International kommt es zu Einsätzen des Militärs im Inland "gegen Corona". Hier in Mailand. |
Miguel Ángel Domingo, Exekutivkomitee von Izquierda Revolucionaria (Internationale Revolutionäre Linke im Spanischen Staat)Auf Spanisch veröffentlicht am 03. April 2020
Das Coronavirus hat das wahre Gesicht des Kapitalismus enthüllt. In
jedem Land nutzen die großen Monopole und das Finanzkapital ihren jeweiligen
Staat, um ihre Unternehmen zu retten. Und überall auf der Welt greifen sie
unsere demokratischen Rechte an, um die Pandemie zu bekämpfen. Engels
definierte den Staat letztlich als Gruppe von bewaffneten Menschen zur
Verteidigung von Eigentum. Diese Krise erweist sich als eine brutale
Bestätigung.
In Portugal hat die Regierung das Streikrecht unter dem Deckmantel des
Ausnahmezustands ausgesetzt, wobei sie nicht die Aussperrungen verbietet,
sondern das Recht der Beschäftigten auf Widerstand. In Ungarn hat der
reaktionäre Premierminister Orbán per Dekret die volle Regierungsgewalt ohne
zeitliche Begrenzung erhalten. Außergewöhnliche Maßnahmen werden gleichermaßen
von diktatorischen Regimes und von „konsolidierten
Demokratien“ ergriffen: Jordanien, Israel,
die Philippinen, die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich, Chile...
In einem Land nach dem anderen wird die Rolle des Militärs gestärkt, die
Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren normalisiert, die Arbeits- und
Gewerkschaftsrechte werden beschnitten, ebenso wie das Recht auf freie
Meinungsäußerung, Versammlungs- und Demonstrationsrechte, was der Zensur die
Tür öffnet.
Militärische Sprache
Der spanische Staat bildet da keine Ausnahme. Obwohl er eine
theoretisch „linke“
Regierung hat, hat sie die Sprache und die Mittel des Militärs übernommen. Als
der Alarmzustand verordnet wurde, erklärte sich die Exekutive zur „kompetenten Behörde“:
alle Polizeikräfte wurden dem Innenminister unterstellt, und die Hauptfigur
dieser kompetenten Behörde ist der Verteidigungsminister. Nichts könnte weiter
von einem Krisenkabinett wegen eines gesundheitlichen Notstands entfernt sein.
Es wurde ein technischer Verwaltungsausschuss eingesetzt, dem José
Ángel González, stellvertretender Direktor für Polizeieinsätze, Laurentino
Ceña, General der Guardia Civil, Miguel Villaroya, Chef des Verteidigungsstabs,
und María José Rallo, Generalsekretärin für Verkehr und Mobilität, angehören.
Ihre Pressekonferenzen sind denen einer Militärjunta ähnlich. Zwischen
patriotischer Rhetorik und Kaserne-Terminologien fordern sie von der
Bevölkerung „soziale Disziplin“, sie stellen fest, dass „wir
alle Soldaten in diesem Krieg sind“ oder sie
erinnern uns daran, dass „Felipe VI der
erste Soldat Spaniens ist“.
Die von der Regierung proklamierte „nationale
Einheit“ ist ein Trugschluss. Wir werden
nicht gemeinsam aus dieser Krise herauskommen. Die Kapitalisten werden keine
Opfer bringen.
Die „Regierung des Volkes“... die nur der Polizei vertraut
In den ersten 18 Tagen des Alarmzustandes haben die verschiedenen
Polizeikräfte 216.326 Geldstrafen (vorgeschlagene Sanktionen) verhängt und
1.849 Personen verhaftet. Auf diese Bußgelder wird das Knebelgesetz „Ley
Mordaza“[1]
angewendet. Der Grund dafür ist, so die Generaldirektion der Polizei selbst,
dass sie es im Vergleich zu anderen Gesetzen für „das empfehlenswerteste“ hält,
weil es „agil und kontrastreich“ ist. Der Vergleich mit Italien ist
niederschmetternd: 50.000 Menschen wurden dort mit einem Monat Haft bestraft.
Sie verhängen Bußgelder, wenn mehr als eine Person in einem Auto
unterwegs ist, während Arbeiter mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu ihrem
Arbeitsplatz gelangen müssen. Sie schicken weder die Polizei noch die Guardia
Civil, um die Arbeitsplätze zu inspizieren, an denen die Sicherheitsmaßnahmen
nicht eingehalten werden. Die Vernachlässigung der Gesundheit von Beschäftigten
ist schlichtweg unbedeutend. Die Regierung, die das Knebelungsgesetz aufheben
wollte, gibt den Repressionsorganen einen Deckmantel der Straflosigkeit, indem
sie ihnen freie Hand lässt, damit sie diese zu ihrem Vorteil nutzen können.
In den sozialen Netzwerken sind Bilder von polizeilicher Willkür, von
unverhältnismäßiger Gewaltanwendung nun ständig im Umlauf... Bei vielen
Gelegenheiten jubeln diejenigen, die diese Bilder aufnehmen, der Polizei zu. Was
nun weithin als „Balkonpolizei“[2]
bezeichnet wird, erscheint nicht einfach aus dem Nichts. Ihre soziale Grundlage
ist die Rechtsentwicklung eines Teils der Gesellschaft in den letzten Jahren,
jenem sozialen Staub, der sich um Vox gruppiert hat. Die Aktionen dieser „Regierung des Volkes“
hat ihnen den Rücken gestärkt, indem sie zur „sozialen Disziplin“ als
individuelle Einstellung aufruft, zur Überwachung des eigenen Nachbarn und des
täglichen kleinen Elends. Ein echtes Beispiel dafür, was eine Regierung der
Rechten tun würde.
Die Rolle der Armee in dieser Krise
Die Einbeziehung des Militärs in die Bewältigung der Coronavirus-Krise
wurde von Anfang an auf die Tagesordnung gesetzt. Das erste, was sie zeigt, ist
die Schwäche der Katastrophenschutzstrukturen im spanischen Staat. Die berühmte
Militärische Notstandseinheit hat seit ihrer Gründung im Jahr 2006 rund 3
Milliarden Euro gekostet. Dieses Budget hätte man unendlich besser einsetzen
können, wie zum Aufbau der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes usw. Was in
dieser Krise gebraucht wird, ist Gesundheitsversorgung, Krankenhäuser, die Verstaatlichung
der privaten Gesundheitsfürsorge, persönliche Schutzausrüstung, Atemschutzmasken
usw. und nicht die Paraden der Legionäre vor dem provisorischen Krankenhaus am
Ifema,[3]
um die Fahne auf Halbmast für die Gefallenen zu hissen.
Darüber hinaus hat die Ausweitung des Alarmzustandes die wahren
Absichten des Einsatzes der Armee deutlich gemacht: Das Militär wird mit
Polizeibeamten an Patrouillen auf den Straßen teilnehmen. Was will die Armee
mit Patrouillen auf halbleeren Straßen oder mit Verkehrskontrollen erreichen?
Wenn man sich daran gewöhnt, dass das Militär und die Polizei „für die Situation zuständig“ sind oder Soldaten auf der Straße stehen,
bereitet man die Bevölkerung psychologisch darauf vor, dass sie im Namen der
Ausnahmesituation Demonstrationen und Streiks verhindern und unsere
demokratischen Rechte weiter beschneiden sollen.
Sie bereiten die Repression gegen die Arbeiterbewegung vor
Die repressiven Maßnahmen, die weltweit ergriffen werden, werden nicht
aufgehoben, wenn das Schlimmste der Pandemie vorbei ist. Frankreich ist ein
deutliches Beispiel: Im November 2015 wurde nach den Dschihad-Angriffen in
Paris der Ausnahmezustand verhängt; dieser Ausnahmezustand wurde zwei Jahre
lang aufrechterhalten – was die Entwicklung von Demonstrationen und Streiks
beeinflusste –, bis ein neues „Antiterror“-Gesetz verabschiedet wurde, das wichtige Teile
der „Notstands“-Gesetzgebung
in der Praxis anwendbar machte und gegen die Gelbwesten eingesetzt wurde. Der
2016 aufgrund der Migrationskrise verhängte Ausnahmezustand ist in Ungarn immer
noch in Kraft. Und wir dürfen den Fall des spanischen Staates nicht vergessen:
Die gesamte Notstandsgesetzgebung der Jahrzehnte des „Kampfes
gegen den Terrorismus“ und „Wir sind alle ETA“[4] ist unverändert
geblieben und wurde gegen Streiks, Streikposten, soziale Bewegungen usw.
eingesetzt.
Überall auf der Welt wird ein Krieg geführt, aber nicht gegen das
Coronavirus: Es ist ein Klassenkampf. Deshalb ist es kein Zufall, dass der
spanische Staat dem Militär und der Polizei und deren martialischen Hetzreden
an die Bevölkerung eine zentrale Rolle zugewiesen hat. Diese Regierung hat sich
in die Arme der Uniformierten geworfen, weil sie bereit ist, dem Diktat der
herrschenden Klasse bis zum Ende zu gehorchen. Sie bereiten sich gründlich vor,
also müssen auch wir Revolutionäre dies zur Kenntnis nehmen und uns
vorbereiten.
[1] Gesetz,
das im Jahr 2014 eingeführt wurde, und demokratische Grundrechte wie die
Versammlungsfreiheit weitgehend beschnitten hat. Für unerlaubtes Protestieren
oder in diesem Fall Aufhalten im Freien können horrende Geldstrafen über
mehrere Hunderttausend Euro verhängt
werden. Siehe hierzu: https://www.freitag.de/autoren/dame-von-welt/demokratieabschaffung-spanisch-ley-mordaza
https://www.heise.de/tp/features/Eigentlich-muesste-die-UNO-laengst-Blauhelmtruppen-nach-Spanien-schicken-3369245.html,
Anm. d. Ü.
[2] Menschen, die von ihrem Balkon
aus „Polizei spielen“, Anm. d. Ü.
[3] Messegelände in Madrid, Anm. d. Ü.
[4] ETA war eine politische Organisationen, die für die Unabhängigkeit des
Baskenlandes eintrat, Anm. d. Ü.