von Juan Díaz, Izquierda Revolucionaria Madrid,
Veröffentlicht auf Spanisch am 09.10.2019
Ecuador erlebt einen
Volksaufstand, der das Regime von Lenin Moreno in die Enge getrieben hat. Zum
Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels lähmt ein Generalstreik das
Land, Quito ist Schauplatz einer imposanten Massenmobilisierung und die
Regierung ist in die Stadt Guayaquil geflohen. Am Dienstag, den 8. Oktober,
gelang es den Demonstranten, die Nationalversammlung zu besetzen um ein „Volksparlament“
einzurichten, bevor sie schließlich von der Bereitschaftspolizei vertrieben
wurden. Der Kampf gegen die neoliberale Agenda ist zu einer echten
revolutionären Krise geworden.
Im März dieses Jahres prahlte
Ecuadors Präsident Lenín Moreno damit, ein Abkommen mit dem Internationalen
Währungsfonds (IWF) abzuschließen, um ein erstes Darlehen von 4,2 Milliarden
Dollar zu erhalten, das auf insgesamt 10 Milliarden Dollar (fast 10% des BIP
des Landes!) ausgeweitet werden soll. Aber die dunkle Seite dieses Darlehens
wurde schon bald deutlich. Am vergangenen 1. Oktober präsentierte Moreno „El
Paquetazo“: einen wilden Plan von Sozialabbau und Sparmaßnahmen, der die
Abschaffung der Subventionierung der Treibstoffpreise beinhaltet, die sich
deshalb bis zur Verdreifachung verteuern sollen.
Es dauerte nicht lange und die
Bevölkerung reagierte. Die Beschäftigten der wichtigsten Transportunternehmen
des Landes riefen einen Generalstreik aus, der sich schnell über das ganze Land
ausbreitete. Morenos Gegenangriff, der den Ausnahmezustand erklärte, trug nur
zur weiteren Eskalation des Aufstands und zur Bewegung der Bauern und indigenen
Gemeinschaften bei. Nun ist der Druck der Massen so groß, dass Moreno gezwungen
war, den Regierungssitz nach Guayaquil zu verlegen, während die Hauptstadt von
Zehntausenden Arbeitern und Bauern besetzt ist. Parallel dazu haben die
Vereinigte Front der Arbeiter (FUT), die größte Gewerkschaft der Arbeiter, und
die CONAIE (Confederation of Indigenous Nationalities of Ecuador) am Mittwoch,
den 9. Oktober, zu einem Generalstreik aufgerufen.
Von Correa bis Lenin Moreno: Es
gibt keinen Ausweg im Kapitalismus
Die Wirtschaft Ecuadors wird vom
imperialistischen Kapital und dem Weltmarkt dominiert. Im Jahr 2000 beschloss
die herrschende Klasse, den Dollar als nationale Währung einzuführen, um die
Inflationskrise zu überwinden und die Kaufkraft einzuschränken. Neunzig Prozent
des BIP hängen vom Export von Rohstoffen und Öl ab. Auch das bisschen Industrie
des Landes konzentriert sich in den Händen transnationaler Unternehmen, was zu
einer völlig abhängigen und verschuldeten Wirtschaft führt. Die
Arbeitslosenquote und die informelle Arbeit übersteigen 80% auf dem Land und
50% in den Städten.
Der Klassenkampf in Ecuador
während der 2000er-Jahre erlebte einen großen Aufschwung, in einem Kontext der
wirtschaftlichen Depression und der Kapitulation von Regierungen. Die Massen
führten große revolutionäre Schlachten, die mit dem Sturz von drei Präsidenten
(Abdalá Bucaram, Jamil Mahuad und Lucio Gutiérrez) endeten. Nach dem Wahlsieg
von Rafael Correa im Jahr 2007 schloss sich Ecuador schließlich der Schockwelle
der revolutionären Prozesse in Venezuela und Bolivien an.
Damit begann die als „Bürgerrevolution“
bekannte Periode. Ziel war es, die Maßnahmen durchzuführen, die andere
Regierungen wie die von Evo Morales oder Chávez in Gang gesetzt hatten, um von
den hohen Preisen für Rohstoffe, insbesondere Öl, zu profitieren. Zweifellos
bedeutete die reformistische Agenda von Correa eine teilweise Verbesserung der
Lebensbedingungen eines Sektors der ärmeren Bevölkerung, aber Correa berührte nicht
die Grundlagen des kapitalistischen Eigentums: Er verstaatlichte weder die
Banken noch die strategischen Sektoren der Wirtschaft, noch löste er die
militärische Führung auf.
Nicht bereit, mit dem Kapitalismus
zu brechen, stand Correa unter doppeltem Druck. Auf der einen Seite die
Feindseligkeit der ecuadorianischen Oligarchie, des hohen Militär- und
Polizeikommandos, des US-Imperialismus, der ständig Putsche geplant und
inszeniert hat, um die Regierung zu stürzen, die durch Massenmobilisierungen
vereitelt wurden. Auf der anderen Seite, und noch wichtiger, die zunehmende
Verschlechterung der Wirtschaft nach dem Zusammenbruch des Ölpreises, der die
Verschuldung des Landes verstärkte. Correa's Regierung verzichtete nicht nur
darauf, den revolutionären Prozess zu vertiefen, sondern versuchte auch, den
internationalen Gläubigern und Spekulanten mit Anpassungsmaßnahmen zu gefallen,
sah sich einer wachsenden Mobilisierung der Bevölkerung gegenüber und tat
nichts, um das Netz der Korruption zu stoppen, das in seiner Regierung
entstanden war.
Correa vertraute einem seiner
größten Mitarbeiter, Lenín Moreno, seinem Vizepräsidenten bis 2013, und 2017
dem Präsidentschaftskandidaten der Alianza País-Koalition. Moreno gewann mit
51% der Stimmen, aber sobald er sein Amt angetreten hatte, machte er eine
enorme Wende nach rechts und verteidigte die Liberalisierung der Wirtschaft,
einschließlich einer für Geschäftsleute günstigen Arbeitsreform, suchte
öffentlich die Distanz zu seinem Vorgänger. Um sich mit dem US-Imperialismus und
seinen Verbündeten gutzustellen, übergab er Julian Assange der britischen
Justiz. Diese für die Massen unerwartete Wendung führte zu einer Periode der
Verwirrung, die nun ihrem Ende zugeht.
Der IWF, ein alter
Bekannter in Lateinamerika
Die Interventionen des IWF auf dem Kontinent haben extreme
Armut, Unsicherheit, wirtschaftlichen Ruin und Verzweiflung in der Bevölkerung
hervorgerufen. Die neoliberale Politik der verschiedenen Regierungen der Region
hat zum rapiden Anwachsen der Staatsschulden geführt, mit dem Ziel, die Geschäftstätigkeit
großer nationaler und ausländischer Konzerne aufrechtzuerhalten und zu stärken.
Alle diese Maßnahmen wurden von den Massen beantwortet und sie wurden deshalb
mit extremer Härte unterdrückt: der Caracazo 1989, der Corralito 2001 in
Argentinien oder das Oktobermassaker 2003 in Bolivien sind Beispiele für
Volksaufstände, die die kapitalistische Stabilität in ihren Ländern hart
getroffen haben und nur mit Blut und Feuer gestoppt werden konnten, so dass Hunderte
und Tausende von Jugendlichen und Arbeitnehmern vom Staat ermordet wurden.
Das gleiche ist es im Falle Ecuadors mit dem vom IWF
geförderten und von Moreno akzeptierten Maßnahmenpaket.
Die Maßnahme, die die größte Empörung hervorgerufen hat, ist
die Rücknahme der Kraftstoffsubvention. Und das kommt nicht von ungefähr: Das
Eisenbahn- und Flussverkehrsnetz in Ecuador ist spärlich, sowohl wegen des
Fehlens von Investitionen als auch wegen des zerklüfteten Andengebirges und der
Dichte des Dschungels. Der geringste Anstieg der Kraftstoffpreise bedeutet
einen Anstieg der Preise für lebensnotwendige Güter.
Auch die Arbeitsreform hat die Wut der Bevölkerung geschürt:
Sie besagt, dass befristete Verträge (die 60% der Arbeiter betreffen) mit einer
Lohnkürzung von bis zu 20% verlängert werden können. Die Beamten ihrerseits
werden ihren bezahlten Urlaub von 30 auf 15 Tage verkürzen müssen, und sie
werden eine außerordentliche Steuer in Höhe des Gehalts eines Arbeitstages bezahlen
müssen, in einem Land, in dem der offizielle Mindestlohn kaum 400 Dollar
erreicht und heute 35% der Bevölkerung ein Pro-Kopf-Einkommen von weniger als
50 Dollar im Monat haben. Wenn diese Maßnahmen durchgeführt werden, werden sie
den Lebensbedingungen der Mehrheit der Bevölkerung einen beispiellosen Schlag
versetzen, und ihre sozialen Folgen werden katastrophal sein.
Die Massen treten in
Aktion
Als Reaktion auf die Ankündigung von Lenín Moreno vom 1.
Oktober traten die Beschäftigten der Transportunternehmen in einen unbefristeten
Streik. Das führte zu Blockaden in den wichtigsten Städten und Autobahnen des
Landes, der sich die wichtigsten Gewerkschaften, Studenten und Dutzende von
Organisationen von Bauern und Einheimischen sofort anschlossen. Die Traditionen
des revolutionären Kampfes von 1997, 2000 und 2005, die den Rücktritt von drei
Präsidenten herbeiführten, haben sich in das kollektive Gedächtnis der
unterdrückten Ecuadorianer eingebrannt und spielen eine Schlüsselrolle.
Als Reaktion auf die immense Mobilisierungswelle löste Lenín
Moreno eine repressive Offensive aus, ordnete den Ausnahmezustand an, um das
Versammlungs- und Demonstrationsrecht zu beseitigen, verhängte eine
Ausgangssperre und mobilisierte die Armee, um die Demonstranten anzugreifen. Zum
Zeitpunkt an dem dieser Artikel geschrieben wird gibt es bereits mehr als 500
Gefangene und dutzende Verwundete.
Wie so oft in der Geschichte hat die Peitsche der
Unterdrückung den Aufstand nur weiter befeuert. Obwohl der Streik der
Transportbeschäftigten ausgesetzt wurde haben die Gewerkschaften die durch den
starken Druck der Aktivisten und Massen forcierte Mobilisierung fortgesetzt,
bis sie den Generalstreik vom 9. Oktober einleiteten.
Darüber hinaus sind Zehntausende von indigenen Bauern, die
von CONAIE organisiert wurden, die sich dem Aufruf angeschlossen hat, nach
Quito gereist, um die Stadt zu besetzen und Autobahnen und ganze Provinzen im
ganzen Land zu blockieren. Tatsächlich reagierte die CONAIE auf die repressiven
Maßnahmen der Regierung, indem sie ihren eigenen Ausnahmezustand erklärte und
die Einreise der Streitkräfte in ihre Territorien verbot, bis hin zur
Gefangennahme von Dutzenden von Soldaten und Polizisten. Sowohl 1997 als auch
2000 spielte die indigene Bewegung eine wichtige Rolle beim Sturz der
Präsidenten Abdalá Bucaram und Jamil Mahuad.
Die Bilder der Proteste, die in den sozialen Netzwerken
viral wurden, sind beeindruckend. Tausende von Indigenen kommen in die Städte
und werden dort von Arbeitern und Jugendlichen gefeiert. Transporter, die die
Hauptstraßen blockieren. Auf den Plätzen drängen sich Schüler, Studenten und
Nachbarn. Das Gefühl der Stärke und des Vertrauens, das die ecuadorianischen
Massen haben, ist spektakulär.
Den Herrschenden entgeht das nicht: Am Nachmittag des 7.
Oktober, nach der totalen Blockade der Hauptstadt, verlegte Lenín Moreno sein
ganzes Kabinett nach Guayaquil, während er Vorwürfe gegen das venezolanische
Regime von Maduro als „Gehirn“ im Schatten des Aufstands erhob und zum Dialog
und sozialen Frieden aufrief.
Es ist klar, dass sich die
Regierung in einer Situation immenser Schwäche befindet. Trotz des Schweigens
der internationalen Medien haben sich nur wenige Führungskräfte zu ihrer
Verteidigung geäußert. Nur der venezolanische Putschist Juan Guaidó hat sich
solidarisch mit der Regierung von Moreno ausgesprochen.
Correa und seine Verbündeten
haben schüchterne Unterstützung für den Aufstand gezeigt und keine größere
Sympathie darin gefunden. Obwohl in den Städten und auf dem Land viele der
Anhänger von Correa aktiv an den Mobilisierungen teilnehmen, hat der um seine
Partei, Fuerza Compromiso Social, gruppierte Apparat große Angst, die
Mobilisierung nicht kontrollieren zu können und dass sie sich gegen sie wenden
könnten. Darüber hinaus haben sich weite Teile der Bewegung vom ehemaligen
Präsidenten distanziert, ihn als Opportunisten bezeichnet und ihre Weigerung,
die Revolten zu stoppen, beibehalten, unabhängig davon, wie viel Mühe sich Lenín
Moreno und El Universo (Zeitung der ecuadorianischen Oligarchie) gegeben haben,
die Proteste als von den „Correistas“ gesteuert darzustellen.
Den Kampf bis zum Ende führen: Raus mit Lenín Moreno und dem IWF! Für Arbeitermacht!
Die Stärke der Arbeiterklasse,
der armen Bauernschaft, der Jugend und der indigenen Bevölkerung in Ecuador ist
enorm. Der Generalstreik am 9. Oktober könnte ein schwerer Schlag für die Moreno-Regierung
sein. Aber es reicht nicht aus, die Rücknahme von „El Paquetazo“ zu fordern.
Dieser lügnerischen, korrupten und neoliberalen Regierung, die die Interessen
der Reichen verteidigt und das Land dem IWF überlässt, können wir kein Vertrauen
schenken: Wir müssen sie rauswerfen!
So wie der Ausnahmezustand in den
indigenen Gebieten ausgerufen wurde, ist es notwendig, noch weiter zu gehen:
wir müssen revolutionäre Komitees von Arbeitern, Bauern und Indigenen mit jederzeit
wähl- und abwählbaren Delegierten bilden, die für die demokratische Verwaltung
der Wirtschaft, der Sicherheit, des Verkehrs usw. zuständig sind und sich auf
staatlicher Ebene koordinieren. Diese Komitees müssen als Organe der Arbeitermacht
im ganzen Land aufgebaut und entwickelt werden, um den Kampf gegen die
Regierung und den kapitalistischen Staat zu organisieren und zu stärken,
einschließlich der Organisation des unbefristeten Generalstreiks zur Bildung einer
revolutionären Regierung.
Zusammen mit diesem Aktionsplan braucht
es ein sozialistisches Programm, das mit dem Kapitalismus und der
imperialistischen Abhängigkeit bricht und die Massen vereint: freie und
qualitativ hochwertige öffentliche Bildung; menschenwürdige, stabile und
sichere Arbeit für Alle bei angemessenen Löhnen; Abschaffung aller Arbeitsreformen;
Verstaatlichung der Banken, Monopole und des Großgrundbesitzes unter der
Kontrolle von Arbeitern und Bauern; volle wirtschaftliche, soziale und
politische Rechte für die indigenen Gemeinschaften; Kündigung der Abkommen mit
dem IWF und Erlass der vom Staat bei den imperialistischen Mächten
aufgenommenen Schulden.
Wir haben gesehen, wie die Massen
auf der ganzen Welt rebellieren, vor allem in Lateinamerika: In Mexiko das
massive Votum gegen den rechten Flügel der PRI und der PAN, die Aufstände von Schülern,
Studenten und Arbeitern in Brasilien gegen Bolsonaro, die massive Reaktion in
den Straßen Argentiniens auf die neoliberale Regierung von Macri, die
Mobilisierung in Puerto Rico, die den korrupten Ricky Roselló stürzte, die Tage
der Revolten in Haiti... Wir rufen auf internationaler Ebene auf die Kämpfe voranzutreiben
und dem Wüten des Kapitalismus ein Ende zu bereiten, der den Kontinent zerstört.
Die ecuadorianischen Massen
kehren mit spektakulären Kräften zurück, um sich den Slogan zu Eigen zu machen,
dass der Kampf der einzige Weg ist, und sie können ihn bis zum Ende führen.
Nur das Volk rettet das Volk!
Für den Sturz des Kapitalismus in
Ecuador! Für die Arbeiter- und sozialistische Macht!
Für die Föderation der
Sozialistischen Republiken Lateinamerikas!