigen Bevölkerung und Bauern gestellt werden müssen. Es
braucht außerdem staatliche Aufbaupläne für eine regionale und vom
Imperialismus unabhängige Wirtschaft.
All diese Ziele – das Ende imperialistischer
Ausbeutung, Arbeitszeitverkürzung und Vollbeschäftigung, ein Ende
gesellschaftlich zerstörerischer Arbeitszweige wie die Rüstungsindustrie,
Drogenanbau oder Prostitution – wird der Kapitalismus nicht verwirklichen.
Deshalb verbinden wir den Kampf um die soziale Dekadenz und Zerstörungswut des
kapitalistischen Systems mit einem Kampf um das Ende kapitalistischer
Ausbeutung, für Arbeitermacht und die
Errichtung des Sozialismus im Weltmaßstab.
Drogenkultur
und linke Organisationen
Auch innerhalb linker Organisationen ist die
Frage der Drogen keine moralische Frage, sondern Klassenfrage.
Selbstverständlich geht es dabei nicht darum, das Privatleben des Einzelnen zu
durchleuchten oder zu leben wie ein Mönch. Dennoch ist eine kapitalistische
Kultur, die eine Jugendkultur des „leeren Lebens“ in düsteren Clubs, in der
nicht mehr miteinander gesprochen wird, Sex und Drogen nur noch Fragen des
schnellen Lustgewinns untergeordnet werden und der soziale Zusammenhalt
zerbricht, nicht die unsere. Deshalb geht es natürlich auch um einen gemeinsamen
Kampf für echte Freizeit- und Erholungsangebote, für kostenfreie und gut
ausgestattete öffentliche Jugend- und Nachbarschaftszentren und eine Kultur der
Solidarität und des sozialen Zusammenhalts. Denn wie sollen wir Solidarität
lernen, wenn wir uns statt über Probleme zu sprechen und gemeinsam zu kämpfen
gemeinsam selbst zerstören und aufhören aufeinander zu achten?
Und eine gesunde und proletarische Bewegung
aufzubauen bedeutet auch, unsere Organisationen gesund zu halten und zu
besserem Bewusstsein zu verhelfen. Denn wir wollen starke Organisationen
aufbauen, die unserem subjektiven Interesse als Klasse dienen. Und diese Ziele
können wir nur durch unsere eigene Kraft erreichen.
„Die
Revolution fordert Konzentration, Steigerung der Kräfte. Von den Massen, von
den einzelnen. Sie duldet keine orgiastischen Zustände [...]. Das Proletariat
ist eine aufsteigende Klasse. Es braucht nicht den Rausch zur Betäubung oder
als Stimulus. So wenig den Rausch sexueller Übersteigerung als den Rausch durch
Alkohol. Es darf und will sich nicht vergessen, nicht vergessen die
Abscheulichkeit, den Schmutz, die Barbarei des Kapitalismus. Es empfängt die
stärksten Antriebe zum Kampf aus seiner Klassenlage, aus dem kommunistischen
Ideal. Es braucht Klarheit, Klarheit und nochmals Klarheit. Deshalb, ich
wiederhole es, keine Schwächung, Vergeudung, Verwüstung von Kräften.“
Clara Zetkin, Erinnerungen an Lenin
[6] Diese Frage
ähnelt der der Prostitution. Auch das Elend der Prostitution wird nicht durch
Legalisierung noch durch Kriminalisierung allein gelöst werden. „Legalisierung“
in der Hand der Kapitalisten bedeutet das Hotel Pascha in Berlin.
Kriminalisierung bedeutet Kriminalisierung der Opfer. Beides bedeutet
Menschenhandel und Ausbeutung. Lehnen wir die Profitemacherei mit der
Prostitution ab, müssen wir einen Kampf um soziale Alternativen wie
Arbeitsplätzen, Sozialleistungen, Arbeitsrecht für alle Migranten usw. führen
und die, die wirklich dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft ziehen.
[8] anderen Drogen als Alkohol, da dieser
bereits legalisiert ist