Exekutivkomitee der Izquierda Revolucionaria (Spanien), veröffentlicht am 11. Juli 2019
Stoppt die Unterordnung unter die Sozialdemokratie, wir müssen mit einem konsequenten linken Programm in die Opposition gehen!
Die Führer von Podemos sind überzeugt davon, dass sie Teil
einer Koalitionsregierung mit der PSOE von Pedro Sánchez werden wollen. Um dies
zu erreichen, unternehmen sie schockierende Schritte, geben ihre
programmatischen Überzeugungen auf, die für ihren Erfolg in den Europawahlen
2014 ausschlaggebend waren, und stellen „Staatsfragen“ vor die Verteidigung der
demokratischen und sozialen Rechte, die in den letzten Jahren schwer
angegriffen wurden. Das letzte dieser Zugeständnisse ist verabscheuungswürdig:
Sie verzichten endgültig auf die Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts des
katalanischen Volkes, schließen sich vorbehaltlos den Verteidigern des Artikel 155[1]
an, der Unterdrückung, der Inhaftierung der Führungsfiguren der katalanischen
Unabhängigkeitsbewegung und dem gegen sie organisierten Farce-Prozess.
In öffentlichen Erklärungen versprechen die Sprecher von
Unidas Podemos[2]
Loyalität gegenüber einer von der PSOE geführten Regierung und bestehen darauf,
sie nicht von innen heraus in Frage zu stellen. „Wir gehen davon aus, dass sie
uns Garantien abverlangen und dass wir uns der Regierung in Katalonien oder der
Außenpolitik nicht widersetzen können (....) Wir sind bereit, die Strategie der
PSOE in so sensiblen Staatsfragen wie Katalonien oder der Außenpolitik zu
übernehmen“. (El País, 8. Juli 2019).
Sie unterzeichnen nicht nur einen Blankoscheck für den neofrancoistischen
Staatsapparat gegen die Bewegung für die katalanische Republik. Die Führung von
Podemos ist auch bereit, die PSOE zu unterstützen, wenn sie vor dem
US-Imperialismus buckelt, indem sie den Staatsstreichführer Guaidó in Venezuela
unterstützt, und wird über die guten Beziehungen schweigen, die die Regierung
von Sánchez zu den Regimes von Saudi-Arabien und Marokko unterhält, die für
Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen gegen ihre eigene Bevölkerung und
viele andere verantwortlich sind.
Diese Unterstützung für die Politik der PSOE, die der
Austeritätspolitik bisher keine Absage erklärt hat, hat andere schwerwiegende
Konsequenzen, wie z.B. dass sie mit dem Rest der führenden Repräsentanten der
EU eine gemeinsame Agenda teilen, eine rechtliche und polizeiliche Mauer gegen
Zehntausende von Flüchtlingen und Einwanderern zu errichten, die verzweifelt
versuchen nach Europa zu gelangen und die im Mittelmeer in ihren sicheren Tod
gestürzt werden.
So entwickelt sich Podemos weiter weg von seiner
ursprünglichen sozialen Basis und hin zu einer Politik der Akzeptanz gegenüber
den massiven sozialen und demokratischen Einschnitten die wir erlitten haben,
dreht den Zielen und Forderungen der 15M-Bewegung[3]
für ein paar warme Sitze im Ministerrat den Rücken zu, genauso wie den bedeutenden
„Märschen der Würde“, den Generalstreiks und den riesigen sozialen
Mobilisierungen vom 8. März bis hin zum Kampf der Rentner.
Berauscht vom parlamentarischen Kretinismus verlassen sie
den Klassenkampf und richten sich bequem im parlamentarischen Spiel ein, bis
sie sich von der traditionellen Sozialdemokratie, ihren Positionen und ihrer
Praxis nicht mehr unterscheiden. Eine Katastrophe, die ideologische Ursachen
hat: Ihre aristokratische Verachtung für das Programm des Marxismus und die
sozialistische Veränderung der Gesellschaft hat sie dazu veranlasst, mit all
jenen gemeinsame Sache zu machen, die seit Jahrzehnten als feste Säulen des 78.
Regimes und der Marktwirtschaft agieren, und sie wird sie, wenn dieser Kurs
endgültig durchgesetzt wird, zu Komplizen von Gegenreformen, von Sozialabbau
und Angriffen auf demokratische Rechte machen.
Ist das der richtige
Weg hin zu einer Regierung, die linke Politik betreibt?
In dieser historischen Periode der organischen Krise des
Kapitalismus wird diese Wendehals-Politik umsonst sein: ein Reformismus ohne
Reformen, frustriert und machtlos gegenüber den großen Wirtschaftsmächten.
Pablo Iglesias soll ein intelligenter und fähiger Mann sein.
Aber wenn er sagt, dass Podemos mit den Ministern in der Regierung von Sánchez
eine linke Politik durchsetzen kann und dass sie verhindern können, dass ihre
Exekutive in Verhandlungen dem Druck nachgeben, der durch den Staatsapparat,
Großkonzerne, Großbanken, den europäischen Institutionen und dem IWF auf sie
ausgeübt wird, scheint es, dass er nichts aus der Geschichte gelernt hat. Und
er verbreitet diese utopischen Ideen und begründet gleichzeitig seine
Zugeständnisse an die Politik der PSOE mit der parlamentarischen Schwäche von
Podemos!
Wenn Pablo Iglesias die Verhandlungsposition von Podemos für
schwach hält, warum sollte dann sein Eintritt in die PSOE-Regierung Pedro Sánchez
und seine „sozialistischen“ Minister zwingen, eine Politik zur Verteidigung der
Interessen der Arbeiter zu betreiben und sich den Forderungen der Kapitalisten entgegen
zu stellen? Das von der Führung von Podemos vorgebrachte Argument, das diese
politischen Rückschritte rechtfertigen soll, ist absurd und absolut falsch.
Von der Führung der PSOE mit Pedro Sánchez an der Spitze
wurde eine Priorität gesetzt: eine stabile Regierung zu erhalten, stark genug,
um die Politik umzusetzen, die Großbanken und Geschäftsleute brauchen, um ihre
Gewinne weiter zu steigern. All das in einer Zeit, in der eine neue Rezession erwartet
wird.
Die Führung der „sozialistischen“ PSOE, die nach dem
Misstrauensvotum, das die Regierung von Rajoy zur Regierung von allen gemacht,
die spanische Regierung führt, lässt keinen Raum für Zweifel. Abgesehen von
feministischen Posen, Gesten, Worten und leeren Erklärungen ist die Politik der
Regierung von Pedro Sánchez in Realität eine Fortsetzung derjenigen der
PP-Partei ist.
Nach den letzten Parlamentswahlen hat die PSOE deutlich
gezeigt, dass sie ihr Handeln nicht ändern wird. Die amtierende
Wirtschaftsministerin Nadia Calviño bestätigte am 30. Mai, dass die
PSOE-Regierung die Arbeitsreform nicht aufheben wird. Ebenso bleiben das
Knebelgesetz[4], die LOMCE[5]
und die Rentenkürzungen in Kraft. Dasselbe gilt für das skandalöse Urteil des
Obersten Gerichtshofs, das die Exhumierung von Francos Mumie verhindert. Was
hat Pedro Sánchez getan, um dem entgegenzuwirken? Absolut nichts, außer der
respektvollen Einhaltung der französischen Gerichtsentscheidung.
Wird eine zukünftige PSOE-Regierung zögern, die Politik der
Kürzungen (Brüssel verlangt vom spanischen Staat eine Haushaltsanpassung von
15.000 Millionen Euro in zwei Jahren) und struktureller Gegenreformen
umzusetzen, die die Kapitalisten und ihre Wirtschaftsinstitutionen (EU, IWF,
etc.) fordern? Natürlich nicht. Sie haben es noch nie zuvor getan und nie versprochen,
es zu korrigieren. Deshalb sind sie fest entschlossen, bei Bedarf die
Unterstützung von Formationen wie Ciudadanos zu suchen.
Mit welchen wundersamen Mitteln werden also zwei oder drei Minister
von Podemos den Willen der Mehrheit des Kabinetts von Sánchez ändern, wenn die
Stunde der Wahrheit kommt und wir das tun müssen, was die EU und die großen
Wirtschaftsmächte verlangen werden?
Hier müssen wir auf einen Widerspruch reagieren, die die kapitalistische
Propaganda immer zu verbergen versucht. Die wesentlichen Fragen der
bürgerlichen Politik werden nicht in den Regierungen entschieden. Diese geben
ihnen nur die Rechtsform von Dekreten und Gesetzen und stellen sie im Parlament
zur Abstimmung. Die tatsächlichen Entscheidungen werden in anderen Arten von „Regierungen“
getroffen; in den Verwaltungen von Banken und multinationalen Unternehmen, in
den Verwaltungen der großen Investmentfonds, in den großen Staaten, die
Tausende von Verbindungen haben, sichtbar und unsichtbar, die es ihnen
ermöglichen, schnell auf die Minister zuzugreifen, damit ihre Forderungen
pünktlich erfüllt werden. Nur der Klassenkampf kann daran etwas ändern. Aber
das hängt nicht von der Rhetorik ab, die an einem polierten Holztisch im Moncloa-Palast[6]
von sich gegeben wird, sondern von der Fähigkeit der sozialen Mobilisierung,
der Arbeiterklasse und der Jugend, ihre Forderungen durchzusetzen. Dies ist die
einzige echte Triebkraft, um einen tiefgreifenden sozialen Wandel zu erreichen
und die Unterdrückung durch den „freien Markt“ und seine Institutionen zu
beenden.
Nur durch die
Mobilisierung von Millionen von Arbeitern können wir eine linke Politik durchzusetzen
Keine tiefgreifende soziale Transformation, nicht einmal
große Reformen, war möglich ohne die Mobilisierung der Arbeiterklasse und der
Jugend auf den Straßen, ohne einen direkten Kampf gegen die Bourgeoisie und
ihre Diener, die sich immer gegen jede Veränderung wehren werden, die ihre
Privilegien und ihre Macht in Frage stellt.
Der einzige Weg, die PSOE zu zwingen, linke Politik zu
machen, oder, falls sie es nicht tun, sie vor der Bevölkerung und ihrer
sozialen Basis als falsche Progressive und Trickbetrüger zu entlarven, wäre,
ein Programm auf den Tisch zu legen, das die grundlegenden Bestrebungen von
Millionen von Wählern der Linken aufgreifen würde:
- Sofortige Aufhebung aller von der PP verabschiedeten
reaktionären Gesetze (Arbeitsreform, Renten, Knebelgesetz, LOMCE...) und eine
Rücknahme aller sozialen Kürzungen.
- Sofortige Rückerstattung der über 60.000 Millionen Euro
staatlichen Gelder durch die Banken.
- Drastische Anhebung der Töpfe für das öffentliche
Gesundheits- und Bildungssystem im nächsten Haushalt.
- Gesetzliches Verbot von Zwangsräumungen und ein
Notfallplan zur Schaffung eines öffentlichen Parks mit zwei Millionen Häusern mit
erschwinglichen Sozialmieten in vier Jahren.
- Sofortige Verstaatlichung der großen Strom- und
Energieunternehmen, um die Energiearmut zu beenden und die Umwelt zu schützen.
- Erhöhung des Mindestlohns und der Mindestrente auf 1.200
Euro/Monat.
- Beseitigung aller Faschisten aus dem Staatsapparat, der
Polizei, der Armee und der Justiz. Für eine politische, soziale und wirtschaftliche
Wiedergutmachung für die Opfer des Franco-Regimes.
- Entschlossener Kampf gegen sexistische Gewalt und das
patriarchale Rechtssystem.
- Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung und Beendigung
des Prozesses gegen katalanische politische Gefangene.
Dieses Programm ist dasjenige, das Pablo Iglesias und die
Leitung von Podemos öffentlich verteidigen sollten und für das sie breit und
stark mobilisieren sollten, um es Wirklichkeit werden zu lassen. Stattdessen erleben
wir jeden Tag das unglückliche Schauspiel, in dem die Führung von Podemos um
Ministerposten bettelt.
Podemos bekam einst die Aufmerksamkeit der gesamten Linken,
Hunderttausender von jungen Menschen, Kämpferinnen und Kämpfern mit jahrelanger
Kampferfahrung im Rücken und vielen anderen, die gerade erst in der Hitze der
sozialen Rebellion nach der 15M-Bewegung politisch aktiv wurden. Die
Erwartungen an Podemos waren immens, denn Millionen betrachteten es als das
nützlichste Instrument, um der PP und einer im Niedergang befindlichen
Sozialdemokratie einen entscheidenden Schlag zu versetzen und fortschrittliche
Reformen zu unterstützen. Aspekte des Programms, mit dem Podemos an den
Europawahlen 2014 teilgenommen hat (Schuldenschnitt, Ende der Zwangsräumungen, soziale
Grundsicherung für die gesamte Bevölkerung, Ende der Kürzungen usw.), haben
diese Begeisterung geweckt.
Der grundlegende Faktor, der zum abrupten Aufstieg von
Podemos führte, war die Delegitimierung des gesamten institutionellen Apparats
der Bourgeoisie und die Notwendigkeit einer revolutionären Lösung der
wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise, die eine große Mehrheit von
Arbeitern, Jugendlichen und den verarmten mittleren Schichten einforderte.
Podemos nahm einen Teil dieser Atmosphäre der Rebellion auf, begeisterte
Millionen von Menschen und ließ alle Alarme in den Büros der Vorstände der
großen Unternehmen, der wahren Herrscher des Landes, schrillen.
Bedauerlicherweise hat sich die Politik von Podemos
allmählich von den Bestrebungen jener sozialen Rebellion entfernt, die ihnen Form,
Stärke und Identität gab.
Die Schlussfolgerung ist klar: Wenn es nicht darum geht, den
Kapitalismus zu stürzen, dieses ungerechte System zu beenden, indem man sich
auf die Mobilisierung und demokratische Beteiligung der Mehrheit der
Bevölkerung stützt, sondern nur darum, es zu verwalten, es besser als andere zu
verwalten, dann ist die Anpassung an das System, wie es in so vielen Fällen der
Geschichte geschehen ist, unvermeidlich.
Es gibt nur einen Weg, um zu vermeiden, von dieser Dynamik der
Liquidation verschlungen zu werden: sich verteidigen und kämpfen, um das
Programm der sozialistischen Veränderung der Gesellschaft Wirklichkeit werden
zu lassen.
Die Lehren aus dieser Zeit sind eindeutig. Wir können den
Himmel nicht im Sturm erobern, indem wir die Straßen für die Büros eintauschen
oder auf den Kampf gegen die herrschende Elite verzichten, die die Argumente
des Regimes von 78 und seiner Verfassung übernimmt. Um die Gesellschaft zu
verändern, brauchen wir eine kämpferische und revolutionäre Linke. Es gibt
keinen anderen Weg.
Schließ dich Izquierda Revolucionaria an!
[1] Artikel
155 ist der Artikel in der Übergangsverfassung, der es den Regierungen erlaubt,
die demokratischen Rechte der unterdrückten Nationen energisch zu unterdrücken.
[2] Gemeinschaftskandidatur
von Podemos, Izquierda Unida, der grünen Partei Equo und anderen kleinen
Linksparteien
[3]
Protestwelle in Spanien 2011/12 gegen die sozialen Missstände und Kürzungen als
Folge der internationalen Wirtschaftskrise.
[4] Gesetz
zur drastischen Einschränkung des Demonstrationsrechts und Beschneidung einer
Reihe anderer demokratischer Rechte, das 2015 in Kraft getreten ist und zur
Bekämpfung der anwachsenden Bewegungen nach der Wirtschaftskrise verabschiedet
wurde.
[5] Das von
der PP verabschiedete "Bildungs"-Gesetz, das eine Reihe von Maßnahmen
gegen die öffentliche Bildung und gegen die Arbeiterklasse eingeführt hat, wie
die frankophonen "revalidas" (harte Abschlussprüfungen).
[6] Moncloa
Palace - die offizielle Residenz des spanischen Premierministers, wie 10
Downing Street oder das Weiße Haus.