(Schwestersektion von Offensiv im spanischen Staat)
erschienen auf Spanisch am 10. April 2019.
Artikel als PDF herunterladen
Es ist bekannt, dass Lenin und Rosa Luxemburg in verschiedenen Fragen der revolutionären Theorie und Praxis Polemiken austauschten: über die revolutionäre Partei, die nationale Frage und das Recht auf nationale Selbstbestimmung, die erweiterte Reproduktion und die kapitalistische Krise, die richtigen Slogans gegen den imperialistischen Krieg oder eine ganze Reihe von Fragen der Politik der bolschewistischen Partei nach dem Sieg der Oktoberrevolution.
Es ist bekannt, dass Lenin und Rosa Luxemburg in verschiedenen Fragen der revolutionären Theorie und Praxis Polemiken austauschten: über die revolutionäre Partei, die nationale Frage und das Recht auf nationale Selbstbestimmung, die erweiterte Reproduktion und die kapitalistische Krise, die richtigen Slogans gegen den imperialistischen Krieg oder eine ganze Reihe von Fragen der Politik der bolschewistischen Partei nach dem Sieg der Oktoberrevolution.
Über die Differenzen zwischen
Lenin und Luxemburg sind viele Missverständnisse und Übertreibungen entstanden,
allgemein wurden über das Thema viel Unsinn und viele Halbwahrheiten
verbreitet. Viele der Argumente, die in den Kontroversen zwischen Lenin und
Luxemburg ausgetauscht wurden, wurden durch die Erfahrungen des Klassenkampfes
bestätigt oder widerlegt. Und wichtig ist auch zu sagen, dass im Wesentlichen
Rosa Luxemburg und Lenin eine sehr ähnliche Ansicht zu den wirklich
prinzipiellen Fragen marxistischer Politik geteilt haben.
Der Stalinismus mumifizierte
nicht nur Lenin und stellte ihn gegen den Willen des bolschewistischen Führers
in einem Mausoleum aus; er nutzte seine Schriften auch, um Zitate daraus aus
dem Kontext zu reißen, ihn entfremdend nachzuahmen und seine eigene Autorität
so auf ihn zu stützen. Nach ihrem Tod wurde auch Rosa Luxemburg einbalsamiert:
nicht körperlich, sondern geistig. Viele erklärte Antikommunisten arbeiteten an
dieser Aufgabe mit, Elemente, die im Namen der „offiziellen“ Sozialdemokratie
ihre Figur entstellen und sie zur Bekämpfung des Marxismus und damit des
Leninismus ausnutzen wollten.
Die Versuche, Rosa Luxemburg als
Anwältin eines abstrakten, bürgerlichen „Demokratismus“ zu präsentieren oder
sie mit einem libertären Furnier zu überziehen, sind eine grobe Karikatur auf
ihre Figur. Ein Mittel, dessen sich der Stalinismus wieder und wieder bediente,
um sie für ihre vermeintliche Theorie der „Spontanität“ zu verurteilen und in
Gegensatz zu den vermeintlich „leninistischen“ Werten der „einzig wahren“
Partei zu stellen.
Organisatorische
Fragen der russischen Sozialdemokratie
In der Atmosphäre der
internationalen Sozialdemokratie zwischen 1903 und 1910 waren die Debatten über
Taktik, Organisation und Programm von einer eindeutigen Linie geprägt: es
herrschte die Vorstellung eines revolutionären Sturz des Kapitalismus und einer
klassenunabhängigen, proletarischen Politik. Dies stand im Gegensatz zur
revisionistischen Idee, allein mit den Mitteln des Parlamentarismus und der
bürgerlichen Demokratie zum Sozialismus zu gelangen. Diese Debatte war – damals
ebenso wie heute – essentiell für die organisierte Arbeiterbewegung.
Als Rosa Luxemburg 1904 ihre
berühmte Schrift „Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie“ schrieb
– eine harte Kritik an den Vorstellungen, die Lenin in „Ein Schritt vorwärts,
zwei Schritte zurück“ formulierte – konnte sie nicht ahnen, wie viele Lügen auf
Grundlage dieser Schrift noch konstruiert werden sollten.[1]
Woher kam die Kontroverse
zwischen Lenin und Luxemburg? Um Luxemburgs Haltung gegenüber Lenin zu
erklären, ist es nötig, sich die Phase vor dem Erscheinen ihres Textes
anzusehen, konkret die komplizierten Beziehungen, die 1903 zwischen der SDKPiL
(Sozialdemokratischen Partei des Königreichs Polen und Litauen, gegründet von
Rosa Luxemburg und Leo Jogiches) und den Organisatoren des Zweiten Kongresses
der SDAPR (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands) entstanden waren. Dazu
kommt der Fraktionskampf zwischen Bolschewiki und Menschewiki, der auf diesem
Kongress ausbrach und bei dem Lenin eine entscheidende Rolle spielte.
Allgemein schenkten Rosa
Luxemburg und ihre Genossen der Herangehensweise der Iskra an den russischen
Marxismus – die in der Gründung einer russischen Sozialdemokratie, die die
Arbeiterklasse des gesamten Reiches ansprechen und organisieren sollte – große
Aufmerksamkeit. „Seit 1903“, so schreibt es beispielsweise Paul Nettl, „war
Warszawski offiziell vom polnischen Komitee ins Ausland delegiert worden, um
mit dem russischen Organisationskomitee über die Teilnahme Polens am Kongress
und den Beitritt des SDKPiL zur russischen Partei zu verhandeln. Doch die Polen
hatten kein Interesse an den komplizierten Manövern der Ikristen innerhalb der
russischen Partei, und sie kannten sich auch nicht gut damit aus. Es gibt
keinen Hinweis darauf, dass einer von ihnen Lenins „Was tun“ gelesen hatte, und
es hat sich auch niemand von ihnen dazu geäußert.“[2]
Das gemeinsame Interesse
polnischer Revolutionäre und Bolschewiki bestand darin, dass der Bund, die
jüdisch-sozialistische Partei, die sich zunehmend auf nationalistische
Positionen zurückzog, nicht als autonome Einheit an der neuen Partei teilnehmen
sollte, wie er das angestrebt hatte. Aber seltsamerweise wurden die gleichen
Bedingungen für den Beitritt der polnischen Sozialisten festgelegt. Der
führende Kern der Iskra schlug die Integration der SDKPiL in die SDAPR unter
den gleichen Bedingungen vor, wie sie den übrigen Gruppen angeboten wurde.
Nach mehreren zweideutigen
Antworten und nach Zögern von Rosa Luxemburg und Leo Jogiches sowie einem Ad-hoc-Kongress
der polnischen Sozialdemokraten, der sich mit dem Thema befassen sollte, forderte
die Mehrheit der Führer der SDKPiL eine Form der Integration in die russische
Partei, die ihre Autonomie in den Angelegenheiten der polnischen Arbeiter auf
dem Gebiet Polens, welches unter russischer Kontrolle stand, garantieren
sollte, während die SDAPR mit ihren eigenen lokalen Organisationen in Polen
zusammenarbeiten sollte.
Diese Forderung durchzusetzen
wurde dadurch erschwert, dass die Positionen der SDAPR an der nationalen Frage
direkt denen von Rosa Luxemburg entgegen standen. Als Lenin in der Juli-Ausgabe
der Iskra im Jahr 1903 offen dafür eintrat, dass die Verteidigung des Rechts
auf nationale Selbstbestimmung in Artikel sieben der Satzung der neuen Partei
aufgenommen werden sollte, provozierte das auf Seiten von Jogiches und
Luxemburg eine heftige Reaktion. Die Tatsache, dass Lenin erklärte, dass diese
Position keineswegs einer Unterstützung des Nationalismus im Allgemeinen und
des polnischen Nationalismus im Besonderen bedeutete, änderte ihre Meinung
nicht. „Wenn sie nicht bereit sind, Artikel 7 zu ändern, müssen wir die
[vorgeschlagene] Mitgliedschaft aussetzen. Sagen Sie Sassulitsch, dass ich nach
dem Artikel der Iskra kein Interesse mehr an einer Mitgliedschaft habe und dass
ich [der Partei] geraten habe, keine Zugeständnisse mehr zu machen“.[3]
Rosa Luxemburg war niemand, der seine Positionen leichtfertig verließ.
Lenin und die Iskra akzeptierten
das Ultimatum von Rosa Luxemburg und ihren polnischen Kameraden nicht, und alle
Versuche, die Verteidigung des Rechts auf Selbstbestimmung aus dem Programm der
russischen Partei zu tilgen, waren erfolglos. Auf dem Zweiten Kongress kam es
außerdem zu unvorhergesehenen Differenzen, die de facto die Spaltung der
russischen Sozialdemokratie bedeuteten. Dies alles wird hier beschrieben, weil
es nicht möglich ist, die Debatten zwischen Luxemburg und Lenin zu verstehen,
ohne die heftigen Spannungen zu berücksichtigen, die zwischen den russischen
Marxisten der bolschewistischen Fraktion der Sozialdemokratie und den
polnischen Marxisten um Rosa Luxemburg ausgebrochen waren.
Parallel dazu taten die
reformistischen Führer der deutschen Sozialdemokratie zur gleichen Zeit alles,
um das Bild der russischen Sozialisten in der Öffentlichkeit völlig zu
verzerren. Sie verdrehten die Positionen der Bolschewiki und stellten sich an
die Seite der Menschewiki. „Die Menschewiki waren besser bekannt und
unterhielten bessere Beziehungen, zumal Plechanow sich auf die Seite der Gegner
Lenins gestellt hatte. Folglich ließen sich Martow, Potresov und Dan – und vor
allem die Iskra, die sie heute kontrollierten – 1904 von ihren deutschen
Genossen beraten. Es ging darum, Lenin zu besiegen [...]. Es war ihnen
besonders wichtig, Personen wie Kautsky, Rosa Luxemburg und Parvus gegen ihn
aufzubringen. [...] Als Lenin dieser kritischen Unterstützung für die
Menschewiki entgegenwirken wollte, indem er Liadow schickte, um den
bolschewistischen Standpunkt darzulegen, sagte Kautsky offen zu ihm: „Schau,
wir kennen deinen Lenin nicht. Er ist uns unbekannt, aber wir kennen Plechanow
und Axelrod sehr gut. Nur dank ihnen konnten wir etwas über das Geschehen in
Russland erfahren. Wir können einfach nicht akzeptieren, was Sie über Plechanow
und Axelrod sagen, sie seien plötzlich Opportunisten geworden.“[4]
Lenins Bewunderung für die
deutsche Sozialdemokratie in diesen Jahren wurde von ihren Führern nie
erwidert. Lenin hatte nie die Gelegenheit, dass seine Gedanken bei den Kadern
und Aktivisten der deutschen Partei gehört wurden. Kautsky warf den Bolschewiki
vor, sie seien „nicht in der Lage“ mit den Menschewiki „zu leben“. Denn wenn
Bernstein, Kautsky und Rosa Luxemburg friedlich in der SPD koexistieren
könnten, warum bestanden die Russen dann darauf, an ihren inneren
Streitigkeiten festzuhalten? „Wie im Streit zwischen den französischen
Sozialisten ein paar Jahre zuvor zögerten die Deutschen (....) diese
Streitigkeiten nachzuvollziehen. Die Unterschiede waren für sie reine
Worthülsen, wenn man bedenkt, was sie in der Praxis bedeuten und wie viel (und
wirklich wichtiges) noch zu tun bleibt.“[5]
Paul Nettl beschreibt die Atmosphäre,
in der Rosa die russische „Frage“ zur Diskussion stellte: „Nur zwei Menschen in
Deutschland wussten wirklich etwas über die Auseinandersetzungen in der SDAPR:
Parvus und Rosa Luxemburg. Sie war überzeugt, dass Kautskys Beitrag zur Lösung
russischer Probleme bestenfalls allgemein und theoretisch sein würde, weil er
die Details völlig ignorierte (....) Die Menschewiki wussten daher genau, was
sie taten, indem sie ihre Ansprache auf Parvus und Rosa konzentrierten. Ob es
ihr gefiel oder nicht, sie musste sich wieder in die Angelegenheiten Russlands
einmischen, nicht als polnischer Kandidat für die Aufnahme in die russische
Partei, sondern als deutsche Expertin und Schiedsrichterin unter den
streitenden Fraktionen (....) Die menschewistischen Führer waren keine engen
Freunde von ihr, sondern ganz im Gegenteil, aber sie hatte auch mit Lenin noch
eine Rechnung an der nationalen Frage offen. (....) 1904 nutzte sie – etwas
spät – die Gelegenheit, nach dem Ausscheiden Polens aus der Partei die auf dem
Zweiten Kongress aufgeworfenen Fragen zu untersuchen und stieß dabei
unweiterlich auf Lenins „Was tun?“. Ihre negative Reaktion auf Lenins
organisatorische Vorschläge fiel zusammen mit Potresovs Bitte, einen Artikel
für die Iskra zu schreiben, und so schlug sie zwei Fliegen mit einer Klasse als
sie einen langen Artikel für „Die Neue Zeit“ schrieb und ihn den Russen zur
Übersetzung anbot.“[6]
In diesem Artikel verteilte
Luxemburg eine Reihe von Schlägen gegen Lenins angeblichen „zentralistischen
Eifer“:
„Das
uns vorliegende Buch des Genossen Lenin, eines der
hervorragenden Leiter und Streiter der Iskra in
ihrer vorbereitenden Kampagne vor dem russischen Parteitag, ist die
systematische Darstellung der Ansichten der ultrazentralistischen Richtung
der russischen Partei. Die Auffassung, die hier in eindringlicher und
erschöpfender Weise ihren Ausdruck gefunden hat, ist die eines rücksichtslosen
Zentralismus, dessen Lebensprinzip einerseits die scharfe Heraushebung und
Absonderung der organisierten Trupps der ausgesprochenen und tätigen
Revolutionäre von dem sie umgebenden, wenn auch unorganisierten, aber
revolutionär-aktiven Milieu, andererseits die straffe Disziplin und die
direkte, entscheidende und bestimmende Einmischung der Zentralbehörde in alle
Lebensäußerungen der Lokalorganisationen der Partei.“
[...]
„Es hieße aber
den aus ihrem Wesen notwendigerweise entspringenden Konservatismus jeder
Parteileitung gerade künstlich in gefährlichstem Maße potenzieren, wenn man sie
mit so absoluten Machtbefugnissen negativen Charakters
ausstatten wollte, wie es Lenin tut. Wird die sozialdemokratische Taktik nicht
von einem Zentralkomitee, sondern von der Gesamtpartei, noch richtiger, von der
Gesamtbewegung geschaffen, so ist für einzelne Organisationen der Partei
offenbar diejenige Ellenbogenfreiheit nötig, die allein die völlige Ausnutzung
aller von der jeweiligen Situation gebotenen Mittel zur Potenzierung des
Kampfes sowie die Entfaltung der revolutionären Initiative ermöglicht. Der von
Lenin befürwortete Ultrazentralismus scheint uns aber in seinem ganzen Wesen
nicht vom positiven schöpferischen, sondern vom sterilen Nachtwächtergeist
getragen zu sein.“[7]
Etliche ähnliche
Zitate finden sich in Luxemburgs gesamten Material. Vorwürfe des Blanquismus,
des Jakobinismus, der zentralistischen Herrschaft einer intellektuellen
Minderheit über die proletarische Masse innerhalb der Partei. Alles
Übertreibungen und eine Kritik an einem Standpunkt, den Lenin so nie vertreten
hatte und bei dem Luxemburg offensichtlich von der verdrehten Darstellung der
Menschewiki ausgegangen war.
Auch wenn Rosa
den Vormarsch von Opportunismus und Reformismus in den Reihen der deutschen
Sozialdemokratie stets ihrer Kritik unterzog, unterschätzt sie den Wert von
Lenins Denunziation dieser Elemente in der russischen Partei. Es ist wahr, dass der Reformismus
nicht auf der Grundlage von Gesetzen bekämpft werden kann, aber man kann die revolutionären
Kader im kompromisslosen Kampf gegen diese Tendenzen erziehen, beginnend mit
der harten Durchsetzung der demokratisch in Gremien, Kongressen usw. gefassten
Beschlüsse und der Anwendung der Methoden der Arbeiterdemokratie als bestes
Mittel gegen den kleinbürgerlichen Individualismus. Dies war die Essenz von
Lenins Kampf um die Errichtung eines proletarischen Regimes in der Partei,
konkret der Methode des demokratischen Zentralismus. Und diese Methode – in
ihrer leninistischen Auslegung, nicht in ihrer stalinistisch-bürokratischen
Verzerrung – ist weiterhin vollumfassend richtig.
In „Ein Schritt vorwärts, zwei
Schritte zurück“ legte Lenin vor, was er damals (1903-1904) als Kern der
Polemik zwischen Bolschewiki und Menschewiki betrachtete, und warnte die Kader
vor der reformistischen und opportunistischen Anpassung der letzteren, vor
ihrem kleinbürgerlichen Dilettantismus und Individualismus:
„Im Grunde genommen“, so Lenin,
„begann die ganze Stellung der Opportunisten in der organisatorischen Frage
bereits in den Diskussionen über den § 1 in Erscheinung zu treten: ihr
Eintreten für eine verschwommene, nicht fest zusammengefügte
Parteiorganisation, ihre Abneigung gegen den Gedanken (den „bürokratischen“ Gedanken)
des Aufbaues der Partei von oben nach unten, ausgehend vom Parteitag und der
von ihm geschaffenen Körperschaften, ihr Bestreben, von unten nach oben zu
gehen und jedem Professor, jedem Gymnasiasten und „jedem an einem Streik
Beteiligten“ das Recht zu geben, sich als Parteimitglied zu bezeichnen, ihre
Feindseligkeit gegen den „Formalismus“, der vom Parteimitglied die
Zugehörigkeit zu einer von der Partei anerkannten Organisation verlangt, ihre
Vorliebe für die Psychologie des bürgerlichen Intellektuellen, der bereit ist,
nur „platonisch die organisatorischen Beziehungen anzuerkennen“, ihre
Nachgiebigkeit gegenüber opportunistischer Spitzfindigkeit und anarchistischen
Phrasen, ihre Tendenz zum Autonomismus gegen den Zentralismus“.[8]
Und wie so oft, führte das, was
als Meinungsverschiedenheit über Fragen der Organisation begann, zu
prinzipiellen politischen Differenzen über die Art der russischen Revolution,
das Programm der Partei, Allianzen mit der liberalen Bourgeoisie, der
Bauernschaft usw.
Und eben diese Haltung – in der
Frage der Organisation wie auch den darauf folgenden politischen
Auseinandersetzungen – waren die zentralen Aspekte von Lenins Position, und der
größte Fehler der polnischen Revolutionärin war es, sie zu übersehen. Lenin
reagierte jedoch geduldig auf Rosas Kritik, in einem Artikel, den Kautsky nicht
veröffentlichen wollte, und der in Ton und Form – ganz anders als gegenüber
seinen menschewistischen Gegnern – zeigte, dass Lenin Rosa Luxemburg nicht als
Feind ansah:
„Ich kann nicht umhin, den
deutschen Genossen meinen Dank auszusprechen für die Aufmerksamkeit, die sie
unserer Parteiliteratur entgegenbringen, und für ihre Versuche, die deutsche
Sozialdemokratie mit dieser Literatur bekannt zu machen, muß jedoch darauf
aufmerksam machen, daß Rosa Luxemburgs Artikel in der „Neuen Zeit“ die Leser
nicht mit meinem Buch, sondern mit etwas anderem bekannt macht. Darüber möge
man an Hand folgender Beispiele urteilen. Genossin Luxemburg sagt zum Beispiel,
daß die Auffassung, die hier (d.h. in meinem Buch) in eindringlicher und
erschöpfender Weise ihren Ausdruck gefunden habe, die eines „rücksichtslosen
Zentralismus“ sei. Genossin Luxemburg meint also, daß ich ein
Organisationssystem gegen ein anderes verteidige. Das ist in Wirklichkeit
unwahr. In dem ganzen Buch, von der ersten bis zur letzten Seite, verteidige
ich die elementaren Grundsätze eines jeden Systems einer jeden nur denkbaren
Parteiorganisation. [...] Gen. Luxemburg meint, nach meiner Auffassung
erscheine „das Zentralkomitee als der eigentliche aktive Kern der Partei“. In
Wirklichkeit ist das unwahr. Ich habe diese Auffassung nirgends vertreten. Im
Gegenteil, meine Opponenten (die Minderheit des II. Parteitags) beschuldigten
mich in ihren Schriften, daß ich die Unabhängigkeit und Selbständigkeit des
Zentralkomitees nicht genügend in Schutz nehme, daß ich es viel zu sehr der im
Ausland befindlichen Redaktion des Zentralorgans und dem Rat der Partei
unterordne. [...] Gen. Rosa Luxemburg sagt, für die Sozialdemokratie Rußlands
sei es keine Frage, daß eine einheitliche Partei notwendig ist, und der ganze
Streit drehe sich um den größeren oder geringeren Grad der Zentralisation. In
Wirklichkeit ist das unwahr. Hätte sich Gen. Luxemburg die Mühe gegeben, die
Resolutionen der vielen Lokalkomitees der Partei, die die Mehrheit bilden,
kennenzulernen, so hätte sie leicht verstehen können (das ist übrigens auch aus
meinem Buch klar ersichtlich), daß der Streit bei uns hauptsächlich darum geht,
ob das Zentralkomitee und das Zentralorgan die Richtung der Parteitagsmehrheit
vertreten sollen oder nicht. Über diese „ultrazentralistische“ und rein
„blanquistische“ Forderung sagt die werte Genossin kein Wort; sie zieht es vor,
gegen die mechanische Unterwerfung eines Teils unter das Ganze, gegen den
Kadavergehorsam, gegen die blinde Unterordnung und ähnliche Schreckgespenster
zu wettern. Ich bin der Gen. Luxemburg sehr dankbar für die Darlegung des
höchst geistreichen Gedankens, daß der Kadavergehorsam für die Partei sehr
schädlich ist, aber ich möchte gern wissen: Hält die Genossin es für normal,
kann sie es zulassen, hat sie in irgendeiner Partei je gesehen, daß die
Zentralbehörden, die sich Parteibehörden nennen, die Minderheit des Parteitags
dominieren darf? [...] Ich führte Beweise dafür an, daß gewisse Akademiker in
unserer Partei ihre Inkonsequenz und Unbeständigkeit offenbarten und daß sie
keinerlei Recht hatten, ihre Disziplinlosigkeit den russischen Proletariern in
die Schuhe zu schieben. Die russischen Arbeiter haben sich schon oft bei
verschiedenen Gelegenheiten für die Befolgung der Parteitagsbeschlüsse
ausgesprochen. [...] Gen. Luxemburg hat die faktische Analyse der verschiedenen
Richtungen unserer Partei völlig außer acht gelassen. Und gerade dieser
Analyse, die auf den Protokollen unseres Parteitags fußt, widme ich den
größeren Teil meines Buches und mache in der Einleitung besonders darauf
aufmerksam. Rosa Luxemburg will über die jetzige Lage unserer Partei sprechen
und ignoriert dabei vollständig unseren Parteitag, der eigentlich den wahren
Grundstein unserer Partei gelegt hat. Man muß das als ein gewagtes Unternehmen
ansehen! [...] Sie wiederholt bloße Worte, ohne sich zu bemühen, ihren
konkreten Sinn zu begreifen. Sie malt Schreckgespenster an die Wand, ohne
erforscht zu haben, was dem Streit wirklich zugrunde liegt. Sie schreibt mir
Gemeinplätze, allgemeine Prinzipien und Erwägungen, absolute Wahrheiten zu,
sucht aber die relativen Wahrheiten totzuschweigen, die streng bestimmte
Tatsachen betreffen und mit denen allein ich operiere. Und da beklagt sie sich
noch über Schablonen und beruft sich dabei auf Marx‘ Dialektik. Dieses Abc
besagt, daß es keine abstrakte Wahrheit gibt, daß die Wahrheit immer konkret
ist.“[9]
Das ist der Kontext, in dem Rosa
Luxemburg ihre Texte gegen Lenins Vorstellung der revolutionären Partei
schrieb. Ihr Text war eine Polemik von 1904, und bis heute werden die Ideen,
die Rosa Luxemburg damals äußerte, so verdreht, als hätte die polnische
Revolutionärin ihre Meinung später nicht geändert, als hätte sie viele ihrer
Ansichten nicht nuanciert und korrigiert. Wenn wir uns darauf beschränken, zu
denken, die Unterschiede zwischen Luxemburg und Lenin wären unverändert
geblieben, wie ist es dann möglich, dass Rosa Luxemburg – wenn auch spät – den
Beschluss zur Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands und zur
weitreichenden Zusammenarbeit mit Lenin und den Bolschewiki beim Aufbau der
Dritten Internationale zu fassen?
Auch Trotzki nahm in den hier
dargestellten Jahren Positionen ein, die denen von Rosa Luxemburg zu dieser
Zeit sehr ähnlich waren. Er nahm als Delegierter für Sibirien an den Sitzungen
des Zweiten Kongresses der SDAPR teil, und seine Kritik an Lenin und den
Bolschewiki wurde in seiner Broschüre „Unsere politischen Aufgaben“
zusammengefasst.[10]
Aber Trotzki konnte lange genug leben, um seine Fehler öffentlich zuzugeben. Er
zog eine Bilanz seiner Meinungsverschiedenheiten mit Lenin nach der Spaltung
der SDAPR zwischen Menschewiki und Bolschewiki im Jahr 1903 und schrieb
Folgendes:
„Meine Trennung von Lenin
erfolgte also gleichsam auf „moralischem“, ja sogar auf persönlichem Gebiet.
Doch schien es nur äußerlich so. Im Grunde hatte unser Auseinandergehen einen
politischen Charakter, der nur auf organisatorischem Gebiet nach außen
durchbrach.
Ich zählte mich zu den
Zentralisten. Aber es ist außer Zweifel, daß ich mir in jener Periode keine
klare Rechenschaft darüber abzugeben vermochte, welch strenger und
gebieterischer Zentralismus für eine revolutionäre Partei erforderlich sein
würde, um eine Millionenmasse in den Kampf gegen die alte Gesellschaft zu
führen. [...] Der Leninsche Zentralismus ergab sich für mich noch nicht aus
einer klaren, selbständig durchdachten revolutionären Konzeption. Das Bedürfnis
aber, ein Problem selbständig zu erfassen und aus ihm alle notwendigen Schlußfolgerungen
zu ziehen, war für mich, wie mir scheint, stets das gebieterischste Bedürfnis
meines geistigen Lebens. Die Zuspitzung des auf
dem Kongreß entbrannten Konfliktes hatte ihren Grund sowohl in den sich bereits
herauskristallisierenden prinzipiellen Fragen, wie in dem falschen Augenmaß der
Alten bei der Einschätzung der Größe und der Bedeutung Lenins. [...] Die Alten,
und die Alten nicht allein, hatten sich geirrt; das war nicht nur ein
hervorragender Arbeiter, das war auch ein Führer, der durch und durch
zielgerichtet war und der, wie wohl anzunehmen ist, gerade dann, als er Seite
an Seite mit den Älteren, den Lehrern, stand, sich endgültig als Führer zu
fühlen und die Überzeugung zu gewinnen begann, daß er stärker und nötiger sei
als diese. [...]Wie dem auch sei, der zweite Kongreß bedeutet in meinem Leben
einen großen Markstein schon allein deshalb, weil er mich für viele Jahre von
Lenin getrennt hat. Die Vergangenheit als Ganzes erfassend, beklage ich das
nicht. Ich bin zum zweitenmal zu Lenin gekommen, später als viele andere, aber
ich bin gekommen auf eigenen Wegen, nachdem ich die Erfahrung der Revolution,
der Konterrevolution und des imperialistischen Krieges durchgemacht und
durchgedacht hatte. Ich bin zu ihm sicherer und ernster gekommen als jene
„Schüler“, die, zu seinen Lebzeiten, nicht immer an rechter Stelle des Lehrers
Worte wiederholten und seine Gesten nachahmten und die nach seinem Tode sich
als hilflose Epigonen und als unbewußte Werkzeuge in der Hand feindlicher
Mächte erwiesen haben.“[11]
Tatsache ist, dass sowohl Rosa
Luxemburg als auch Trotzki, als die Revolution in Russland und Deutschland
ausbrach, weit davon entfernt waren, sich bequem im menschewistischen oder
kautskyanischen Lager niederzulassen oder sich mit den Anarchisten zu identifizieren,
die eindeutig nicht in den Reihen des Bolschewismus standen. Trotzki schloss
sich dem bolschewistischen Zentralkomitee an, leitete das Militärische
Revolutionskomitee, das den bewaffneten Aufstand in Petrograd organisierte,
wurde zum Volkskommissar des Auswärtigen in der ersten Sowjetregierung ernannt
und führte die Rote Armee während des Bürgerkriegs gegen die Weißen. Rosa
Luxemburg, an der Spitze des Spartakusbundes, kämpfte dafür, den Sieg für die
sozialistische Revolution in Deutschland zu erringen, indem sie die Ideen, das
Programm und die Methoden des Bolschewismus nachahmte. Fünfzehn Tage vor ihrer
Ermordung durch Freikorps-Banden gründete sie die Kommunistische Partei
Deutschlands.
Lenin
und die deutsche Sozialdemokratie
Die stalinistische Bürokratie
schrieb die Geschichte der Partei neu, einschließlich einer umfassenden und
tiefgehenden Verzerrung des politischen Werdegangs ihrer alten Kader – eine
Tendenz, die in der physischen Vernichtung der alten, leninistischen Garde
gipfelte. All dies im Dienste der bürokratischen Kaste und des Personenkults um
den neuen „Generalsekretär“. In diesem Zusammenhang ist es durchaus
verständlich, dass die stalinistische Geschichtsschreibung nicht akzeptieren
konnte, dass Lenin die deutsche Sozialdemokratie und Kautsky, zumindest bis zum
Verrat des 4. August 1914,[12]
als theoretischen und organisatorischen Bezugspunkt betrachtet hatte.
Der Stalinismus konzentrierte
sich lieber auf die unehrliche Praxis, die politischen Debatten der
Vergangenheit aus dem Zusammenhang zu reißen, sie mit Fehlern und
Übertreibungen zu versehen und so als Waffe in den eigenen Händen zu nutzen. Er
deformierte die Geschichte, um sie im eigenen Interesse zu nutzen und eine
bürokratisierte, autoritäre und korrupte Führungsriege in der Partei zu
installieren. Doch so sehr die Stalinisten auch versuchten, die Spuren der
Geschichte zu beseitigen, die herausragendsten Dokumente der Polemik jener
Zeit, darunter Lenins Ansichten zur deutschen Sozialdemokratie, sind in
zahlreichen Schriften erhalten und leicht zugänglich.
So sah Lenin mit größerer
Verzögerung, was Rosa Luxemburg durch ihre eigene Erfahrung viel früher
verstehen konnte. Mitte 1905 schrieb er in seiner berühmten Broschüre „Zwei
Taktiken der Sozialdemokratie in der Demokratischen Revolution“: „Wo und wann
habe ich den Revolutionarismus Bebels und Kautskys als „Opportunismus"
bezeichnet? [...] Wo und wann sind zwischen mir einerseits und Bebel und
Kautsky anderseits Differenzen zutage getreten, die auch nur annähernd so ernst
wären, wie z. B. die Differenzen zwischen Bebel und Kautsky in der Agrarfrage
in Breslau? [...] Die volle Solidarität der internationalen revolutionären
Sozialdemokratie in allen wichtigen Fragen des Programms und der Taktik ist
eine unwiderlegbare Tatsache.“[13]
Eineinhalb Jahre später, am 7.
Dezember 1906, schrieb Lenin in seinem Artikel „Die Krise des Menschewismus“: „Haben wir doch von Anfang an erklärt (siehe „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritt zurück"):
irgendeine besondere „bolschewistische" Richtung schaffen wir nicht, wir
verteidigen nur überall und stets den Standpunkt der revolutionären Sozialdemokratie. In
der Sozialdemokratie aber wird es unmittelbar bis zur sozialen Revolution
unbedingt einen opportunistischen und einen revolutionären Flügel geben.“[14]
Lenin bezeichnete den
Menschewismus als den opportunistischen Flügel der Sozialdemokratie und dachte dabei
nicht an Kautsky, sondern an Bernstein. Sowohl er als auch seine Anhänger
betrachteten den Bolschewismus in diesen Jahren als die russische Form des
Kautskyanertum. In seinen Werken gibt es reichlich Zitate, Artikel und
Erwähnungen, die diese Ansicht bestätigen. Am 20. Dezember 1906 begrüßte Lenin
begeistert Kautskys Antwort auf Plechanows Fragen zum Charakter der russischen
Revolution: „Was wir gesagt haben – dass unser Kampf für die Positionen der
revolutionären Sozialdemokratie gegen den Opportunismus in keiner Weise die
Bildung einer ursprünglichen bolschewistischen Tendenz voraussetzt – wurde von
Kautsky vollständig bestätigt.“ Auf dem Stuttgarter Kongress der Zweiten
Internationale (1907) sagte Lenin: „Die deutsche Sozialdemokratie hat die
revolutionäre Perspektive im Marxismus immer beibehalten.“[15]
Am 6. August 1913 veröffentlichte
die Prawda einen Artikel von Lenin über das Leben und Werk von August Bebel: „Niemand
hat die besonderen Eigenschaften oder Aufgaben dieser Zeit so anschaulich
verkörpert wie August Bebel. Als Arbeiter war er in der Lage, einen festen Weg
zu starken sozialistischen Überzeugungen zu beschreiten und ein vorbildlicher
Arbeiterführer zu werden, der den Massenkampf der Lohnsklaven für ein besseres
System der menschlichen Gesellschaft vertritt und daran teilnimmt.“[16]
Am 4. April 1914 äußerte er sich erneut sehr deutlich und lobte nach wie vor
die „großen Verdienste“ der deutschen Sozialdemokratie und ihre „marxistische
Theorie, geschmiedet im unermüdlichen Kampf.“[17]
Er wird diese Haltung bis zum 4.
August 1914 beibehalten; bekanntlich dachte Lenin, als er die Kopie des
Vorwärts las, der über die Abstimmung der SPD-Bundestagsfraktion über
Kriegskredite berichtete, dass es sich um eine Fälschung des deutschen
Generalstabs handeln könnte.[18]
Lenins Lob für die SPD macht ihn
nicht zu einem Revisionisten. Es ist Teil der Geschichte, in der sein Denken
und Handeln geschmiedet wurde, und es wirft Licht auf die Kontroversen zwischen
Rosa Luxemburg und dem bolschewistischen Führer im Laufe der Jahre. „Wenn Lenin im Jahre 1903 alles verstanden und
formuliert hätte, was für künftige Zeiten erforderlich war“, schrieb
Trotzki, „so hätte sein ganzes übriges Leben nur
aus beständiger Wiederholung bestanden.“[19]
In jenen Jahren wurden die
Beziehungen zwischen Revolutionären nicht auf schmeichelhafte und scheinheilige
Weise geführt; dieses reformistische und opportunistische Prinzip „stelle dich
mir nicht in den Weg und ich werde mich nicht in deinen stellen“ hatte in ihren
Diskussionen keinen Platz. Lenin sah sich selbst als Schüler der deutschen
Sozialdemokratie, als er versuchte, eine proletarische Organisation in Russland
aufzubauen. Er hatte offensichtlich nicht die Kenntnisse von Rosa Luxemburg aus
erster Hand und ihm fehlte daher der umfassende Einblick, über den sie
verfügte.
Nach Jahren in der deutschen
Partei, aktiver Teilnahme an der täglichen Arbeit, in Gruppen, auf Kongressen,
Schreiben in ihren Publikationen; nach ihrer Polemik mit Bernstein, mit dem
Gewerkschaftsapparat und mit Kautsky wusste Rosa Luxemburg viel besser als
Lenin, aus welchem Holz die deutsche Sozialdemokratie und vor allem auch ihr
Führungskreis geschnitten war. Luxemburg wusste, dass hinter Kautskys
„Marxismus“, hinter der Legende, die ihn als Engels‘ theoretischen Erben zeichnete
und die er als Herausgeber des Theorieorgans der Partei nährte, ein erschöpfter
Mann stand, zynisch und zugleich nachsichtig gegenüber der wachsenden Macht der
privilegierten Bürokratie innerhalb der Partei. Wieder und wieder gerieten
Kautsky und Luxemburg in ihrem Kampf gegen die etablierte Ordnung und die
verkrusteten Strukturen der Partei aufeinander.
Im Jahr 1910 kam es im Zuge der
Diskussion über die Wahlreform zum entscheidenden Bruch zwischen Kautsky und
Luxemburg. Anscheinend handelte es sich nur um einen kleinen Aspekt der Taktik
der Partei, der ihre Streitigkeiten an einen Punkt bringen sollte, von dem es
kein Zurück mehr gab. Tatsächlich durchlief Rosa ihr besonderes „1903“, ähnlich
dem, was Lenin während des Zweiten Kongresses der SDAPR geschah. In dem Moment,
als Rosa Luxemburg öffentlich mit Kautsky brach und ihn beschuldigte, einem
neuen Revisionismus die Tür zu öffnen, fand sie keine Unterstützung in den
Reihen der russischen Sozialdemokratie. Bedeutete das, dass Lenin keine
ausreichend kriegerische Haltung gegenüber Reformismus und Opportunismus eingenommen
hatte? Die Dinge so zu sehen, bedeutet, den revolutionären politischen Kampf
auf eine absurde und leblose Weise zu betrachten.
„Lenin“,
schrieb Trotzki, „nahm an diesem Kampf keinen Anteil und unterstützte Rosa
Luxemburg nicht vor 1914. Leidenschaftlich mit den russischen Angelegenheiten
befaßt, verhielt er sich in internationalen Fragen überaus vorsichtig. In
Lenins Augen standen Bebel und Kautsky als Revolutionäre unvergleichlich höher
als in den Augen Rosa Luxemburgs, die sie aus größerer Nähe, bei ihrer
praktischen Tätigkeit beobachtete und die Atmosphäre der deutschen Politik sehr
viel unmittelbarer kennenlernte. Die Kapitulation der deutschen
Sozialdemokratie vom 4. August war für Lenin eine völlige Überraschung. Es ist
bekannt, daß Lenin die Nummer des Vorwärts mit der patriotischen Deklaration der sozialdemokratischen
Fraktion für eine Fälschung des deutschen Generalstabs hielt. Erst als er sich
endgültig von der scheußlichen Wahrheit überzeugt hatte, revidierte er seine
Beurteilung der Hauptrichtungen der deutschen Sozialdemokratie, und zwar auf
„leninistische“ Art, indem er sofort alle Konsequenzen daraus zog. “[20]
Eines der wichtigsten Merkmale
der großen Marxisten, die in ihren prinzipientreuen Positionen standhaft
bleiben können, ist ihre Ablehnung der Politik des „Prestiges“. Lenin wusste
immer, wie man erkennt, wann man sich geirrt hat. Und in dieser Hinsicht gab
Lenin unmissverständlich zu, dass Rosa Luxemburg Recht hatte und dass sie die
Symptome und Ursachen des Zusammenbruchs der deutschen SPD viel klarer und
früher verstanden hatte als er. Am 27. Oktober 1914, zwei Monate nach der
Kapitulation der Sozialdemokratie, schrieb Lenin an A. Schljapnikow: „Ich hasse und verachte Kautsky jetzt mehr als den
Rest der heuchlerischen, schurkischen, abscheulichen und autarken Herde (...)
Rosa Luxemburg hatte Recht, als sie vor einiger Zeit schrieb, dass Kautsky in hohem
Maße die „Unterwürfigkeit eines Theoretikers“ besaß: deutlicher noch, er war
immer ein Lakai, ein Lakai der Parteimehrheit, des Opportunismus.“[21]
Wenn Lenin in der SPD das
Beispiel einer disziplinierten, zentralisierten und von professionellen
Revolutionären geführten Partei sah, die er in Russland aufziehen wollte, warum
entwickelte sich dann keine sozialpatriotische und versöhnliche Tendenz
innerhalb der bolschewistischen Fraktion? Es ist wahr, dass die Bolschewiki ein
unermüdliches Werk der Organisation und Propaganda unter den russischen
Arbeitern verrichtet hatten, eine Aktivität, die unter geheimen Bedingungen
unter dem Feuer der polizeilichen Repression, des Gefängnisses und der
Verbannung nach Sibirien durchgeführt wurde. Sie hätten sich anpassen können,
wie die Menschewiki, aber das taten sie nicht. Und der Grund dafür liegt im
Wesentlichen in dem unnachgiebigen Kampf, den sie auf allen Ebenen gegen die
revisionistischen Tendenzen geführt haben, in ihrer unnachgiebigen Verteidigung
der Prinzipien des Marxismus – für die sie bei vielen Gelegenheiten als „sektiererisch“
beschuldigt wurden – und in ihrer Verwurzelung im Proletariat, das zum Rückgrat
des Bolschewismus wurde und ihm die notwendige Härte gaben, um an seinen
revolutionären Zielen festzuhalten:
„Ja, die Bolschewiki arbeiteten
hartnäckig und unermüdlich“, schreibt Suchanow,
der zur zerbrochenen Gruppe der Menschewiki gehörte. „Sie waren Tag für Tag mit
den Massen, in den Fabriken und Werkstätten [...] Die Massen lebten und atmeten
zusammen mit den Bolschewiki.“ Auch Miljukow,
der Führer der bürgerlichen Partei der Kadetten, bestätigt diese Ansicht: „Sie
sprachen und handelten wie Männer, die eine Gewalt hinter sich wussten und
erkannten, dass ihnen das Morgen gehörte“.[22]
Reformistische Unterwürfigkeit,
Sozialpatriotismus und Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie setzten sich in der
Fraktion durch, die auf theoretischer Ebene gegen Lenins „autoritäre“
zentralistische und „jakobinische“ Haltung rebellierte. Die Menschewiki liefen
Sturm gegen die „Diktatur des Zentralkomitees“, aber als es darauf ankam,
kapitulierten sie vor der russischen Bourgeoisie, unterwarfen sich dem
Imperialismus und griffen nach der Oktoberrevolution zu Waffen gegen den
Arbeiterstaat.
Bewusstsein,
Spontanität, Partei
Alle Kontroversen werden mithilfe
von Übertreibungen geführt, die, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen werden,
zu mehr Verwirrung als Klarheit führen und sogar den Sinn der Diskussion völlig
entstellen können. Als Lenin sein berühmtes „Was tun?“ schrieb, widmete er
einen wichtigen Teil seiner Überlegungen der Entblößung der opportunistischen
Ideen der Ökonomisten und ihres Fetischismus bezüglich der Spontanität der
Massen. Um die zentrale Rolle der revolutionären Partei zu unterstreichen,
gerade als Iskra danach strebte, alle sozialdemokratischen Tendenzen in einer
einzigen Partei für ganz Russland zu vereinen, ging Lenin so weit, zu
behaupten, dass die Arbeiterklasse durch ihre eigenen Kräfte nur ein „gewerkschaftliches“
Bewusstsein entwickeln könne und dass die Arbeiter, um weiter zu gehen, um ein
sozialistisches Bewusstsein zu erlangen, die Intervention eines externen
Faktors, der revolutionären Partei, brauchten.
Diese Formulierung war den
vorherrschenden, kautskyistischen Vorstellungen der damaligen Zeit geschuldet.
Ende 1901 schrieb Karl Kautsky in der Neuen Zeit:
„Als Lehre hat der Sozialismus
offensichtlich seine Wurzeln in den heutigen Wirtschaftsbeziehungen, ebenso wie
der proletarische Klassenkampf. Wie letzterer kommt er aus dem Kampf gegen die
Armut und das Elend der Massen, die durch den Kapitalismus hervorgerufen werden.
Aber Sozialismus und Klassenkampf entstehen weder voneinander noch erzeugen sie
sich gegenseitig, sie kommen von unterschiedlichen Voraussetzungen. Das heutige
sozialistische Bewusstsein kann nur auf der Grundlage fundierter
wissenschaftlicher Erkenntnisse entstehen. In der Tat ist die zeitgenössische
Wirtschaftswissenschaft eine Voraussetzung für die sozialistische Produktion,
wie zum Beispiel die moderne Technologie, und trotz all ihrer Wünsche wird das
Proletariat nicht in der Lage sein, das eine oder andere zu schaffen, denn
beide entstehen aus der gesamten gegenwärtigen sozialen Entwicklung. Daher ist
der Träger der Wissenschaft nicht das Proletariat, sondern die bürgerlichen
Intellektuellen. Tatsächlich liegt es in den Köpfen einiger Individuen dieser
Kategorie, wo der zeitgenössische Sozialismus geboren wurde, und durch sie
wurde der Sozialismus den intellektuell am weitesten entwickelten Proletariern
vermittelt, die ihn dann, wenn die Bedingungen es erlauben, in den Klassenkampf
des Proletariats einführen. Das sozialistische Bewusstsein ist daher ein
Produkt, das von außen in den Klassenkampf des Proletariats importiert wird,
und nicht etwas, das aus ihm in seiner Entstehung hervorgegangen ist. So sagte
das alte Parteiprogramm von 1888 zu Recht, dass die Aufgabe der
Sozialdemokratie darin besteht, das Bewusstsein über ihre Situation und das
Bewusstsein für ihre Mission in das Proletariat einzubringen. Das wäre nicht
nötig, wenn sich das Bewusstsein aus dem Klassenkampf entwickelt hätte.“[23]
Lenin hat in „Was tun?“ einen
ziemlich ähnlichen Standpunkt vertreten:
„ Die
Streiks der neunziger Jahre zeigen schon viel mehr Symptome der Bewußtheit: es
werden bestimmte Forderungen aufgestellt, es wird im voraus erwogen, welcher
Zeitpunkt der beste ist, es werden bestimmte Fälle und Beispiele aus anderen
Orten erörtert usw. Waren die Rebellionen lediglich eine Auflehnung
unterdrückter Menschen, so stellten die systematischen Streiks bereits
Keimformen des Klassenkampfes dar, aber eben nur Keimformen. An und für sich
waren diese Streiks ein trade-unionistischer und noch kein sozialdemokratischer
Kampf; sie kennzeichneten das Erwachen des Antagonismus zwischen den Arbeitern
und den Unternehmern, aber den Arbeitern fehlte – und mußte auch fehlen – die
Erkenntnis der unversöhnlichen Gegensätzlichkeit ihrer Interessen zu dem
gesamten gegenwärtigen politischen und sozialen System, das heißt, es fehlte
ihnen das sozialdemokratische Bewußtsein. [...] Wir haben gesagt, daß die
Arbeiter ein sozialdemokratisches Bewußtsein gar nicht haben konnten.
Dieses konnte ihnen nur von außen gebracht werden. Die Geschichte aller Länder
zeugt davon, daß die Arbeiterklasse ausschließlich aus eigener Kraft. nur ein
trade-unionistisches Bewußtsein hervorzubringen vermag, d.h. die Überzeugung
von der Notwendigkeit, sich in Verbänden zusammenzuschließen, einen Kampf gegen
die Unternehmer zu führen, der Regierung diese oder jene für die Arbeitet
notwendigen Gesetze abzutrotzen u.a.m. Die Lehre des Sozialismus ist
hingegen aus den philosophischen, historischen und ökonomischen Theorien
hervorgegangen, die von den gebildeten Vertretern der besitzenden Klassen, der
Intelligenz, ausgearbeitet wurden. Auch die Begründer des modernen
wissenschaftlichen Sozialismus, Marx und Engels, gehörten ihrer sozialen
Stellung nach der bürgerlichen Intelligenz an.“[24]
Diese eher einseitige
Formulierung zur Frage des Bewusstseins wurde von Lenin nach der Revolution von
1905 korrigiert, und nichts Ähnliches findet sich in seinen späteren Schriften.
Lenin selbst würdigte in einem zwölf Jahre später erschienenen Artikel „Was
tun“ und stellte es in den spezifischen Kontext des damaligen Parteikampfes:
„[Was tun] ist das
Nachschlagewerk der Taktik und Organisationspolitik der Iskra in den 1901er und
1902er-Jahren. Ein Nachschlagewerk, nicht mehr und nicht weniger. Wer sich die
Mühe macht, die Archive der Iskra von 1901 und 1902 zu prüfen, der wird
zweifellos davon überzeugt sein. Und wer dieses Nachschlagewerk beurteilt, ohne
den Kampf der Iskra gegen den damals vorherrschenden Ökonomismus zu kennen und
ohne ihn zu verstehen, der wird nur Worte in den Wind werfen“.[25]
Die theoretischen Polemiken und
taktischen Unterschiede müssen in dem historischen Rahmen beurteilt werden, in
dem sie auftreten, in ihrer Entwicklung verstanden werden und als Teil der
lebendigen Erfahrung des Klassenkampfes. Diese Methode ist auch auf die Diskussion
über die Spontaneität anzuwenden, ein berühmtes Wort, mit dem versucht wurde,
ein ganzes Amalgam aus Halbwahrheiten, Unterstellungen und Anschuldigungen zu
schaffen, die nie bewiesen wurden, um zu bestätigen, dass eine tiefe Kluft die
Ansichten von Rosa Luxemburg von denen Lenins‘ getrennt hätte.
Eine aufmerksame und detaillierte
Untersuchung dieser vermeintlichen Polemik zeigt, dass diese Legende vor allem
von den stalinistischen Epigonen erfunden wurde und später von einigen
ehemaligen Marxisten wieder aufgenommen wurde, die in das Feld des Anarchismus
übergelaufen sind.[26]
Die Diskussion über Spontaneität
lässt sich anhand von Rosa Luxemburgs Schrift „Massenstreik, Partei und
Gewerkschaften“ nachvollziehen, einem Plädoyer gegen Klassenkollaboration und
dem bürokratischen Konservatismus der Spitzen von SPD und Gewerkschaften. Rosa
Luxemburg betont darin die wichtige Erfahrung des revolutionären Kampfes der
russischen Streikbewegungen, die enorme Bedeutung des direkten Handelns der
Arbeiterklasse, die mit der Frage des Generalstreiks offensichtlich größte
Bedeutung erlangt hatte, wandte sich gegen die reformistische Sklerose der
deutschen Gewerkschaftsführer, und wurde deshalb von ihren Gegnern des
„anarchistischen Abweichlertums“ und des „Spontanismus“ beschuldigt.
Diese Angriffe, die 1906
stattfanden, wurden später von den Stalinisten aufgegriffen. „Rosa Luxemburg“, so schreibt Frölich, „hat einen Fehler
gemacht. In ihrer Schrift dachte sie nicht an die erhabenen Herren, die ihre
Gedanken nach ihrem Tod korrigieren würden. Auf diese Weise konnte man ihre
„Theorie der Spontaneität“ demonstrieren, indem man Dutzende von Zitaten aus ihren
Schriften entriß.“
Rosa Luxemburg und Lenin
verstanden vollkommen, dass die Dynamik des Klassenkampfes und die Intervention
der Revolutionäre in ihn nicht durch einen in den Parteibüros ausgearbeiteten
millimetergenauen Plan entschieden werden konnte. Beide wurden nicht müde, zu
wiederholen, dass die Revolution komplexer und vielfältiger in den Ereignissen
sei als jede doktrinäre Formel. „Die Geschichte
im allgemeinen und die Geschichte der Revolutionen im besonderen ist stets
inhaltsreicher, mannigfaltiger, vielseitiger, lebendiger, „vertrackter“, als
die besten Parteien, die klassenbewußtesten Avantgarden der fortgeschrittensten
Klassen es sich vorstellen.“[27] Lenin
schrieb dies 1920, und ähnliche Ansätze finden sich in Dutzenden von Werken von
Rosa Luxemburg.
Ausgehend von dieser
dialektischen, nicht-mechanischen Herangehensweise leugnete Rosa Luxemburg nie
die Rolle der Organisation, der Partei und natürlich der revolutionären Führung
in der Ausrichtung und Taktik des Arbeiterkampfes. Von einer
halbanarchistischen Rosa Luxemburg zu sprechen, ist einfach eine grobe
Falschdarstellung, die nicht aufrecht erhalten werden kann, wenn man ihre
Schriften liest und ihre militante Laufbahn betrachtet.
Als sie 1910 mit Kautsky brach,
war der Auslöser für ihre politische Trennung Rosa Luxemburgs Forderung nach
einem Aktionsplan, um der preußischen Regierung ein fortschrittliches
Wahlgesetz zu entreißen: „Unsere Partei muss ein klares und definiertes Konzept
erarbeiten, wie sie die von ihr selbst hervorgerufenen Massenbewegungen ausweiten
kann [...] Straßendemonstrationen sind nicht nur der Beginn des Kampfes [...] Der
Ausdruck der Massen als Ganzes in einem politischen Kampf [...] muss verstärkt
und intensiviert werden, sie müssen neue und effektivere Formen annehmen [...]
Wenn es der Partei, die sie befehligt, an Entschlossenheit mangelt und sie den
Massen nicht den richtigen Slogan gibt, wird es Entmutigung geben, der Impuls
wird verschwinden und die ganze Aktion wird vereitelt“.[28]
Wie man sehen kann, war sich Rosa
Luxemburg des Wertes der Partei, ihres entscheidenden Einflusses auf die
siegreiche Entwicklung des Klassenkampfes, sehr bewusst.
In allen Phasen ihrer militanten
Tätigkeit bis zu ihrer Ermordung – in der SDKPiL, in der SPD, in der USPD, als
unbestrittene Führerin des Spartakusbundes und der Kommunistischen Partei
Deutschlands – arbeitete Rosa Luxemburg unermüdlich am Aufbau der marxistischen
Partei. Ihr Beharren auf der schöpferischen Kraft der Massen, auf ihrer Bedeutung
für die Inspiration und Korrektur der Fehler der Partei, stellt in Rosas Denken
eine Form von Selbstverteidigung dar, eine Möglichkeit, ihr Vertrauen in die
revolutionäre Kraft der Arbeiterklasse gegen den Konservatismus des
revisionistischen Apparats, gegen eine sozialdemokratische Führung, die schöne
Reden zugunsten des Sozialismus auf Kongressen und Gedenkveranstaltungen hielt,
sich aber in ihrer täglichen Arbeit von diesen Ideen abwandte.
Es ist wahr, dass Rosa Luxemburg auf
diesem Gebiet deutlich weniger weitsichtig war als Lenin, dass sie dem
organisierten Kern der revolutionären Kader nicht die herausragende Rolle zugestand,
den er bei der Entwicklung des subjektiven Faktors spielen muss. Sie hat
unterschätzt, welche vorbereitende, grundlegende Arbeit beim Aufbau der
subjektiven Kraft der Partei geleistet werden muss, bevor die Partei in eine
revolutionäre Situation eintritt, und dass Versäumnisse in diesem Prozess nicht
im Nachhinein „improvisiert“ werden können. Sie hatte eine abstrakte
Vorstellung der sozialistischen Partei, weniger konkret und viel weniger effektiv
als die von Lenin, und dieser Mangel wurde teuer bezahlt. Der tagtägliche Kampf
der Arbeiterklasse und die „großen Massenbewegungen“ bilden eine gigantische
Schule, die für die Arbeiter wertvolle Lektionen bereithält. Aber das schließt
nicht aus oder widerspricht der Rolle der revolutionären Partei als kollektiver
Erzieher und als entscheidender Faktor für den Sieg der Sache des Proletariats.
1940, kurz vor seiner Ermordung,
arbeitete Trotzki an einem Text, um denjenigen zu antworten, die Francos Triumph
als Frucht der politischen „Unreife“ der spanischen Arbeiter und Bauern
betrachteten, gerade als diese einen dreijährigen bewaffneten Kampf gegen den
Faschismus geführt hatten. Trotzki näherte sich dem Verhältnis zwischen
Bewusstsein, den objektiven Bedingungen der Revolution und der Rolle der
Führung auf hervorragende Weise:
„In
Wirklichkeit ist die Führung durchaus nicht die „einfache Widerspiegelung“
einer Klasse oder das Produkt ihrer eigenen schöpferischen Kraft. Eine Führung
wird vielmehr im Prozess der Zusammenstöße zwischen den verschiedenen Klassen
oder der Reibung zwischen den verschiedenen Schichten einer gegebenen Klasse
geformt. Einmal aufgestiegen, erhebt sich die Führung stets über die Klasse und
wird dadurch den Einflüssen und dem Druck anderer Klassen ausgesetzt. Das
Proletariat kann für lange Zeit eine Führung „dulden“, die schon eine
vollständige innere Degeneration durchgemacht hat, die jedoch noch nicht die
Gelegenheit hatte, dies angesichts großer Ereignisse zu zeigen.
Ein großer
historischer Schock ist notwendig, um in aller Schärfe die Widersprüche
zwischen der Führung und der Klasse zu enthüllen. Die mächtigsten historischen
Schocks sind Kriege und Revolutionen. Genau aus diesem Grunde wird die
Arbeiterklasse oft unversehens von Krieg und Revolutionen überrascht. Aber
sogar dann, wenn die alte Führung ihre innere Korruption offenbart hat, kann
die Klasse sich nicht aus dem Stegreif eine neue Führung schaffen, zumal wenn
sie nicht aus der vorangegangenen Periode starke revolutionäre Kader ererbt
hat, die fähig sind, sich den Zusammenbruch der alten führenden Partei zunutze
zu machen. [...]
Im März 1917
folgte der Bolschewistischen Partei nur eine unbedeutende Minderheit der
Arbeiterklasse, und darüber hinaus wurde die Partei selbst von inneren
Unstimmigkeiten beherrscht. Die überwiegende Mehrzahl der Arbeiter unterstützte
die Menschewiki und die „Sozialrevolutionäre“, also konservative
Sozialpatrioten. In Bezug auf die Armee und die Bauernschaft war die Situation
noch ungünstiger. Dazu kamen noch das allgemein niedrige Niveau im Lande und
das Fehlen politischer Erfahrungen unter den breitesten Schichten des
Proletariats, besonders in der Provinz, ganz zu schweigen von der Bauernschaft
und den Soldaten.
Was war der
Vorteil des Bolschewismus? Am Anfang der Revolution hatte nur Lenin eine klare
und konsequent durchdachte revolutionäre Konzeption. Die russischen Kader der
Partei waren verstreut und zu einem beträchtlichen Grade verwirrt. Aber die
Partei genoss Autorität unter den fortschrittlichen Arbeitern. Lenin hatte
große Autorität bei den Parteikadern. Lenins politische Konzeption entsprach
der tatsächlichen Entwicklung der Revolution und wurde durch jedes neue
Ereignis bekräftigt. Diese Vorteile wirkten Wunder in einer revolutionären
Situation, das heißt unter den Bedingungen eines erbitterten Klassenkampfes.
Die Partei richtete ihre Politik rasch nach Lenins Konzeption aus, d.h. nach
dem tatsächlichen Verlauf der Revolution. Dadurch gelang es ihr, die feste
Unterstützung von Zehntausenden von fortschrittlichen Arbeitern zu gewinnen.
Auf die Entwicklung der Revolution gestützt, war es der Partei möglich,
innerhalb weniger Monate die Mehrheit der Arbeiter von der Richtigkeit ihrer
Parolen zu überzeugen. Da die Mehrheit in Sowjets organisiert war, war sie
imstande, die Soldaten und Bauern anzuziehen.
Wie kann dieser
dynamische, dialektische Prozess durch eine Formel der „Reife“ oder „Unreife“
des Proletariats erschöpft werden? Ein kolossaler Faktor für die Reife des
russischen Proletariats im Februar oder März 1917 war Lenin. Er war nicht
vom Himmel gefallen. Er verkörperte die revolutionäre Tradition der
Arbeiterklasse. Damit Lenins Parolen ihren Weg zu den Massen finden konnten,
mussten Kader existieren, selbst wenn es anfangs nur wenige waren; die Kader
mussten Vertrauen in die Führung haben, ein Vertrauen, das auf der gesamten
Erfahrung der Vergangenheit basierte. Diese Elemente aus seinen Berechnungen
auszuklammern, bedeutet einfach, die lebendige Revolution zu ignorieren, sie durch
eine Abstraktion, das „Kräfteverhältnis“, zu ersetzen. Denn die Entwicklung der
Revolution besteht gerade darin, dass sich das Kräfteverhältnis unaufhörlich
und plötzlich verändert: unter dem Einfluss der Veränderungen im Bewusstsein
des Proletariats, der Anziehung rückständiger Schichten durch die
fortgeschrittenen, die wachsende Zuversicht der Klasse in ihre eigene Stärke.
Das wichtigste, lebendige Element in diesem Prozess ist die Partei, genau wie
im Mechanismus der Partei das wichtige und lebendige Element die Führung ist.
Die Rolle und die Verantwortung der Führung in einer revolutionären Epoche ist
enorm.
Der Oktober-Sieg
ist ein ernstes Zeugnis für die „Reife“ des Proletariats. Aber diese Reife ist
relativ. Wenige Jahre später ließ dasselbe Proletariat zu, dass eine
Bürokratie, die aus seinen eigenen Reihen heranwuchs, die Revolution erwürgte.
Ein Sieg ist keineswegs die reife Frucht der „Reife“ des Proletariats. Der Sieg
ist eine strategische Aufgabe. Die günstigen Umstände einer revolutionären Krise
müssen dazu genutzt werden, die Massen zu mobilisieren; der gegebene Stand
ihrer „Reife“ muss als Ausgangspunkt genommen werden, um sie weiter vorwärts zu
treiben, um ihnen klarzumachen, dass der Feind keineswegs allmächtig ist, dass
er von Widersprüchen zerrissen ist, dass hinter der imponierenden Fassade Panik
herrscht. Hätte die Bolschewistische Partei gegenüber dieser Aufgabe versagt,
so hätte vom Sieg der proletarischen Revolution nicht einmal die Rede sein
können. Die Sowjets wären von der Konterrevolution hinweggefegt worden, und die
kleinen Weisen aller Länder hätten Artikel und Bücher geschrieben mit dem
Grundtenor, daß nur entwurzelte Schwärmer in Russland von der Diktatur des
Proletariats träumen könnten, das doch zahlenmäßig so schwach und so unreif
ist.“[29]
Egal wie viel Spontaneität,
Hingabe, Kampfbereitschaft, Opfer und Heldentum die Massen in Aktion zeigen –
all das sind wesentliche Elemente für den Sieg – nichts kann eine Führung
ersetzen, die in der Lage ist, eine Strategie zur Machtergreifung zu
entwickeln. In jedem Streik, und noch mehr in einer Revolution, sind alle diese
Elemente weder exklusiv noch widersprüchlich.
Diejenigen, die Rosa die
Autorenschaft für eine spontanistische Doktrin zugeschrieben haben, werden
ihren Ansichten nicht gerecht: „Das luxemburgische Konzept der Spontaneität ist
eine Ausarbeitung und Verlängerung einiger von ihr offengelegter Ideen durch
andere. Bis zu einem gewissen Grad ist es eine Übertreibung. [...] Rosas Ideen
wurden in dieser Hinsicht langsam gebildet; als die Unzufriedenheit mit der Politik
der SPD-Führung zunahm, wurde ihr immer deutlicher, wie diese sich in
Widerspruch zu den kämpfenden Massen begeben hatte. Aber dieses Konzept war
untrennbar mit dem Handeln verbunden. Ihr zufolge war die Überlegenheit der
Massen über die Führung nur dann sinnvoll, wenn die Massen die Aktion der
Bewegungslosigkeit vorzogen.“[30]
Rosa Luxemburgs Kampf gegen den Reformismus,
Konservatismus und Opportunismus des sozialdemokratischen Apparats ließ für
viele deutsche Revolutionäre die Frage nach der Rolle, die eine disziplinierte,
marxistische und in der Arbeiterklasse
verwurzelte Kaderpartei zu spielen hatte, in den Schatten treten. Es war ein
Fehler zu denken, die „Frucht“ des Sozialismus würde allein durch das Handeln
der Arbeiterklasse reifen. Eine revolutionäre Führung entsteht im Laufe
mühsamer Erfahrungen, von Niederlagen und Siegen, eines harten
Auswahlverfahrens. Rosa Luxemburg bestand bei zahlreichen Gelegenheiten darauf,
dass Revolutionen die Folge objektiver und materieller Prozesse der
Gesellschaft sind. Diese Erkenntnis ist offensichtlich. In einem solchen
Prozess können die Massen den Himmel erstürmen, sie können vorübergehend an der
Macht bleiben wie in der Pariser Kommune oder 1934 in Asturien. Aber um den endgültigen
Sieg zu erringen, um wirklich zu triumphieren, durch die Hände der arbeitenden
Klasse die politische Macht zu erobern und den Prozess des sozialistischen
Umbaus der Gesellschaft zu beginnen, braucht es eine Partei, die die
historische Erfahrung des Proletariats in einem Programm und einer Taktik
verallgemeinert, die es ermöglichen, die Bourgeoisie zum richtigen Zeitpunkt
von ihrer herrschenden Position zu stürzen.
Kapitalakkumulation
und Imperialismus
In seiner Biographie von Rosa
Luxemburg reflektiert Nettl sehr genau: „Keine Kontroverse über den Sozialismus
endete im entsprechenden Kongress, bis Stalin die Geheimpolizei zu Aufsehern
der Kongresse machte, sowohl für Ideen als auch für Männer“.[31]
Zu der Zeit, als Rosa Luxemburg und Lenin lebten, war es unvorstellbar zu
denken, dass die marxistische Bewegung ihre Differenzen auf andere Weise als
durch Argumentation lösen konnte, indem sie ihre Ideen mit der praktischen
Erfahrung verglich. Der Marxismus war und ist keine Kirche mit ihren
Heiligenbildern, Päpsten und der Heiligen Inquisition.
Die Diskrepanzen zwischen Rosa
Luxemburg und Lenin erstreckten sich auf verschiedene Bereiche der
revolutionären Theorie, des Programms und der Taktik. Als Rosa 1913 beschloss,
ihre Ansichten als Parteidozentin der SPD in ein Buch mit dem Titel „Einführung
in die Nationalökonomie“ zu gießen, stieß sie auf eine von ihr so genannte
„unerwartete Schwierigkeit“: „Ich konnte den gesamten Prozess der
kapitalistischen Produktion, in all ihren praktischen Beziehungen und mit ihren
objektiven historischen Grenzen nicht klar genug beschreiben. Eine genauere
Betrachtung des Themas hat mich davon überzeugt, dass es sich nicht nur um eine
Frage der bloßen Repräsentationskunst handelte und dass ein Problem zu lösen
war; es bezog sich auf das theoretische Thema von Band II des Kapitals und war
gleichzeitig eng mit der gegenwärtigen imperialistischen Politik und ihren
wirtschaftlichen Wurzeln verbunden.“ Aus dieser Studie ging ihre wichtigste
Arbeit zur politischen Ökonomie hervor, „Die Akkumulation des Kapitals“,
geschrieben im Jahr 1913.
Die Behandlung dieses Themas in
seiner Gesamtheit geht über den Anspruch dieses Papiers hinaus. Aber ohne auf
alle Details einzugehen, werden wir versuchen, einige grundlegende Aspekte der
Diskussion zu beleuchten.
Es ist bekannt, dass Lenin Rosas
Vorstellungen von der erweiterten Reproduktion von Kapital, Krisen und
Imperialismus als „grundlegend falsch“ beurteilte und dass die Polemik zwischen
den beiden zum Thema der kapitalistischen Krise viele Jahre lang Bestand hatte.
Um die zentralen Widersprüche zu verstehen, ist es wichtig, von dem auszugehen,
was Marx in seinen wichtigsten Schriften zur politischen Ökonomie dargelegt
hat: dass die Ursachen von Überproduktionskrisen nicht außerhalb des Produktionsprozesses
zu finden sind, sondern dass sie einen untrennbaren Teil der inneren Dynamik
der kapitalistischen Produktion und der Materialisierung und Aneignung von
Mehrwert bilden. Die Zwangsjacke, die das Privateigentum an den
Produktionsmitteln und die Existenz des Nationalstaates für die Entwicklung der
Produktivkräfte mit sich bringt, treibt das kapitalistische System regelmäßig
zu zyklischen Krisen, die sich in Ausmaß und Tiefe unterscheiden können. Mit
den Worten von Marx und Engels:
„Seit Dezennien ist die
Geschichte der Industrie und des Handels nur die Geschichte der Empörung der
modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktionsverhältnisse, gegen die
Eigentumsverhältnisse, welche die Lebensbedingungen der Bourgeoisie und ihrer
Herrschaft sind. Es genügt, die Handelskrisen zu nennen, welche in ihrer
periodischen Wiederkehr immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen
Gesellschaft in Frage stellen. In den Handelskrisen wird ein großer Teil nicht
nur der erzeugten Produkte, sondern der bereits geschaffenen Produktivkräfte
regelmäßig vernichtet. In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie
aus, welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre – die
Epidemie der Überproduktion. Die Gesellschaft findet sich plötzlich in einen
Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt; eine Hungersnot, ein allgemeiner
Vernichtungskrieg scheinen ihr alle Lebensmittel abgeschnitten zu haben; die
Industrie, der Handel scheinen vernichtet, und warum? Weil sie zuviel
Zivilisation, zuviel Lebensmittel, zuviel Industrie, zuviel Handel besitzt. Die
Produktivkräfte, die ihr zur Verfügung stehen, dienen nicht mehr zur
Beförderung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse; im Gegenteil, sie sind zu
gewaltig für diese Verhältnisse geworden, sie werden von ihnen gehemmt; und
sobald sie dies Hemmnis überwinden, bringen sie die ganze bürgerliche
Gesellschaft in Unordnung, gefährden sie die Existenz des bürgerlichen
Eigentums. Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng geworden, um den von ihnen
erzeugten Reichtum zu fassen. – Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen?
Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften;
anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung
alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere
Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert. Die
Waffen, womit die Bourgeoisie den Feudalismus zu Boden geschlagen hat, richten
sich jetzt gegen die Bourgeoisie selbst.“[32]
Die immer wiederkehrenden Krisen
der Überproduktion und der Kampf um die Weltherrschaft führten Marx nicht dazu,
eine Theorie über eine „letzte Krise des Kapitalismus“ zu entwickeln. Die
herrschende Klasse wird immer Wege aus dem organischen Zerfall ihres Systems
finden, auch wenn es bedeutet, die Zivilisation an den Rand der Zerstörung zu treiben.
Während diese Überlegung schon
immer ein theoretischer Ausgangspunkt für Marxisten war, hat die Frage nach den
Ursachen der kapitalistischen Krisen ein ums andere Mal zu einer intensiven
Polemik geführt. In „Die Akkumulation des Kapitals“ hinterfragt Rosa Luxemburg
die Dynamik von Überproduktionskrisen und die Rolle des Imperialismus. Sie
weist darauf hin, dass der Kapitalismus nicht in reiner Form existiert, d.h.
dass die kapitalistische Gesellschaft, die in Lohnabhängige und Eigentümer von
Produktionsmitteln unterteilt ist, mit anderen nicht-kapitalistischen
Wirtschaftsformen koexistiert, die in den Kolonien und in den Ländern der
spätkapitalistischen Entwicklung dominieren. Aus diesen Zonen und Ländern, so Luxemburg,
kam die notwendige Forderung, die Schwierigkeiten der Akkumulation zu lösen,
aber gleichzeitig schufen sie die Voraussetzungen für die Krise des Systems und
seinen Zusammenbruch. Es würde eine Zeit kommen, in der alle Gebiete des
Planeten von kapitalistischen Produktionsformen dominiert würden und die Akkumulation
unrentabel würde:
„So
breitet sich der Kapitalismus dank der Wechselwirkung mit nichtkapitalistischen
Gesellschaftskreisen und Ländern immer mehr aus, indem er auf ihre Kosten
akkumuliert, aber sie zugleich Schritt für Schritt zernagt und verdrängt, um an
ihre Stelle selbst zu treten. Je mehr kapitalistische Länder aber an dieser
Jagd nach Akkumulationsgebieten teilnehmen und je spärlicher die
nichtkapitalistischen Gebiete werden, die der Weltexpansion des Kapitals noch
offenstehen, um so erbitterter wird der Konkurrenzkampf des Kapitals um jene
Akkumulationsgebiete, um so mehr verwandeln sich seine Streifzüge auf der
Weltbühne in eine Kette ökonomischer und politischer Katastrophen: Weltkrisen,
Kriege, Revolutionen.
Durch diesen Prozess bereitet das Kapital aber in zweifacher Weise
seinen Untergang vor. Indem es einerseits durch seine Ausdehnung auf Kosten
aller nichtkapitalistischen Produktionsformen auf den Moment lossteuert, wo die
gesamte Menschheit in der Tat lediglich aus Kapitalisten und Lohnproletariern
besteht und wo deshalb eben weitere Ausdehnung, also Akkumulation, unmöglich
wird. Zugleich verschärft es, im Maße wie diese Tendenz sich durchsetzt, die
Klassengegensätze, die internationale wirtschaftliche und politische Anarchie
derart, dass es, lange bevor die letzte Konsequenz der ökonomischen Entwicklung
– die absolute, ungeteilte Herrschaft der kapitalistischen Produktion in der
Welt – erreicht ist, die Rebellion des internationalen Proletariats gegen das
Bestehen der Kapitalsherrschaft herbeiführen muss.“[33]
Rosa Luxemburg hat in dieser
Interpretation mehrere Fehler begangen, die sich aus der grundlegenden Prämisse
ergeben, die Lösung für die Schwierigkeit der Durchführung einer erweiterten
Akkumulation in einem Bereich außerhalb der kapitalistischen Produktion zu suchen:
bei der Eroberung und Assimilation nichtkapitalistischer Wirtschaftsräume, also
auf dem Markt und im Konsum.
Wie Marx erklärte, wird die
kapitalistische Produktionsweise durch die Integration des gesamten Planeten in
einen Binnenmarkt entwickelt und durchgesetzt, und zwar dank der Sozialisierung
der Produktion, der weltweiten Arbeitsteilung und der Ausweitung des
Welthandels. Die unvermeidliche Tendenz, dass die kapitalistische Produktion
über die nationalen Grenzen hinaus expandiert, ist die Folge des Systems der
groß angelegten Rohstoffproduktion und der damit verbundenen
Kapitalkonzentration. Zweitens ist die Konkurrenz des Kapitals auf dem Weltmarkt
– spezifischer der Kapitalistenklassen der Kolonialmächte – nicht auf die
Unmöglichkeit zurückzuführen, in den imperialistischen Metropolen einen
Mehrwert zu erzielen, sondern auf die damit verbundene Suche nach höheren
Profitraten und die Eroberung neuer Märkte. Es ist falsch zu behaupten, dass,
wenn die Menschheit nur noch aus Arbeitern und Kapitalisten besteht, jede
weitere Akkumulation unmöglich ist; es ist auch falsch zu behaupten, dass an
dem Punkt, an dem die kapitalistische Produktion auf dem gesamten Planeten
dominiert, neue Marktanteile nicht mehr zu gewinnen wären oder eine endgültige
Krise unvermeidlich wird, weil jede neue Akkumulation verhindert wird.
Lenin schenkte diesen Problemen
große Aufmerksamkeit. Sein Buch „Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland“
war ein großer Beitrag zur Polemik der russischen Marxisten gegen die Volkstümler,
die die Möglichkeit des Sieges des Kapitalismus in Russland wegen der
semi-feudalen Struktur des landwirtschaftlichen Eigentums, des Gewichts der
Bauernwirtschaft und der Verarmung der Bauernmassen leugneten. In einem Artikel
mit dem „Zur Charakteristik der ökonomischen Romantik“ beantwortet Lenin die
Ansichten dieser Elemente und geht unter anderem auf Fragen der
kapitalistischen Krise ein:
„Wenn die Volkstümler behaupten,
der äußere Markt sei der „Ausweg aus der Schwierigkeit“, die der Kapitalismus
sich bei Realisation des Produkts schafft, so bemänteln sie mit dieser Phrase
nur den traurigen Umstand, daß der „äußere Markt“ für sie der „Ausweg aus der
Schwierigkeit“ ist, in die sie geraten, weil sie die Theorie nicht verstehen...
[...] [N]icht nur die Produkte, die in Form von Konsumtionsmitteln existieren,
sondern auch die Produkte, die in Form von Produktionsmitteln existieren, sie
werden alle in gleicher Weise nur unter „Schwierigkeiten“, unter ständigen
Schwankungen realisiert, die mit der weiteren Entwicklung des Kapitalismus
immer stärker werden, in einer wütenden Konkurrenz, die jeden Unternehmer zwingt, nach schrankenloser Ausdehnung
der Produktion zu streben, indem er die Grenzen des betreffenden Staates
überschreitet und sich auf der Suche nach neuen Märkten Ländern zuwendet, die noch
nicht in die kapitalistische Warenzirkulation einbezogen sind. Jetzt sind wir
auch bei der Frage angelangt, warum der äußere Markt für ein kapitalistisches
Land notwendig ist. Durchaus nicht darum, weil das Produkt in der
kapitalistischen Ordnung überhaupt nicht realisiert werden kann. Das ist
Unsinn. Der äußere Markt ist notwendig, weil der kapitalistischen Produktion
das Streben nach schrankenloser
Ausdehnung eigen ist- im Gegensatz zu
allen alten Produktionsweisen, die durch die Grenzen der Dorfgemeinde, des
Erbguts, des Stammes, des territorialen Gebiets oder des Staates gebunden
waren. Während in allen alten Wirtschaftsordnungen die Produktion jeweils in
der gleichen Form und in dem gleichen Ausmaß wie vorher fortgesetzt wurde –
wird in der kapitalistischen Gesellschaft diese Fortführung in gleicher Form unmöglich, und die schrankenlose Ausdehnung und dauernde Vorwärtsbewegung wird zum
Gesetz der Produktion.“[34]
Im gleichen Text kritisiert Lenin
Theorien der Unterkonsumtion als Erklärung für die Krisen, Ideen, die die
Volkstümler von Sismondi übernommen haben:
„Die wissenschaftliche Analyse
der Akkumulation in der kapitalistischen Gesellschaft und der Realisation des
Produkts untergrub alle Grundlagen dieser Theorie und wies außerdem nach, daß
gerade in Zeiten, die den Krisen vorausgehen, die Konsumtion der Arbeiter
streigt, daß es Unterkonsumtion (die angeblich die Krisen erklärt) bei den
verschiedensten Wirtschaftsordnungen gegeben hatm während die Krisen das
Unterscheidungsmerkmal nur eines
Systems sind, des kapitalistischen. Diese Theorie [der Marxismus] erklärt die
Krisen aus einem anderen Widerspruch, nämlich dem Widerspruch zwischen dem
gesellschaftlichen Charakter der Produktion (die durch den Kapitalismus
vergesellschaftet worden ist) und der privaten, individuellen Aneignungsweise.
[...] Die erste Theorie erklärt sie aus dem Widerspruch zwischen der Produktion
und der Konsumtion der Arbeiterkasse, die zweite aus dem Widerspruch zwischen
dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und dem privaten Charakter der
Aneignung. Die erste sieht also die Wurzel der Erscheinung außerhalb der Produktion [...] die zweite sieht sie gerade in den
Produktionsbedingungen. [...] Bestreitet die zweite Theorie etwa die Tatsache
eines Widerspruchs zwischen Produktion und Konsumtion, die Tatsache der
Unterkonsumtion? Selbstverständlich nicht.
Sie erkennt diese Tatsache durchaus an, weist ihr aber als einer Tatsache, die
sich nur auf eine Abteilung der
gesamten kapitalistischen Produktion bezieht, den ihr zukommenden,
untergeordneten Platz an.“[35]
In seinem großen Werk „Der
Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ beantwortet Lenin auch
indirekt den Fehler von Rosa Luxemburg:
„Die Kapitalisten teilen die Welt nicht etwa aus besonderer
Bosheit unter sich auf, sondern weil die erreichte Stufe der Konzentration sie
zwingt, diesen Weg zu beschreiten, um Profite zu erzielen; dabei wird die
Teilung „nach dem Kapital“, „nach der Macht“ vorgenommen – eine andere Methode
der Teilung kann es im System der Warenproduktion und des Kapitalismus nicht
geben. [...] daß das
Charakteristische dieser Periode die endgültige Aufteilung der Erde ist,
endgültig nicht in dem Sinne, daß eine Neuaufteilung unmöglich
wäre – im Gegenteil, Neuaufteilungen sind möglich und unvermeidlich –, sondern
in dem Sinne, daß die Kolonialpolitik der kapitalistischen Länder die
Besitzergreifung unbesetzter Länder auf unserem Planeten beendet hat. Die Welt
hat sich zum erstenmal als bereits aufgeteilt erwiesen, so daß in der Folge nur noch Neuaufteilungen
in Frage kommen, d.h. der Übergang von einem „Besitzer“ auf den anderen, nicht
aber die Besitzergreifung herrenlosen Landes.“[36]
Die theoretische Kontroverse, auf
die Lenin hier eingeht, betraf mehrere sozialdemokratische Führer der damaligen
Zeit, so auch Kautsky oder Bucharin. Es verwundert nicht, dass komplexe
ökonomische und historische Phänomene, die sich damals gerade entwickelten und
für die es keine praktischen Vorläufer gab, zu einiger geistiger Unruhe führten.
Offensichtlich brachten die Diskussionen auch Standpunkte zum Vorschein, die
gegensätzliche Klassenpositionen widerspiegelten, aber auf jeden Fall war die
Diskussion ein klarer Weg, um den Standpunkt des revolutionären Proletariats
voranzubringen und zu stärken.
Jede Kontroverse kann natürlich
bürokratischen Zwecken dienen. Und Rosa Luxemburgs Position zur Theorie der
Akkumulation und des Imperialismus wurde vom Stalinismus natürlich als Munition
benutzt. Die deutsche kommunistische Führerin Ruth Fischer intonierte – ganz im
Einklang mit allen Stimmen, die sich an der Stalinisierung der Komintern
beteiligten – Rosa Luxemburgs öffentliche Verurteilung: „Die deutsche Partei
stützte ihre Theorie und Praxis auf das Prinzip der luxemburgischen
Akkumulationstheorie, und das ist die Quelle aller Fehler, aller Theorien der
Spontaneität, aller falschen Vorstellungen von Organisationsproblemen.“[37]
Die neuen Orakel der Partei hatten gesprochen!
Das
Recht auf nationale Selbstbestimmung
Im nächsten Kapitel werden wir
uns mit Rosa Luxemburgs Kritik an der russischen Revolution und mit der von
Lenin vertretenen Position zur neuen Internationalen befassen. Bevor wir zum
Schluss kommen, werden wir auf den Streit über die nationale Frage eingehen,
von dem wir bereits gesprochen haben.
Die nationale Frage war jahrelang
ein zentraler Streitpunkt zwischen Lenin und Luxemburg. Dies begann mit ihrer
frühen Arbeit zur industriellen Entwicklung Polens, erstreckte sich über ihre
Texte zur polnischen nationalen Frage im offenen Kampf mit den Führern der PPS
(Polnische Sozialistische Partei, A.d.Ü.)
bis hin zu ihrer Weigerung, den Artikel im Programm der SDAPR zur Verteidigung
des Rechts auf nationale Selbstbestimmung zu akzeptieren. Im Zuge all dieser
Auseinandersetzungen entwickelte Rosa Luxemburg eine durchweg negative Haltung
zur nationalen Frage.
Rosa Luxemburg machte den
Bolschewiki harte Vorwürfe, weil sie das Recht auf nationale Selbstbestimmung
anerkannten, das ihrer Meinung nach in der Praxis dazu diente, den bürgerlichen
Nationalismus der unterdrückten Nationen zu unterstützen. Damit irrte sie sich
sehr in einer grundlegenden theoretischen Frage des Marxismus. Wie die
Revolution in der Praxis gezeigt hat, können nationale Emanzipationsbewegungen
einen mächtigen Hebel im Kampf um die Befreiung der Unterdrückten als Ganzes
darstellen, vorausgesetzt, dass sie als unlösbare Bestandteile mit dem Kampf
gegen die kapitalistische Unterdrückung und für den Sozialismus verbunden
werden. Lenins Schriften sind was das angeht sehr eindeutig, obwohl viele sie
vergessen haben. Wir werden nur ein relevantes Fragment seines
repräsentativsten Werkes zitieren:
„Die Bourgeoisie, die am Anfang
jeder nationalen Bewegung natürlicherweise als deren Hegemon (Führer) auftritt,
bezeichnet als praktische Angelegenheit die Unterstützung aller nationalen
Bestrebungen. [...]Jede Bourgeoisie will in der nationalen Frage entweder Privilegien
für ihre eigene Nation oder exklusive Vorteile für sie, - das nennt man eben
„praktisch“. Das Proletariat ist gegen jedes Privileg, gegen jede Exklusivität.
Von ihm „Praktizismus“ verlangen heißt im Fahrwasser der Bourgeoisie segeln,
heißt dem Opportunismus verfallen.
Soll man bei jeder Nation auf die
Frage nach der Lostrennung mit „Ja oder Nein“ antworten? Das scheint eine
eminent „praktische“ Forderung zu sein. In Wirklichkeit aber ist sie töricht;
metaphysisch in theoretischer Hinsicht, führt sie in der Praxis zur
Unterordnung des Proletariats unter die Politik der Bourgeoisie. Die
Bourgeoisie stellt stets ihre eigenen nationalen Forderungen in den
Vordergrund. Sie stellt sie bedingungslos. Für das Proletariat sind sie den
Interessen des Klassenkampfes untergeordnet. Theoretisch läßt sich nicht im
voraus mit Sicherheit sagen, ob die Lostrennung einer Nation oder ihre
gleichberechtigte Stellung neben einer anderen Nation die
bürgerlich-demokratische Revolution abschließen wird; für das Proletariat ist
in beiden Fällen wichtig, die Entwicklung seiner Klasse zu sichern; für die
Bourgeoisie ist wichtig, diese Entwicklung zu erschweren, indem sie deren
Aufgaben zugunsten der Aufgaben der „eigenen“ Nation in den Hintergrund
schiebt. Deshalb beschränkt sich das Proletariat auf die sozusagen negative
Forderung nach Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung, ohne einer Nation
irgend etwas auf Kosten einer anderen Nation zu garantieren, zu gewährleisten.
[...]
Die Bourgeoisie der unterdrückten
Nationen wird im Namen des „praktischen“ Sinns ihrer Forderungen das
Proletariat zur bedingungslosen Unterstützung ihrer Bestrebungen aufrufen. Am
praktischsten ist es, einfach „ja“ zu sagen, sich für die Lostrennung einer
bestimmten Nation, nicht aber für das Recht der Lostrennung aller und jedweder
Nationen zu erklären!
Das Proletariat ist gegen einen
derartigen Praktizismus: Bei Anerkennung der Gleichberechtigung und des
gleichen Rechts auf einen Nationalstaat schätzt und stellt es die Vereinigung
der Proletarier aller Nationen über alles andere, wobei es jede nationale
Forderung, jede nationale Lostrennung unter dem Gesichtspunkt des
Klassenkampfes der Arbeiter wertet. Die Losung des Praktizismus ist in
Wirklichkeit nur die Losung eines unkritischen Übernehmens der bürgerlichen
Bestrebungen.“[38]
In dieser Angelegenheit übersah
Rosa Luxemburg die Lehren aus der Geschichte der Arbeiterbewegung. Seit seiner
Gründung hat der wissenschaftliche Sozialismus der nationalen Frage und dem
Kampf der unterdrückten Nationalitäten um ihre Befreiung stets große
Aufmerksamkeit geschenkt. Marx und Engels nahmen den Standpunkt des
revolutionären Proletariats angesichts des nationalen Problems ein: „Ein Volk,
das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren.“[39] In
den umfangreichen Schriften von Marx und Engels finden sich zahlreiche Texte
und Appelle zur Verteidigung der nationalen, demokratischen Rechte: die
Vereinigung der deutschen Nation durch Revolution, der Kampf des irischen
Volkes gegen das britisch-imperialistische Joch, die Unterstützung der
Unabhängigkeit Polens vom russischen Absolutismus, die nationale Emanzipation
der Kolonien...
Marx und Engels schrieben den
Kampf um das Recht auf Selbstbestimmung der unterdrückten Nationen auf das
Banner des Sozialismus. Eine durchschlagende Erklärung gegen jede Art von
Unterdrückung, was in keinem Fall bedeutete, dass der Marxismus dem
bürgerlichen und kleinbürgerlichen Nationalismus nachgab. Im Gegenteil, das
Wesen des marxistischen Programms ist der proletarische Internationalismus, die
Vereinigung der Arbeiterklasse über nationale Grenzen hinweg gegen einen
international organisierten Feind, die Kapitalistenklasse, die einen
einheitlichen Weltwirtschaftsmarkt geschaffen hat. Der Kampfspruch der Ersten
Internationale – Proletarier aller Länder, vereinigt euch! – ist der
deutlichste Ausdruck dieser Klassenposition.
Kritik
an der russischen Revolution
Lenin war fest davon überzeugt,
dass die russische Revolution die Hebamme der neuen proletarischen Weltrevolution
sein würde und Internationalisten in ganz Europa und dem Rest der Welt zwingen
würde, endgültig mit den Sozialpatrioten und den Schlichtern nach Kautsky-Art
zu brechen. Er lag dabei nicht grundsätzlich falsch. Im Falle Deutschlands
hatten die Oktoberrevolution und das Beispiel der Bolschewiki einen enormen
Einfluss.
Alles, was geschrieben wurde, um
Rosa Luxemburg als Gegnerin der Bolschewiki und als äußerste Feindin gegenüber
den „Methoden“ der russischen Revolution darzustellen, ist unwahr. Es mangelt
nicht an Beispielen für die politische Solidarität und den gegenseitigen
Respekt zwischen den beiden Revolutionären, auch wenn sich Stalinisten und
Sozialdemokraten ein ums andere Mal bemüht haben, diese Erinnerung zu begraben.
Trotzki wies
darauf hin: „In dem Artikel Geschichtliches
zur Frage der Diktatur (vom Oktober 1920) schrieb Lenin im Hinblick
auf die schon von der Revolution des Jahres 1905 aufgeworfene Frage der
Rätemacht und der Diktatur des Proletariats:
„So
hervorragende Vertreter des revolutionären Proletariats und des unverfälschten
Marxismus, wie Rosa Luxemburg, erkannten sofort die Bedeutung dieser
praktischen Erfahrung und traten sofort in Versammlungen und in der Presse mit
einer kritischen Analyse auf, während ... Leute vom Schlage der späteren
‚Kautskyaner‘ ... sich als absolut unfähig erwiesen, die Bedeutung dieser
Erfahrung zu erfassen...“[40]
Lenin spricht in diesen wenigen
Zeilen seine Anerkennung für die historische Bedeutung des Kampfes von Rosa
Luxemburg gegen Kautsky aus, den er selbst bei weitem nicht sofort in all
seiner Bedeutung nachvollziehen konnte.[41]
Rosa Luxemburg schrieb einen Text
über die russische Revolution[42] mit
einer ganzen Reihe kritischer Überlegungen, die dank der Aktionen der
Stalinisten und Sozialdemokraten zum Schlagbock einer Legende wurden, die sie
als eine dem Bolschewismus feindliche Person darstellt. Diese Arbeit, die unter
extrem schwierigen Bedingungen während ihrer Gefangenschaft im Gefängnis
durchgeführt wurde, ohne dass ihr viele Informationen zur Verfügung standen,
wurde erst nach ihrer Ermordung und durch einen Akt des politischen Grolls von
Paul Levi, dem ehemaligen Führer des Spartakusbundes und der KPD, nach dem
Bruch mit der Kommunistischen Internationale im Jahr 1922 veröffentlicht.[43]
Was die Autoren dieser Legende –
darunter Einige, die sich aus der Perspektive des Anarchismus die Figur Rosa
Luxemburg aneignen wollen – ist die sichtbare und durchaus bewusste Annäherung
von Rosa Luxemburg an den Bolschewismus im Zuge der revolutionären Ereignisse
in Deutschland. Auch kann man selbst in diesem kritischen Material aus der
Feder von Rosa Luxemburg ohne jeden Zweifel ihre enthusiastische Unterstützung
der Bolschewiki und des Triumphs des sowjetischen Oktobers erkennen:
„Nicht
Rußlands Unreife, sondern die Unreife des deutschen Proletariats zur Erfüllung
der historischen Aufgaben hat der Verlauf des Krieges und der russischen
Revolution erwiesen, und dies mit aller Deutlichkeit hervorzukehren ist die
erste Aufgabe einer kritischen Betrachtung der russischen Revolution. Die
Revolution Rußlands war in ihren Schicksalen völlig von den internationalen
Ereignissen abhängig. Daß die Bolschewiki ihre Politik gänzlich auf die
Weltrevolution des Proletariats stellten, ist gerade das glänzendste Zeugnis
ihres politischen Weitblicks und ihrer grundsätzlichen Festigkeit, des kühnen
Wurfs ihrer Politik. [...]
In dieser Situation
gebührt denn der bolschewistischen Richtung das geschichtliche Verdienst, von
Anfang an diejenige Taktik proklamiert und mit eiserner Konsequenz verfolgt zu
haben, die allein die Demokratie retten und die Revolution vorwärts treiben
konnte. Die ganze Macht ausschließlich in die Hände der Arbeiter- und
Bauernmasse, in die Hände der Sowjets - dies war in der Tat der einzige Ausweg
aus der Schwierigkeit, in die die Revolution geraten war, das war der
Schwertstreich, womit der gordische Knoten durchhauen, die Revolution aus dem
Engpaß hinausgeführt und vor ihr das freie Blachfeld einer ungehemmten weiteren
Entfaltung geöffnet wurde.
Die
Lenin-Partei war somit die einzige in Rußland, welche die wahren Interessen der
Revolution in jener ersten Periode begriff, sie war ihr vorwärtstreibendes
Element, als in diesem Sinne die einzige Partei, die wirklich sozialistische
Politik treibt.
Dadurch erklärt sich auch, daß
die Bolschewiki, im Beginn der Revolution eine von allen Seiten verfemte,
verleumdete und gehetzte Minderheit, in kürzester Zeit an die Spitze der
Revolution geführt wurden und alle wirklichen Volksmassen: das städtische
Proletariat, die Armee, das Bauerntum, sowie die revolutionären Elemente der
Demokratie, den linken Flügel der Sozialisten-Revolutionäre, unter ihrer Fahne
sammeln konnten. [...]
Die
Lenin-Partei war die einzige, die das Gebot und die Pflicht einer wirklich
revolutionären Partei begriff, die durch die Losung: alle Macht in die Hände
des Proletariats und des Bauerntums, den Fortgang der Revolution gesichert hat.
Damit haben die Bolschewiki die
berühmte Frage nach der „Mehrheit des Volkes“ gelöst, die den deutschen
Sozialdemokraten seit jeher wie ein Alp auf der Brust liegt. Als eingefleischte
Zöglinge des parlamentarischen Kretinismus übertragen sie auf die Revolution
einfach die hausbackene Weisheit der parlamentarischen Kinderstube: um etwas
durchzusetzen, müsse man erst die Mehrheit haben. Also auch in der Revolution:
zuerst werden wir eine „Mehrheit“. Die wirkliche Dialektik der Revolutionen
stellt aber diese parlamentarische Maulwurfsweisheit auf den Kopf: nicht durch
Mehrheit zur revolutionären Taktik, sondern durch revolutionäre Taktik zur
Mehrheit geht der Weg. Nur eine Partei, die zu führen, d.h. vorwärtszutreiben
versteht, erwirbt sich im Sturm die Anhängerschaft. Die Entschlossenheit, mit
der Lenin und Genossen im entscheidenden Moment die einzige vorwärtstreibende
Losung ausgegeben haben: die ganze Macht in die Hände des Proletariats und der
Bauern, hat sie fast über Nacht aus einer verfolgten, verleumdeten Minderheit,
deren Führer sich wie Marat in den Kellern verstecken mußten, zur absoluten
Herrin der Situation gemacht.
[...]
Die
Bolschewiki haben auch sofort als Zweck dieser Machtergreifung das ganze und
weitgehendste revolutionäre Programm aufgestellt: nicht etwa Sicherung der
bürgerlichen Demokratie, sondern Diktatur des Proletariats zum Zwecke der
Verwirklichung des Sozialismus. Sie haben sich damit das unvergängliche
geschichtliche Verdienst erworben, zum erstenmal die Endziele des Sozialismus
als unmittelbares Programm der praktischen Politik zu proklamieren.
Was eine Partei in
geschichtlicher Stunde an Mut, Tatkraft, revolutionärem Weitblick und
Konsequenz aufzubringen vermag, das haben Lenin, Trotzki und Genossen vollauf
geleistet. Die ganze revolutionäre Ehre und Aktionsfähigkeit, die der
Sozialdemokratie im Westen gebrach, war in den Bolschewiki vertreten. Ihr
Oktober-Aufstand war nicht nur eine tatsächliche Rettung für die russische
Revolution, sondern auch eine Ehrenrettung des internationalen Sozialismus.“[44]
Diese Sätze lassen keinen Zweifel
an Rosa Luxemburgs offener, positiver Einstellung gegenüber den Bolschewiki und
der Oktoberrevolution aufkommen. Die Schrift wirft aber auch Diskrepanzen auf,
die berücksichtigt werden müssen, denn auf ihrer Grundlage wurde die Legende
eines Rosa-Luxemburgischen Antibolschewismus und -Leninismus gestrickt.
Welche Kritik übte Rosa an den an
der Macht befindlichen Bolschewiki? Die wichtigsten Aspekte sind: 1)
Agrarpolitik. 2) Die Verteidigung des Rechts auf Selbstbestimmung der Nationen
durch die Bolschewiki. 3) Die Auflösung der konstituierenden Versammlung. 4)
Die Frage der Demokratie und des Arbeiterstaates.
Rosa Luxemburg kritisierte, dass
die Bolschewiki das Agrarprogramm der Sozialrevolutionäre (Verteilung des
Eigentums) und nicht das kommunistische (Verstaatlichung und Sozialisierung des
Landes) angewandt hätten. Sie brachte ihre Position auf diese Weise zum
Ausdruck:
„Die
sozialistische Umgestaltung der Wirtschaftsverhältnisse setzt in Bezug auf die
Agrarverhältnisse zweierlei voraus. - Zunächst die Nationalisierung gerade des
Großgrundbesitzes als der technisch fortschrittlichsten Konzentration der
agrarischen Produktionsmittel und Methoden, die allein dem Ausgangspunkt, der
sozialistischen Wirtschaftsweise auf dem Lande dienen kann. Wenn man natürlich
dem Kleinbauern seine Parzelle nicht wegzunehmen braucht und es ihm ruhig
anheimstellen kann, sich durch die Vorteile des gesellschaftlichen Betriebes
freiwillig zuerst für den genossenschaftlichen Zusammenschluß und schließlich
für die Einordnung in den sozialen Gesamtbetrieb gewinnen zu lassen, so muß
jede sozialistische Wirtschaftsreform auf dem Lande selbstverständlich mit dem
Groß- und Mittelgrundbesitz anfangen. Sie muß hier das Eigentumsrecht vor allem
auf die Nation oder, was bei sozialistischer Regierung dasselbe ist, wenn man
will, auf den Staat übertragen; denn nur dies gewährt die Möglichkeit, die
landwirtschaftliche Produktion nach zusammenhängenden großen sozialistischen Gesichtspunkten
zu organisieren. [...]
Die Parole nun, die
von den Bolschewiki herausgegeben wurde: sofortige Besitzergreifung und
Aufteilung des Grund und Bodens durch die Bauern, mußte geradezu nach der
entgegengesetzten Richtung wirken. Sie ist nicht nur keine sozialistische
Maßnahme, sondern sie schneidet den Weg zu einer solchen ab, sie türmt vor der
Umgestaltung der Agrarverhältnisse im sozialistischen Sinne unüberwindliche
Schwierigkeiten auf.“[45]
Rosas Kritik war wohlbegründet,
aber, wie Marx immer sagte, paraphrasierte Goethes Faust: „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des
Lebens goldner Baum.“ Unter günstigen Bedingungen wäre die
Verstaatlichung des Landes das rationalste Mittel gewesen, um die Produktivität
der landwirtschaftlichen Arbeit zu steigern und eine schnelle Anhäufung des
landwirtschaftlichen Überschusses zu begünstigen. Auf diese Weise wäre ein
rascher Fortschritt der sozialistischen Wirtschaft als Ganzes zweifellos
begünstigt worden. Aber die Bedingungen in Russland 1917 waren nicht günstig.
Der Krieg hatte zu einer
Dislozierung des Wirtschaftsapparats und der Bauern geführt, die die
unerfüllten Versprechungen der Sozialrevolutionäre und Menschewiki hatten, ab
August 1917 gegen die Grundbesitzer rebellierten und nun ihre Hoffnung auf die
Bolschewiki setzten. Unter diesen Umständen war es notwendig, maximale
Entschlossenheit zu zeigen und auf ihre Wünsche zu reagieren, um das
revolutionäre Bündnis mit der Bauernschaft aufrechtzuerhalten, und diese
konzentrierten sich auf die Beschlagnahme und Verteilung von Land. Anders zu
verfahren, hätte in diesem entscheidenden Moment bedeutet, die Unterstützung der
Bauernschaft für die Revolution zu verlieren.
Lenin war sich dieser – und anderer
– Zugeständnisse bewusst, aber er verstand sie als ein vorübergehendes und
leicht lösbares Phänomen, sobald sich der Arbeiterstaat konsolidierte und die
sozialistische Revolution auf das industrielle Europa, insbesondere
Deutschland, ausbreitete. Auf diese Weise würde es die Hilfe der am weitesten
entwickelten Volkswirtschaften ermöglichen, der Rückständigkeit der russischen
Landschaft ein Ende zu setzen, und durch die Einführung von Landmaschinen,
modernen landwirtschaftlichen Techniken und qualifiziertem Personal könnte der
Bauernschaft in der Praxis und nicht nur in der Theorie gezeigt werden, dass
die Kollektivierung und Sozialisierung des Landes viel mehr Vorteile als
Nachteile bietet.
Die weitere Entwicklung der
Ereignisse folgte dem ungünstigsten Kurs, den Lenin sich hätte vorstellen
können. Mit dem Scheitern der europäischen Revolution und der Isolation der
russischen Revolution wurde das Bauernproblem immer wieder neu aufgeworfen, und
die kleinbürgerlichen Tendenzen, die die Landverteilung genährt hatte – genau
das, wovor Rosa Luxemburg in ihrem Schreiben gewarnt hatte – wurden zu einem
objektiven Hindernis für den Vormarsch des Sozialismus. Tief im Inneren blieb
das Problem die materielle Rückständigkeit der russischen Wirtschaft und die
Unmöglichkeit, diesen Widerspruch im nationalen Rahmen zu lösen. Der
Sozialismus kann nicht in einem Land aufgebaut werden.
Bei der Umsetzung des Rechts auf
Selbstbestimmung der vom Zarismus unterdrückten Nationalitäten durch die
Bolschewiki war Rosas Position nichts anderes als eine Fortsetzung ihrer
früheren Fehler: „Statt die Proletarier in den
Randländern vor jeglichem Separatismus als vor rein bürgerlichem Fallstrick zu
warnen, haben sie vielmehr die Massen in allen Randländern durch ihre Parole
verwirrt und der Demagogie der bürgerlichen Klassen ausgeliefert. Sie haben
durch diese Forderung des Nationalismus den Zerfall Rußlands selbst
herbeigeführt, vorbereitet und so den eigenen Feinden das Messer in die Hand
gedrückt, das sie der russischen Revolution ins Herz stoßen sollten.“[46]
Lenin hatte diese Positionen
bereits in seinem berühmten Buch zum Selbstbestimmungsrecht der Nationen bekämpft, das mit einer Polemik gegen Rosa
Luxemburg zu diesem Thema beginnt. Während Rosa Luxemburg seine Positionen als
den nationalistischen Interessen der polnischen Bourgeoisie dienlich
interpretierte, argumentierte Lenin das Gegenteil: dass die Verteidigung des
Rechts auf Selbstbestimmung, gekoppelt mit anderen programmatischen Punkten,
genau der beste Weg sei, um dem Einfluss des bürgerlichen Nationalismus auf die
arbeitenden und bäuerlichen Massen der unterdrückten Nationalitäten
entgegenzuwirken.
Nun, Lenins Verteidigung des
Rechts auf Selbstbestimmung, zu der auch das Recht auf Loslösung gehört, ist
nur ein Teil der marxistischen Haltung zur nationalen Frage. Es ist wichtig
festzustellen, dass für Lenin das Recht auf Selbstbestimmung nicht bedeutete,
die nationale Unabhängigkeit zu fördern. Die Bolschewiki kämpften klar und
deutlich gegen jede nationale Unterdrückung und gleichzeitig für die maximale
Einheit der Arbeiterklasse:
„Die Anhänger der Freiheit der
Selbstbestimmung, d. h. der Freiheit der Lostrennung, zu beschuldigen, sie
förderten den Separatismus, ist die gleiche Dummheit und die gleiche Heuchelei,
wie die Anhänger der Freiheit der Ehescheidung zu beschuldigen, sie förderten
die Zerstörung der Familienbande. Ähnlich wie in der bürgerlichen Gesellschaft
die Verteidiger der Privilegien und der Käuflichkeit, auf denen die bürgerliche
Ehe beruht, gegen die Freiheit der Ehescheidung auftreten, so bedeutet im
kapitalistischen Staat die Ablehnung der Freiheit der Selbstbestimmung, d. h.
der Lostrennung der Nationen, nur eine Verteidigung der Privilegien der
herrschenden Nation und der Polizeimethoden in der Verwaltung zum Schaden der
demokratischen Methoden. [...]
Die Interessen der Arbeiterklasse
und ihres Kampfes gegen den Kapitalismus erfordern volle Solidarität und
unlösbare Einheit der Arbeiter aller Nationen, sie erfordern Gegenwehr gegen
die nationalistische Politik der Bourgeoisie, welcher Nationalität sie auch
sei. Deshalb wäre es ein Ausweichen vor den Aufgaben der proletarischen Politik
und eine Unterordnung der Arbeiter unter die bürgerliche Politik, sowohl wenn
die Sozialdemokraten das Selbstbestimmungsrecht, d. h. das Recht der
unterdrückten Nationen auf Lostrennung, leugnen wollten, als auch wenn die
Sozialdemokraten dazu übergingen, jede nationale Forderung der Bourgeoisie der
unterdrückten Nationen zu unterstützen. Dem Lohnarbeiter ist es ganz
gleichgültig, ob er vorwiegend von der großrussischen Bourgeoisie ausgebeutet
wird, die gegenüber der fremdstämmigen den Vorrang hat, oder von der polnischen
Bourgeoisie, die gegenüber der jüdischen den Vorrang hat usw. Dem Lohnarbeiter,
der sich seiner Klasseninteressen bewußt geworden ist, sind die staatlichen
Privilegien der großrussischen Kapitalisten ebenso gleichgültig wie die
Versprechungen der polnischen oder ukrainischen Kapitalisten, die das Paradies
auf Erden verheißen, wenn sie selbst staatliche Privilegien erlangen. Die
Entwicklung des Kapitalismus schreitet fort und wird fortschreiten, so oder anders,
in einem bunten Einheitsstaat wie in gesonderten Nationalstaaten.“[47]
Ohne einen konsequenten Kampf
gegen die nationale Unterdrückung, ohne ein Programm, dessen Grundlage das
Recht der Nationen auf Selbstbestimmung ist, wäre es für die Bolschewiki
unmöglich gewesen, die Massen der unterdrückten Nationen – meist Bauern – für die
Sache der sozialistischen Revolution zu gewinnen, und es wäre extrem schwierig
gewesen, die sowjetische Oktoberrevolution zum Sieg zu führen. Mit ihr
bestanden Lenins Thesen zur nationalen Frage den Praxistest. Trotzki schrieb in
seiner Geschichte der Russischen Revolution zu Recht, dass „unabhängig vom
endgültigen Schicksal Sowjetrußlands (....) Lenins nationale Politik für immer
in das Erbe der Menschheit eingehen wird.“
Rosa Luxemburg verfügte über sehr
eingeschränkte Informationen und hatte keine wahrheitsgetreuen Daten über die
Aktionen der Menschewiki und Sozialrevolutionäre gegen die revolutionäre Macht
und die Zusammenarbeit vieler ihrer Führer mit den weißen Generälen. Die
Paragraphen ihrer Kritik an der Auflösung der Verfassungsgebenden Versammlung
wurden von den sozialdemokratischen Parteien als endgültiger „Beweis“ für den „demokratischen
Geist“ des luxemburgischen Sozialismus angesichts des leninistischen Autoritarismus
verbreitet, der bereits „vorweggenommen“ hat, was später unter dem Stalinismus
geschehen würde.
„Es ist
eine Tatsache“, schreibt Rosa Luxemburg, „daß Lenin und Genossen bis zu ihrem
Oktobersiege die Einberufung der Konstitutionsversammlung stürmisch forderten,
daß gerade die Verschleppungspolitik der Kerenski-Regierung in dieser Sache
einen Anklagepunkt der Bolschewiki gegen jene Regierung bildete und ihnen zu
heftigsten Ausfällen Anlaß gab. Ja, Trotzki sagt in seinem interessanten
Schriftchen „Von der Oktoberrevolution bis zum Brester Friedensvertrag“, der Oktoberumschwung
sein geradezu „eine Rettung für die Konstituante“ gewesen, wie für die
Revolution überhaupt. „Und als wir sagten“, fährt er fort, „daß der Eingang zur
konstituierenden Versammlung nicht über das Vorparlament Zeretellis, sondern
über die Machtergreifung der Sowjets führe, waren wir vollkommen aufrichtig.“
Und nun war nach
diesen Ankündigungen der erste Schritt Lenins nach der Oktoberrevolution - die
Auseinandertreibung derselben konstituierenden Versammlung, zu der sie den
Eingang bilden sollte.“[48]
Rosa schlug eine Kooperation der
Sowjets (Organen der Arbeitermacht) und der konstituierenden Versammlung (einem
bürgerlich-institutionellen Organ) vor, was im Wesentlichen bedeutete, die
zwischen Februar und Oktober bestehende Doppelmacht zu reproduzieren. Neben den
Sowjets verteidigte sie die Verfassung und das allgemeine Wahlrecht.[49]
Doch der Kampf um die Konstituante war ein bürgerlich-demokratischer Slogan,
aber diese Phase der Revolution war mit dem Sieg im Oktober weitgehend
überwunden.
Ironischerweise wurde Rosa
Luxemburg mit diesem Aspekt ihrer Auseinandersetzung mit Lenin im Jahr 1918 ganz
klar und deutlich in „deutscher Sprache“ konfrontiert. Als die deutsche Revolution
nach dem Novemberaufstand voranschritt und die sozialdemokratischen Führer sich
mit dem Aufruf zur Bildung einer „Verfassungsgebenden Versammlung“ gegen den
von den Spartakisten befürworteten Slogan für eine „Sozialistische Räterepublik“
wandten, verurteilte Rosa die Position der zentristischen Führer der USPD, die es
allen Recht machen wollten, und den Slogan „Betriebsräte und
Nationalversammlung“ einführten: „Wer
heute zur Nationalversammlung greift“, schrieb Rosa in einem Artikel am
20. November 1918, „schraubt die
Revolution bewußt oder unbewußt auf das historische Stadium bürgerlicher
Revolutionen zurück; er ist ein verkappter Agent der Bourgeoisie oder ein
unbewußter Ideologe des Kleinbürgertums.“[50]
Die Kontroverse über dieses Thema
wiederholte sich auf dem Gründungskongress der Kommunistischen Partei
Deutschlands im Dezember 1918. Damals stellte Rosa Luxemburg die Auflösung der
Konstituierenden Versammlung in Russland durch die Bolschewiki nicht mehr in
Frage, aber sie warnte die deutschen Kommunisten davor, eine schlechte Kopie
der bolschewistischen Taktik abzugeben, indem sie die Auflösung und den Boykott
der von Ebert und Scheidemann einberufenen Konstituierenden Versammlung
forderten, ohne zuvor ein paar Räte unter der Führung der Kommunisten und eine
revolutionäre Regierung wie die von Lenin und Trotzki in Russland zu haben.
Alles in allem hinderte
Luxemburgs Kritik an der russischen Revolution, mit der wir uns hier kurz und
bündig beschäftigt haben, sie nicht daran, zu behaupten, dass die meisten der
von den Bolschewiki offenbarten Mängel auf die Isolation der russischen
Revolution zurückzuführen seien und dass in dieser Hinsicht in erster Linie die
internationale Sozialdemokratie verantwortlich sei. Das ist der wesentliche
Aspekt, den Rosa immer wieder betont hat und den einige ebenfalls auslassen:
„Die Bolschewiki haben gezeigt, daß sie alles können, was
eine echte revolutionäre Partei in den Grenzen der historischen Möglichkeiten
zu leisten imstande ist. Sie sollen nicht Wunder wirken wollen. Denn eine
mustergültige und fehlerfreie proletarische Revolution in einem isolierten, vom
Weltkrieg erschöpften, vom Imperialismus erdrosselten, vom internationalen
Proletariat verratenen Lande wäre ein Wunder. Worauf es ankommt, ist, in der
Politik der Bolschewiki das Wesentliche vom Unwesentlichen, den Kern von dem
Zufälligen zu unterscheiden. In dieser letzten Periode, in der wir vor entscheidenden
Endkämpfen in der ganzen Welt stehen, war und ist das wichtigste Problem des
Sozialismus geradezu die brennende Zeitfrage: nicht diese oder jene Detailfrage
der Taktik, sondern: die Aktionsfähigkeit des Proletariats, die Tatkraft der
Massen, der Wille zur Macht des Sozialismus überhaupt. In dieser Beziehung
waren Lenin und Trotzki mit ihren Freunden die ersten, die dem Weltproletariat
mit dem Beispiel vorangegangen sind, sie sind bis jetzt immer noch die
einzigen, die mit Hutten ausrufen können: Ich hab's gewagt!
Dies
ist das Wesentliche und Bleibende der Bolschewiki-Politik. In diesem Sinne
bleibt ihnen das unsterbliche geschichtliche Verdienst, mit der Eroberung der
politischen Gewalt und der praktischen Problemstellung der Verwirklichung des
Sozialismus dem internationalen Proletariat vorangegangen zu sein und die
Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit in der ganzen Welt mächtig
vorangetrieben zu haben. In Rußland konnte das Problem nur gestellt werden. Es
konnte nicht in Rußland gelöst werden. Und in DIESEM Sinne gehört die Zukunft
überall dem „Bolschewismus“.“[51]
Wenige Monate nach dem Schreiben
dieser Zeilen wurde Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis entlassen und wandte all
ihre Energien dem revolutionären Prozess zu. Dabei brachten ihr die Erfahrungen
der vergangenen Tage neue Herangehensweisen und Argumente. Sie hatte
nachgedacht und einige ihrer Positionen geändert. Als die meisten ihrer alten
Mitstreiter in der SDKPiL bereits eng mit den Bolschewiki zusammenarbeiteten,
fragte einer der polnischen Führer, der die besten Beziehungen zu Rosa hatte,
Warszawski, sie nach der Sowjetmacht. In ihrem Antwortschreiben vom November
1918 schrieb Rosa folgendes:
„Wenn unsere Partei [in Polen]
vom Bolschewismus begeistert ist und sich gleichzeitig gegen Brests Frieden und
seine Position mit dem Slogan „Selbstbestimmung der Völker“ stellt, ist das
Begeisterung gepaart mit einem kritischen Sinn... Was können wir mehr
verlangen? Auch ich habe alle Ihre Vorbehalte und Zweifel geteilt, aber ich
habe sie in den wichtigsten Fragen aufgegeben, und in anderen bin ich nicht so
weit gegangen wie Sie. Es stimmt, dass der Terrorismus[52]
eine große Schwäche bezeichnet, aber er richtet sich gegen die inneren Feinde,
die ihre Hoffnungen auf den Fortbestand des Kapitalismus außerhalb Russlands
stützen und von ihm unterstützt und ermutigt werden. Wenn die europäische
Revolution stattfände, würden die russischen Konterrevolutionäre nicht nur
diese Unterstützung, sondern – viel wichtiger noch – auch ihren Mut verlieren.
Der bolschewistische Terror ist vor allem Ausdruck der Schwäche des
europäischen Proletariats. Es ist wahr, dass die geschaffene agrarische
Situation der ernsthafteste und gefährlichste Punkt für die russische
Revolution ist. Aber auch hier gilt die große Wahrheit, dass die größte Revolution
nur das Reife vollbringen kann. Diese Wunde kann nur durch die europäische
Revolution geheilt werden, und sie wird kommen!“[53]
Paul Nettl, der Autor einer der
vollständigsten und detailliertesten Biographien der polnischen Revolutionärin,
äußert sich auch zu diesem Thema: „Rosa Luxemburg hatte immer mit größter
Energie postuliert, dass viele der schlechten Aspekte der russischen Revolution
in den Tiegel einer europäischen Revolution übergehen würden; das Aufkommen
dieser [der deutschen, A.d.Ü.] Revolution
veränderte automatisch den Kontext der meisten ihrer Beobachtungen. Damit
hörten die Probleme, die sie im Sommer 1918 beschäftigt hatten, auf, so wichtig
zu sein. Tatsache ist, dass alle Beweise darauf hindeuten, dass sie bereit und
bestrebt war, mit den Russen zusammenzuarbeiten, aus ihren Erfahrungen zu
lernen und sich so energisch wie möglich für eine Verbindung zwischen dem
revolutionären Russland und dem revolutionären Deutschland einzusetzen.“[54]
Ein
„Adler des Sozialismus“
Bis zum Triumph der
stalinistischen Reaktion war der Bolschewismus von intensiver und fruchtbarer
ideologischer Diskussion geprägt. Die Idee einer monolithischen Partei, die von
einem erstickenden inneren Regime getragen wird, in dem sich die Führung in
einen Heiligenschein der Unfehlbarkeit hüllt und der Kult der Persönlichkeit
die Achse des Parteienlebens ist, ist eine Karikatur, die dem Marxismus und
Leninismus völlig fremd ist. Offensichtlich war die stalinistische Schule der
Fälschung auch dafür verantwortlich, Rosa Luxemburgs Gedanken zu manipulieren
und zu verzerren, bis hin zu ihrem Verbot ihrer Schriften in der UdSSR unter
dem Vorwurf der „trotzkistischen Abweichung“.
Stalins negative Referenzen an
Rosa Luxemburg wurden weiterhin reproduziert und in allen Sektoren der
bürokratisierten Kommunistischen Internationale verbreitet. In einem Artikel
von 1931 behauptet Stalin skrupellos:
„1905 entstanden die Diskrepanzen
zwischen Bolschewiki und Menschewiki in Russland über den Charakter der
russischen Revolution. Die Bolschewiki verteidigten die Idee der Allianz der
Arbeiterklasse mit den Bauern unter der Hegemonie des Proletariats. Die Bolschewiki
behaupteten, dass die revolutionäre demokratische Diktatur des Proletariats und
der Bauern verfolgt werden sollte, um sofort von der bürgerlich-demokratischen
Revolution zur sozialistischen Revolution überzugehen und die Unterstützung der
armen Bauern zu erhalten. Die Menschewiki in Russland lehnten die Idee der
Hegemonie des Proletariats in der bürgerlich-demokratischen Revolution ab. Der
Politik des Bündnisses der Arbeiterklasse mit den Bauern zogen sie die Politik
der Kompromisse mit der liberalen Bourgeoisie vor und brachten die
revolutionäre demokratische Diktatur des Proletariats und die Bauern in
Konflikt mit der Entwicklung der bürgerlichen Revolution und des reaktionären
weißen Systems. Welche Haltung nahmen die Linken der deutschen Sozialdemokratie,
Parvus und Rosa Luxemburg, in Bezug auf diese Diskussionen ein? Sie erfanden
ein utopisches und semimenschewistisches Schema der permanenten Revolution
(deformiertes Bild des marxistischen Schemas der Revolution), das von der
menschewistischen Negation der Allianz zwischen der Arbeiterklasse und den
Bauern bis ins Mark durchdrungen war, und wandten sich gegen das
bolschewistische Schema der revolutionären demokratischen Diktatur des
Proletariats und der Bauern. Später wurde dieses semimenschewistische Schema in
der permanenten Revolution von Trotzki (und teilweise von Martow) übernommen
und zu einer Waffe des Kampfes gegen den Leninismus gemacht.“[55]
Es wurde viel über die „unvereinbaren“
Unterschiede zwischen Rosa Luxemburg und Lenin geschrieben, aber eine
ernsthafte und unvoreingenommene Studie über ihre Arbeit und ihr revolutionäres
Handeln kann uns nur zu einem Schluss führen: Es gibt eine unbestreitbare
Gemeinschaft im politischen Denken beider. Lenin zweifelte nie daran und hielt
Rosa Luxemburg immer für eine einzigartige Führerin des internationalen
Marxismus.
Lelio Basso, ein Veteran der
italienischen Linken, Gründer der Italienischen Sozialistischen Partei der
Proletarischen Einheit, schrieb ein Buch im Gedenken an Rosa Luxemburg. In
seinem Vorwort verweist er auf eine Tatsache, die viel mehr ist als eine
einfache Anekdote: „Was den Grad der Rücksichtnahme betrifft, den Lenin auf
Rosa Luxemburg hatte, so lässt sich dies leicht an der Präsenz einer großen
Anzahl luxemburgischer Schriften in seiner Bibliothek erkennen, deren Katalog
kürzlich in Moskau veröffentlicht wurde [hier wird eine lange und detaillierte
Liste der in der Lenin-Bibliothek vorhandenen Schriften Rosa Luxemburgs
dargeboten]. [...] Schließlich gab es weitere Aufsätze von Rosa Luxemburg, die
in Sammelwerken mehrerer Autoren enthalten waren, zwei Bände, die ihr zu Ehren
geschrieben und 1919 in Petrograd bzw. 1921 in Moskau veröffentlicht wurden
(der erste auch zu Ehren von Liebknecht), eine russische Bibliographie über
Rosa Luxemburg und Liebknecht, die 1922 in Petrograd veröffentlicht wurde,
einen Band von Zetkin über Rosa Luxemburg, polnische Übersetzungen und so
weiter. Mindestens zwölf dieser Bände befanden sich im Arbeitszimmer von Lenin,
d.h. unter den Bänden, die Lenin immer zur Hand hatte.“[56]
Um zum Ende zu kommen. Lenin
wusste sehr wohl, was er sagte, als er sich auf Rosa Luxemburg bezog. Sein
theoretischer Hintergrund erlaubte es ihm, ihre Größe zu sehen und ihre Fehler
nicht zu ignorieren, aber er tat dies auf die Art eines bolschewistischen
Revolutionärs:
„Paul
Levi will sich jetzt bei der Bourgeoisie – und folglich bei
der II. und 2½. Internationale, ihren Agenten – dadurch besonders verdient
machen, dass er gerade diejenigen Werke Rosa Luxemburgs neu
herausgibt, in denen sie unrecht hatte. Wir antworten darauf mit zwei Zeilen
aus einer guten russischen Fabel: ein Adler kann wohl manchmal auch tiefer
hinabsteigen als das Huhn, aber nie kann ein Huhn in solche Höhen steigen wie
ein Adler. Rosa Luxemburg irrte in der Frage der Unabhängigkeit Polens; sie
irrte 1903 in der Beurteilung des Menschewismus; sie irrte in der Theorie der
Akkumulation des Kapitals; sie irrte, als sie im Juli 1914 neben Plechanow, Vandervelde, Kautsky u.
a. für die Vereinigung der Bolschewiki mit den Menschewiki eintrat; sie irrte
in ihren Gefängnisschriften von 1918 (wobei sie selbst beim Verlassen des
Gefängnisses Ende 1918 und Anfang 1919 ihre Fehler zum großen Teil
korrigierte). Aber trotz aller dieser ihrer Fehler war sie und bleibt sie ein
Adler; und nicht nur wird die Erinnerung an sie den Kommunisten der ganzen Welt
immer teuer sein, sondern ihre Biographie und die vollständige Ausgabe
ihrer Werke (mit der sich die deutschen Kommunisten in unmöglicher Weise
verspäten, wofür sie nur teilweise mit der unerhörten Menge der Opfer in ihrem
schweren Kampf zu entschuldigen sind) werden eine sehr nützliche Lehre
darstellen zur Erziehung vieler Generationen von Kommunisten der ganzen Welt.
„Die deutsche Sozialdemokratie ist nach dem 4. August 1914 ein stinkender
Leichnam“ – mit diesem Ausspruch Rosa Luxemburgs wird ihr Name in die
Geschichte der Arbeiterbewegung der ganzen Welt eingehen. Auf dem Hinterhof der
Arbeiterbewegung aber, zwischen den Misthaufen, werden Hühner von der Art Paul
Levis, Scheidemann,
Kautskys und dieser ganzen Sippschaft, wie es sich versteht, über die Fehler
der großen Kommunistin in ganz besondere Verzückung
geraten. Jedem das Seine.“[57]
[1] In „Ein Schritt
vorwärts, zwei Schritte zurück“, führt Lenin eine detaillierte Analyse des
Zweiten Kongresses der SDAPR durch, um die Spaltung zwischen Bolschewiki und
Menschewiki und den opportunistischen und reformistischen Charakter der von
Martow und Axelrod geleiteten Fraktion zu erklären.
[2] Nettl, Paul:
Rosa Luxemburg, Era Editions, Mexiko, 1974. S. 231. (frei übersetzt aus dem Spanischen, A.d.Ü.)
[3] Zitiert in
Nettl, S. 237. (frei
übersetzt aus dem Spanischen, A.d.Ü.)
[4] Ebd., S. 241. (frei übersetzt aus dem Spanischen, A.d.Ü.)
[5] Ebd.
[6] Ebd.
[7] Rosa Luxemburg,
„Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie“, 1904.
[8] W. I. Lenin,
„Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück. Die Krise in unserer Partei“, 1904
[9] W. I. Lenin,
„Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück. Antwort von N. Lenin an R.
Luxemburg“, 1904.
[10] Leo Trotzki:
„Unsere politischen Aufgaben“, 1904.
[11] Leo Trotzki:
„Mein Leben“, 1929.
[12] Der Zustimmung
der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion zu den Kriegsanleihen, mit denen
der 1. Weltkrieg finanziert werden sollte. Am selben Tag veröffentlichten die
französischen und belgischen sozialistischen Parteien Erklärungen zur
Unterstützung ihrer jeweiligen Regierungen im Krieg, A.d.Ü.
[13] W.I. Lenin:
„Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution“, 1905.
[14] W.I. Lenin: „Die
Krise des Menschewismus“, 1906.
[15] Broué,
„The German Revolution 1917-1923“, 1973. Frei
übersetzt aus dem Englischen, A.d.Ü.
[16] frei übersetzt aus dem Spanischen, A.d.Ü., Quelle:
Lenin: „August Bebel“, 1913.
[17] frei übersetzt aus dem Spanischen, A.d.Ü.
[18] Leo Trotzki:
„Hände weg von Rosa Luxemburg!“, 1932.
[19] Ebd.
[20] Ebd. frei übersetzt aus dem Spanischen, A.d.Ü.
[21] Leninski sbornik II, S.200.
[22] Aus: Leo
Trotzki: „Geschichte der russischen Revolution“, 1930.
[23] Kautsky: La
revisión del programa socialdemócrata en Alemania, zitiert in Guérin, S. 135. frei übersetzt aus dem Spanischen, A.d.Ü.
[24] W.I. Lenin, „Was
tun?“, 1902.
[25] Spanische
Zitation: „Lenin. Prólogo a la recopilación En
doce años, en ¿Qué hacer?, p. 484.“
[26] Ein Beispiel für
Letzteres ist Daniel Guérin, ein linkssozialistischer Militanter in den 1930er-Jahren,
Zentrist, Verteidiger des POUM gegen Trotzki und in den 1960er-Jahren
Übergelaufen in die Reihen des „libertären Kommunismus“.
[27] W.I. Lenin, „Der
„Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus“, 1920.
[28] Nettl, S. 342. Frei übersetzt aus dem Spanischen, A.d.Ü.
[29] Leo Trotzki:
„Klasse, Partei und Führung: Warum wurde das spanische Proletariat besiegt?“,
unvollendet, 20. August 1940.
[30] Nettl, S. 202. Frei übersetzt aus dem Spanischen, A.d.Ü.
[31] Ebd. S.94. Frei übersetzt aus dem Spanischen, A.d.Ü.
[32] Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag,
Berlin. Band 4, 6. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1959,
Berlin/DDR. S. 459-493.
[33] Rosa Luxemburg, „Die
Akkumulation des Kapitals oder Was die Epigonen aus der Marxschen Kritik
gemacht haben“. 1915
[34] W.I. Lenin: „Zur
Charakteristik der ökonomischen Romantik“, 1897.
[35] Ebd.
[36] W.I. Lenin, „Der
Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, 1917.
[37]
Die Internationale, Band VIII, Nr. 3, 1925. Zitiert in Nettl, S. 212. Frei übersetzt aus dem
Spanischen, A.d.Ü.
[38] W.I. Lenin, „Über
das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“, 1914.
[39] F. Engels, Eine polnische
Proklamation, MEW 18, 527.
[40] Leo Trotzki:
„Hände weg von Rosa Luxemburg!“, 1932.
[41] Ebd.
[42] Rosa Luxemburg, „Zur
russischen Revolution“, zuerst veröffentlicht 1922
von Paul Levi nach dem handschriftlichen Manuskript aus dem Nachlaß.
[43] „Diese berühmte
kritische Broschüre über die russische Revolution wurde posthum mit polemischen
Absichten von Paul Levi – Mitglied des Spartakusbundes und der deutschen KPD,
dann Dissident und Überläufer zur SPD – veröffentlicht. Es sollte hinzugefügt
werden, dass Rosa ihre Meinung über ihr eigenes Pamphlet geändert hat, während
sie selbst an der deutschen Revolution teilnahm. Diese Schrift wurde jedoch
verwendet, um Rosa gegen die russische Revolution und vor allem gegen Lenin in
Stellung zu bringen (so wie diese Operation später wiederholt wurde, indem
Gramsci gegen Lenin oder, näher an uns, Che Guevara gegen die Kubanische
Revolution in Stellung gebracht wurde). Auf diese Weise wollten sie einen
verfärbten und „gut bekömmlichen“ Luxemburgismus für die bürgerliche Herrschaft
konstruieren“ (Néstor Kohan, „Rosa Luxemburg, eine rote Rose für das 21. Jahrhundert“,
Juan Marinello Research Centre, Havanna, 2001 S. 109).
[44] Rosa Luxemburg, „Zur
russischen Revolution“, zuerst veröffentlicht 1922
von Paul Levi nach dem handschriftlichen Manuskript aus dem Nachlaß.
[45] Ebd.
[46] Ebd.
[47] W.I. Lenin, „Über
das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“, 1914.
[48] Rosa Luxemburg, „Zur
russischen Revolution“, zuerst veröffentlicht 1922
von Paul Levi nach dem handschriftlichen Manuskript aus dem Nachlaß.
[49] Ebd.
[50] Rosa Luxemburg: „Die
Nationalversammlung“, 20.November 1918.
[51] Rosa Luxemburg, „Zur
russischen Revolution“, zuerst veröffentlicht 1922
von Paul Levi nach dem handschriftlichen Manuskript aus dem Nachlaß.
[52] Anspielung auf
den roten Terror, die Unterdrückung des weißen Terrorismus, der nach dem
Triumph der russischen Revolution von den Feinden der Revolution losgetreten
wurde.
[53] Zitiert in
Frölich, S. 357. (frei
übersetzt aus dem Spanischen, A.d.Ü.)
[54] Nettl, S. 526.
[55] Stalin: Zu
einigen Themen in der Geschichte des Bolschewismus. (frei übersetzt aus dem Spanischen, A.d.Ü.)
[56] Basso, Lelio: El pensamiento político de Rosa
Luxemburgo, Ed. Península, Barcelona 1976, S. 8.
[57] W.I. Lenin: „Notizen
eines Publizisten“, 1922. Zu finden in: Ausgewählte Werke, Band 10. Die Kommunistische Internationale. Moskau
1937, S. 300-308.