Rasmus Schad, Offensiv Hamburg
Im Schatten der Corona-Krise haben die Bosse aus Finanz und
Industrie, unter tatkräftiger Mithilfe des SPD-geführten Arbeitsministeriums,
eine weitere maßgebliche Forderung gegen die Interessen der Arbeitenden
durchgesetzt. Mit der „Verordnung zu Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz infolge
der COVID-19-Epidemie“, die am 10.4.2020 in Kraft getreten ist, werden über
Jahrzehnte hart erkämpfte Rechte praktisch für ein Vierteljahr abgeschafft.
Nicht nur werden 12-Stunden-Schichten generell erlaubt und Ruhezeiten auf 9
Stunden reduziert, auch an Sonn- und Feiertagen sollen wir je nach der Willkür
unserer Chefs zur Arbeit kommen. Gelten soll die Verordnung für alle Bereiche,
die zur „Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des
Gesundheitswesens und der pflegerischen Versorgung, der Daseinsvorsorge oder
zur Versorgung der Bevölkerung mit existenziellen Gütern notwendig“ sind, also
nicht nur für die ohnehin schon überlasteten Angestellten des
Gesundheitssystem, sondern auch für Millionen Arbeiter im
Nahrungsmittelgewerbe, der Landwirtschaft oder der Logistik. Selbst Amazon
könnte sich mit einiger Berechtigung auf die schwammigen Formulierungen des
Ministeriums berufen, denn schließlich führt auch der Onlinehandelsriese „Waren des täglichen Bedarfs“.
Dieses Ausmaß wurde gewählt, obwohl, wie die Bundesregierung
selbst stets bekräftigt hat, zu keinem Zeitpunkt die Versorgung mit
Lebensmitteln und Ähnlichem gefährdet war. Im Gegenteil, Großkonzerne wie
Nestlé, dessen Aktienkurs trotz Börsencrashs am 9.4.2020 fast 20% besser
dasteht als zum selben Zeitpunkt im letzten Jahr, Cargill oder Dr. Oetker, die
einen Großteil des Nahrungsmittelmarktes in Deutschland dominieren, gehören zu
den wenigen Gewinnern des Lockdowns. Die Fabriken laufen ohnehin auf
Hochtouren, auch wenn hier wie in anderen Industrien in den letzten Jahren
Belegschaften zusammengestrichen wurden um die Lohnkosten zu drücken. Da sogar
der Export dieser Güter uneingeschränkt weitergeht, ist es ein zynisches
Manöver angebliche Versorgungsprobleme vorzuspielen, um die Rechte von uns
Beschäftigten zu beschneiden.
Dem Pflegepersonal in Krankenhäusern zeigt diese Verordnung
wieder einmal, wie viel ihre Arbeit der Regierung wirklich wert ist. Zum Dank
dafür, jeden Tag an der Front im Kampf gegen die Pandemie zu stehen, gibt es
einen feuchten Händedruck, ein Butterbrot umsonst, noch mehr Arbeit und noch
weniger Erholung. Die Kolleginnen und Kollegen, die seit Jahren vor den Folgen
der krassen Unterbesetzung auf den Stationen, die Profitorientierung und
Privatisierung im Gesundheitsbereich ausgelöst haben, gewarnt haben, müssen
jetzt die Folgen der Unterfinanzierung schultern.
Für viele der Betroffenen bedeutet die neue Verordnung nicht
nur mehr Arbeit, sondern dafür auch noch weniger Geld. Da in den genannten
Sektoren Sonntagsarbeit Normalität ist, egal ob bei der Versorgung der
Patienten im Krankenhaus oder in der Fabrik in der Vollkonti-Schicht, bedeutet
die Einstufung des Sonntags als normalen Werktag potentiell einfach nur den
Wegfall von Sonderzulagen. Unter dem Vorwand von gesellschaftlicher
„Solidarität“ sollen wir also auf Lohn verzichten, während Milliardenkonzerne
weiter Profite scheffeln und Millionenausschüttungen für die Anleger
weiterlaufen.
Dieser Diebstahl zeigt einmal mehr, wessen Interessen die
Politik im Blick hat. Da dies bei genauerer Betrachtung recht offensichtlich
ist, versucht die Regierung die neue Regelung an den Augen der Öffentlichkeit
als ministerielle Verordnung ohne parlamentarische Debatte oder ähnliches
vorbei zu schleusen, nicht einmal eine Pressemitteilung ist die einschneidende
Maßnahme dem Arbeitsminister wert. In der Krise hat die „bürgerliche
Demokratie“ keinerlei Hemmungen sich an den Mitteln einer politischen Diktatur
zu bedienen, indem sie mit Verordnungen die Fassade des Parlamentarismus umgeht
und der alltäglichen Diktatur in den Betrieben der Wirtschaft in die Hände zu
spielt. Schändlicherweise haben sich auch die Spitzen des DGB auf dieses
falsche Spiel eingelassen. Zwar fordern sie, wie Verdi-Chef Wernecke, die Bosse
auf, diese Maßnahmen nur als letztes Mittel zu ergreifen, eine
grundsätzliche Kritik an Inhalt oder Durchsetzung der Verordnung ist aber von Seiten
des DGB nicht zu vernehmen. Tatenlos sehen sie zu, wie die Bundesregierung
einen Präzedenzfall für die weitere Aufweichung von hart erkämpften
Mindeststandards im Arbeitsrecht schafft, denn auch wenn diese Verordnung zunächst
nur bis Ende Juli gilt, werden die Arbeitgeber absehbar auf eine Verlängerung
oder gleich auf die dauerhafte Übernahme der Richtlinien drängen.Seit Beginn
der Krise galt die Solidarität der Bürokraten nicht den Arbeitern, die die
Basis ihrer Organisation bilden, sondern den Bossen, ihr Einsatz nicht dem
Recht ihrer Mitglieder, sondern dem Recht der Chefs auch weiterhin Gewinn zu
machen!
Das Arbeitsministerium von Hubertus Heil begründet die
Verschärfung mit dem zu erwartenden hohen Krankenstand in den Betrieben.
Anstatt also Maßnahmen zu treffen, die Arbeiter in diesen überlebenswichtigen
Bereichen besser zu schützen, beispielsweise in dem andere Industrien
heruntergefahren werden oder adäquates Schutzmaterial bereitgestellt wird,
sollen die, die glücklich genug sind nicht zu erkranken, an den Rand der
Leistungsfähigkeit getrieben werden. Dutzende Studien haben in den letzten
Jahrzehnten gezeigt, dass Stress, langes Arbeiten und fehlende Ruhezeiten fatal
für die Gesundheit der Beschäftigten im Allgemeinen und besonders das Immunsystem
sind. Politik und Wirtschaft spielen mit dieser Verordnung Vabanque mit dem
Leben anderer.
Es reicht ihnen nicht, dass über Kurzarbeit und ähnliches die Arbeitenden die
finanziellen Kosten tragen müssen, wir sollen auch mit unserer Gesundheit für
die Kosten ihrer Krise aufkommen. Während Millionen Menschen in Kurzarbeit auf
ihr Einkommen verzichten müssen, sollen andere 12-Stunden-Schichten für einen
feuchten Händedruck leisten. Es wird Zeit für eine vernünftige und
demokratische Planung von Produktion und Versorgung zur Bewältigung der Krise
und Schluss mit der einseitigen Verteilung der Kosten!
Organisiert euch mit
uns! Kein Angriff ohne Widerstand!