Am Ende zahlen wir die Zeche: Zapfenstreich in Altona



Nikolai Pivovaroff, Arbeiter bei Holsten

Mit dem endgültigen Umzug der Holstenbrauerei von Altona nach Hausbruch endet die 140-jährige Geschichte eines der ältesten Industriebetriebe Hamburgs. Während die Manager des dänischen Konzerns unter großem Tamtam den neuen Standort eröffnen und der Oberbürgermeister Lobeshymnen auf die „Modernisierung“ hält, ist es für uns an der Zeit einmal die Ursachen und Folgen der Betriebsverlegung – die beispielhaft ist für den Wandel von vielen Betrieben – für die Beschäftigten zu betrachten.

Bevor der Global Player Carlsberg 2004 die strauchelnde  Holstengruppe übernahm, war diese selbst jahrelang als Heuschrecke auf dem Biermarkt tätig. Unter anderem hatte sich der Konzern die Hamburger Billbrauerei, Betriebe in Kiel, Neumünster, Lüneburg, Hannover und Braunschweig einverleibt, die nach und nach stillgelegt und deren Produktionsmengen an den Stammsitz verlagert wurden. Nach 1989 profitierte man dann vom Verramschen der ehemaligen Staatsbetriebe und konnte aus der Konkursmasse der DDR die große Mecklenburgische Brauerei Lübz und die Feldschlösschen Brauerei in Dresden ergattern – ein echter Gewinn, schließlich konnte man die niedrigen Löhne und die geringe gewerkschaftliche Organisation für die eigene Profitmaximierung nutzen. Mit dem Erwerb der Brauerei Licher, der König Brauerei aus Duisburg, Bavaria-St. Pauli und Beteiligungen an Betrieben in Polen war um das Jahr 2000 der Höhepunkt erreicht. Mit 9 Prozent Marktanteil war man endgültig in die Riege der größten deutschen Getränkehersteller aufgestiegen. Während das Management noch seine Erfolge feierte, begannen sich die Probleme im Hintergrund  aufzutürmen. Die Investitionspolitik mit der Gießkanne – der teils ziellosen Anhäufung von Marken, die sich teils selbst Konkurrenz machten – und die Einführung des Dosenpfands brachten den Konzern ins Straucheln, da die Unternehmensführung kurz vorher noch die Kapazitäten für Einweggebinde weiter gesteigert hatte.

2004 wurde Holsten dann selbst geschluckt. Für eine Milliarde Euro übernahm Carlsberg die Gruppe und die Beschäftigten brauchten nicht lange zu warten um zu erkennen, wer die Suppe aus Fehlinvestitionen und Größenwahn des alten Managements auslöffeln sollte. Schon kurz nach der Übernahme wurde der Abbau von 200 Stellen bekanntgeben, das Unternehmen und die Belegschaft in verschiedene Gesellschaften zersplittert, und entlassene Kollegen teilweise gleich wieder als Leiharbeiter günstig angeheuert. Das Tafelsilber der Gruppe, darunter die König-Brauerei und Grundstücke in Altona, auf denen heute ein Teil der Neuen Mitte Altona, dem aktuell wohlgrößten Immobilienspekulationsobjekt Hamburgs, entsteht, wurde gewinnbringend verkauft, die Bavaria Brauerei geschlossen und noch mehr Kollegen entlassen.

Im selben Geist wurde auch der neue Betrieb in Hausbruch geplant. Eingepfercht an der Autobahn am hintersten Ende des Stadtgebietes werden künftig noch circa 380 statt 450 Menschen arbeiten, die zu dem längere Anfahrtswege und noch mehr Arbeitsverdichtung hinnehmen müssen. Allein die Pläne der Geschäftsführung per Betriebsvereinbarung die 7-Tage-Woche einzuführen, konnte die Belegschaft verhindern, nachdem sie in mehrtägigen Streiks im Hauptgeschäft im Sommer 2018 ihre Entschlossenheit demonstrierte. Trotz dieser Kampfbereitschaft und der hohen gewerkschaftlichen Organisation der Brauer gab es keine Führung in den Kämpfen, die die Forderung nach dem Erhalt aller Arbeitsplätze gefordert hätte. Diese Schwäche ist heute in vielen Arbeitskämpfen in Deutschland zu sehen. Es wird Zeit, dass wir den verbreiteten Pessimismus ablegen, und endlich wieder offensiv für unsere Interessen als Arbeiter kämpfen.

Einmal mehr zeigt sich, wie sich Angriffe auf erkämpfte Rechte und die Belegschaften in der Überproduktionskrise verschärfen. Anstatt der herrschenden Politik für Shareholder und Manager fordern wir deshalb eine Politik im Interesse der Kollegen und Verbraucher. Der konkrete Fall der Holstenbrauerei zeigt wie absurd das kapitalistische System gerade in der Lebensmittelproduktion ist. Anstatt die hohe Produktivität in bessere Bedingungen für die Arbeiter und eine gerechte Versorgung bei den Verbrauchern umzumünzen, stagniert der Arbeitslohn, der Druck auf die Beschäftigten wird erhöht und gleichzeitig müssen tausende Familien in diesem Land jeden Euro im Supermarkt zwei mal umdrehen. Deswegen brauchen wir den Erhalt aller Arbeitsplätze in der Industrie und die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Die Lebensmittelindustrie gehört in die öffentliche Hand, kontrolliert und verwaltet durch die Kolleginnen und Kollegen.  Lebensmittelproduktion gehört demokratisch geplant – nach Bedarf, und nicht nach den Profiten!