Silvia Federici, „marxistische“ Feministin |
von Laura Calderon, Izquierda Revolucionaria
(Internationale Revolutionäre Linke im Spanischen Staat)
Veröffentlicht auf Spanisch am 12. Mai 2019
Im vergangenen November veröffentlichten mehrere Abgeordnete,
Universitätsdozenten, Journalisten und Denker wie Silvia Federici und Justa
Montero ein Manifest, in dem sie die Aufhebung des Verfahrens gegen die
selbsternannte „Prostituiertengewerkschaft“ OTRAS forderten. Dieser Teil der feministischen
Bewegung, der vorgibt die Rechte der Frauen zu verteidigen,
die Opfer der Prostitution geworden sind, hat die Kampagne zugunsten der
Darstellung der sexuellen Sklaverei als eine Arbeitstätigkeit „wie jede andere“ angeheizt.
Die Debatte um die Legalisierung von Prostitution hat auch alle politischen
Akteure gezwungen, sich zu positionieren. Es ist weder ein Zufall, dass Ciudadanos
und sein „liberaler Feminismus“ für die Legalisierung der Prostitution als Teil
ihres neoliberalen Programms kämpfen, noch, dass die PSOE offiziell
eine abolitionistische Position beibehält, obwohl sie in den Regierungen und Institutionen in denen sie sitzt keine Maßnahmen dagegen ergreift. Die PSOE hat keine wirksamen sozialen oder wirtschaftlichen Maßnahmen ergriffen, um die
Hunderttausenden von weiblichen Opfern des Menschenhandels zu retten.
In diesem Artikel wollen wir die Position eines klassenkämpferischenn und
antikapitalistischen Feminismus erklären, wenn es um ein so grundlegendes Thema
für die Frauenbefreiung geht.
Für die Rechte unterdrückter Frauen oder die Interessen der Zuhälter?
Es ist kein Zufall, dass sich die Debatte um die Prostitution auf die
angebliche Verteidigung der Arbeitsrechte von prostituierten Frauen
konzentriert. Die Kontroverse auf die Frage zu verschieben, ob Prostituierte ein Recht auf Gewerkschaftsbildung haben oder nicht, ist ein
Weg, um die tatsächlichen wirtschaftlichen und politischen Interessen hinter diesem Thema zu verschleiern.
Um eine ausgewogene und realistische Sicht auf das zu erhalten, worum es geht, müssen wir konkret sein. Die Legalisierung der
„Gewerkschaft“ OTRAS würde bedeuten, von der Hintertür aus zu akzeptieren, dass
die Zuhältermafia und andere kriminelle Gangs rechtlich als Arbeitgeberverband anerkannt
würden und dass ihr kriminelles Geschäft eine legale unternehmerische Tätigkeit
wäre. Im Wesentlichen wäre es ein weiterer Schritt zur Legitimisierung und Legalisierung der Prostitution als wirtschaftliche Tätigkeit, die den Zuhältern soziale
Legitimität verleiht, und diese so genannte Gewerkschaft würde sich zu einem
Organ entwickeln, das die Beziehungen zwischen Frauenhändlern und dem
Staatsapparat vertuschen soll. Diese Strategie wurde von kriminellen Netzwerken
aus dem Sexgeschäft in verschiedenen Teilen der Welt umgesetzt.
Die im Jahr 2000 in Großbritannien gegründete International Union of Sex
Workers (IUSW) hat kaum 150 Mitglieder auf der ganzen Welt. Das aktivste
Mitglied der IUSW ist Douglas Fox, der Besitzer einer der größten
Prostitutions-„Agenturen“ in England. Es ist kein Zufall, dass die IUSW keine
arbeitsrechtlichen Ansprüche oder Streitigkeiten geltend gemacht hat und dass
sie das Innenministerium dazu aufgefordert hat, eine Kampagne gegen den
Menschenhandel fallenzulassen.
In Deutschland behauptet der Berufsverband Erotische und Sexuelle
Dienstleistungen (BSD), ein Berufsverband zu sein, der die Zusammenarbeit der
„Sexindustrie“ mit den Gewerkschaften der Prostituierten organisiert. Einer der
Gründer, Holger Rettig, ist der Präsident des Arbeitgeberverbandes der
Bordellen sowie Undine de Rivière und Tanja Sommer, zwei führende
Persönlichkeiten der Organisation, die auch Bordellenbesitzer sind.
Dies ist die Strategie, die von der Sexindustrie und der Zuhälterlobby auf der
ganzen Welt verfolgt wird. Das erklärt auch, warum Concha Borrell und Joaquín P.
Donaire, Eigentümer von Aprosex, einer Unternehmensorganisation, die sich der
Rekrutierung und Ausbildung von Prostituierten widmet, auch hinter der so
genannten Prostituiertengewerkschaft stehen. Es ist eine Kampagne, die von der
mächtigen Sexindustrie gefördert wird, um ein positives Klima für die
Prostitution in einem Moment zu schaffen, in dem viele wirtschaftliche
Interessen auf dem Spiel stehen.
Der sexuelle Missbrauch von Frauen ist weder progressiv noch
feministisch
Der spanische Staat gehört kurz nach Thailand und Brasilien zu den drei
wichtigsten Ländern weltweit für Sextourismus. Die Jonquera-Clubs haben die
Grenze zu Frankreich zum größten europäischen Bordell gemacht. Laut
Polizeiquellen gibt es mehr als 1700 sog. Single-Clubs im ganzen Land, die täglich
fünf Millionen Euro Umsatz machen und in denen zwischen 400.000 bis 600.000 Frauen arbeiten müssen, die meist aus Rumänien, Bulgarien, Nigeria und der
Dominikanischen Republik kommen.
Wie kann ein solches Unternehmen, theoretisch illegal, vom Finanzministerium,
der Polizei und den Richtern unbemerkt bleiben? Der einzige Grund dafür liegt
darin, wer von dieser Wirtschaftsstruktur profitiert: große Unternehmen mit
Verbindungen zum nationalen und internationalen Bankwesen sowie die höchsten
Bereiche der Politik, der Justiz und der Polizei. Die Legalisierung der
Prostitution wäre der notwendige Schritt für die Ausweitung von Geschäften der
Zuhältermafia und für das Reinwaschen ihrer Beziehungen zu Teilen der
politischen und wirtschaftlichen Macht.
Das öffentliche und legale Angebot von Megabordellen im Rahmen des
preiswerten Sextourismus an den Küsten des spanischen Staates, wo Zehntausende
von Frauen in einer Vitrine angeboten oder gegen eine geringe Gebühr à la carte
als Produkt zum Konsum angeboten werden, bringt uns die Barbarei, die es
bereits dort gibt, wo Prostitution legalisiert ist, wie in Deutschland oder
Nevada (USA). Es ist nicht möglich, die Realität dieser Prostitution, auf der
das lukrative Geschäft sexueller Ausbeutung aufbaut, aus dem Kontext zu reißen.
Clubs, in denen Frauen zu einem Verhandlungsobjekt werden, um große
Geschäfte unter Machthabern zu schließen oder die unkontrollierte Förderung
aller Arten von sexueller Belästigung als „Dienstleistung“ nach dem
Vorbild des deutschen Modells, sind das wahre Gesicht der
Prostitution. Im Gegensatz zu dem, was die Befürworter der Regulierung uns
glauben machen wollen, ist die Prostitution kein frei ausgehandelter
wirtschaftlicher Austausch von Dienstleistungen, sondern eine Institution, die
in ein Geschäftsmodell umgewandelt wurde, das soziale Beziehungen von
Unterdrückung und Herrschaft reproduziert und unterhält.
Es ist unmöglich, von Freiheit oder Konsens zu sprechen, wenn ein Verhältnis
extremer Ungleichheit zwischen denen, die die Macht zum Kauf haben, und denen,
die dem Verkauf nachgeben müssen, hergestellt wird. Es ist unmöglich,
Prostitution von Armut und sozialer Ausgrenzung und der Objektivizierung von
Frauen zu trennen, weil dies ein integraler Bestandteil des Geschäfts ist:
Männer glauben zu machen, dass sie das Recht haben, jede Frau im Austausch für
ein paar Münzen zu „haben“. Was ist das, was bei der Bezahlung von Sex
angestrebt wird, außer mit Geld das aufzuzwingen, was nicht durch Konsens
erreicht wurde? Tatsächlich ist das, was die Freier kaufen, die mangelnde
Entscheidungsfreiheit der anderen Seite.
Diese Realität kann nicht beschönigt werden. Wo sind die Rechte und die
vermeintliche Würde der Prostituierten bei der Legalisierung ihrer „Tätigkeit“?
Zu argumentieren, dass die Legalisierung ein Schutz für prostituierte Frauen
wäre, bedeutet zu ignorieren wie gewaltsam die Verhältnisse sind, die die Prostitution für Frauen mit sich bringt, in denen sie als Objekte zum Missbrauch freigegeben werden. In der Welt der
Prostitution sind die einzigen Rechte, die vorherrschen, die der Zuhälter
auf den Frauenhandel und die der Freier auf deren Konsum.
Gerne wollen Verfechter der Prostitution uns erzählen, dieses Geschäft sei ja nicht das selbe wie der Menschenhandel. Was für ein demagogisches Alibi unter völliger Missachtung der Realität! Prostitution und Menschenhandel sind zwei Seiten
der selben Medaille. Ohne die Netze von Menschenhändlern, die durch
wirtschaftlichen Zwang und angesichts einer massiven Zunahme von Frauenarmut Frauen in großen Mengen aus verarmten Ländern
exportieren und importieren, als ob es sich um irgendeinen Rohstoff handeln
würde, ist es nicht möglich, das Angebot aufrechtzuerhalten, die für die Gewinne dieses Multimillionen-Dollar-Geschäfts erforderlich ist. Die
Legalisierung verwandelt Menschenhandelsnetzwerke in transnationale
Arbeitsvermittlungsunternehmen, und an einigen Orten wie Australien sind einige
von ihnen bereits an der Börse notiert.
Legalisierung oder Abolitionismus: Reform oder Revolution
Die Bourgeoisie verteidigt die Prostitution, weil mit ihr Gewinne gemacht werden können und ihnen das insofern gut in ihr Weltbild passt. Für die herrschende Klasse verdient der größte Teil der
Menschheit keine andere Beachtung als als Rohstoff, aus dem sie Profite schöpfen kann. Der Beweis dafür ist, dass Ciudadanos in seinem Verständnis des
„liberalen Feminismus“ die Legalisierung der Prostitution und der
Leihmutterschaft verteidigt. Sie appellieren an die Achtung der
„individuellen Freiheit“ als ideologische Verpackung, um diese Forderung
sozialverträglich zu machen.
Der Zynismus dieser Leute hat keine Grenzen, aber er ist auch keine
Überraschung. Als hörige Apologeten des Kapitalismus propagieren sie die
vermeintlichen „Wahrheiten“, die das Kapital verbreitet, um seine Unterdrückung
aufrechtzuerhalten. Aber niedrige Löhne oder Massenarbeitslosigkeit sind nicht dasselbe wie eine freie Wahl. So wie wir nicht unsere Freiheit ausüben, wenn wir einen
schlechten Arbeitsvertrag abschließen, um über die Runden zu kommen, so tun wir es auch
nicht, wenn wir unseren Körper verkaufen.
Wenn dieselben Argumente aber auch in bestimmten Bereichen
des „Feminismus“ und der „Linken“ Widerhall finden, stehen wir vor einem entwürdigenden
Ausdruck ihrer ideologischen Niederlage gegen die Logik des Systems. Das
passiert, wenn eine der herausragendsten Vertreterinnen des kleinbürgerlichen
Feminismus, Silvia Federici, darauf hinweist, dass „wir beim Verkauf unseres
Körpers mit der gleichen Ausbeutung konfrontiert sind wie beim Verkauf unseres
Gehirns“ oder „dass es nicht Sache des Feminismus ist, Hierarchien zwischen
Ausbeutung zu etablieren, die wir akzeptieren können oder nicht“. Sicherlich
können diese Feministinnen aus ihrem Uni-Büro heraus aus einer bequemeren
„Perspektive“ theoretisieren als aus einem Straßenclub oder einem dunklen
Kreisverkehr.
Natürlich gibt es in dieser Gesellschaft Hierarchien in der
Lohnausbeutung. So wie das Leben als Professor an der Universität und die
Abhaltung internationaler Konferenzen nicht dasselbe ist wie das Reinigen von
Treppen für 400 Euro, ist der Verkauf der Arbeitskraft zur Deckung von
Grundbedürfnissen nicht dasselbe wie die Verleugnung des eigenen sexuellen
Willens, indem man seinen Körper täglich einer Gruppe von Fremden überlässt,
die einen oral, vaginal und anal so oft wie sie wollen penetrieren.
Wie Federici zu behaupten, dass es nicht unsere Aufgabe ist, der Art
der Ausbeutung, die akzeptabel ist oder nicht, Grenzen zu setzen, weil wir im
Kapitalismus leben, ist nur eine weitere rhetorische Abstraktion, die von
Klasseninhalten befreit ist. Wir sind so dazu angehalten, ein System zu
akzeptieren, das mit unserem Leben tut, was es will. Müssen wir deshalb auch die
Ausbeutung von Kindern oder den Verkauf von Organen akzeptieren? Wie kann man
von der Befreiung der Gesellschaft sprechen, wenn einer ihrer repressivsten
Institutionen ein normaler Status verliehen wird? Denn tief im Inneren ist die
Anerkennung der „Sexarbeit“, die versucht, eine Geißel wie die Prostitution zu
humanisieren, nur ein Ausdruck davon, dass man sich längst damit abgefunden hat, dass
es keine andere denkbare Gesellschaft gibt, als die, die das kapitalistische System
uns bietet.
Wir kämpfen darum, uns von jeglicher Unterdrückung und Ausbeutung zu
befreien
Als revolutionäre Marxisten, die danach streben, diese sexistische und
rassistische Klassengesellschaft zu verändern, kämpfen wir konsequent dafür,
uns von allen Formen der Unterdrückung zu befreien. Deshalb bekämpfen wir die
Geißel der Prostitution.
Diejenigen von uns, die einen revolutionären, abolitionistischen
Klassenstandpunkt einnehmen, nicht heuchlerisch und schick wie die
Sozialdemokratie, sind die konsequentesten Kämpfer für die Rechte von Frauen,
die zur Prostitution gezwungen werden. Wir fordern nicht nur den sofortigen
Rückzug aller kommunalen Verordnungen, die prostituierte Frauen verfolgen und
marginalisieren, sondern wir schlagen vor, dass der Staat und die Behörden die
Hilfe für die Opfer garantieren. Dies setzt insbesondere voraus, dass
prostituierte Frauen einen annehmbaren Arbeitsplatz oder eine unbefristete
Arbeitslosenunterstützung, freien Zugang zu Gesundheit
und Bildung, zu öffentlichen Wohnungen und natürlich Bleiberecht und Schutz vor Abschiebungen haben, sowie ein Recht auf Staatsbürgerschaft und Familienzusammenführung. Es geht auch darum, für die Verfolgung, die exemplarische
Bestrafung und die Enteignung des Erbes der Zuhälter zu kämpfen, um es in den
Dienst der Opfer und ihrer Familien zu stellen. Es bedeutet, unerbittlich gegen
diejenigen vorzugehen, die mit dem Handel und dem Leid der Menschen und ihrer
Komplizen in Polizeiapparaten, Gerichten und Regierungen zu tun haben.
Wir sind uns durchaus bewusst, dass jede Maßnahme zur Verteidigung
prostituierter Frauen eine Änderung der sozialen Verhältnisse erfordert, aus
denen die Prostitution hervorgeht. Das Fortbestehen dieser modernen Form der
Sklaverei ist weder ein Zufall noch nur ein Produkt der faulen Moral einzelner Individuen, sondern die unvermeidliche Frucht des kapitalistischen Systems und
der damit verbundenen Unterdrückung von Klasse und Geschlecht.
Der Abolitionismus ist keine idealistische oder abstrakte Forderung, er
ist ein untrennbarer Teil des Kampfs um die Befreiung der Frau und der Arbeiterklasse.
Natürlich erfordert die Verteidigung dieser Position auch einen Angriff auf das kapitalistische System als Ganzes. Der Kampf gegen die Barbarei und
die Unterdrückung des modernen Kapitalismus und die der sexuellen
Sklaverei ist ein untrennbarer Teil des Kampfes für die sozialistische
Umwälzung der Gesellschaft.