Erklärung der Internationalen Revolutionären Linken,
erschienen am 25. November 2019
Das
Feuer der Revolution, das in Lateinamerika brennt, hat auch das politische
Kartenhaus Kolumbiens in sich zusammen fallen lassen. Die Sprengkraft der
Gegensätze, die sich im Land aufgestaut haben, hat sich seit dem 21. November
in der größten Massenbewegung der letzten 40 Jahre entladen und den Oligarchen
einen heftigen Schlag versetzt. Die Kraft des Aufstandes, der hinter dem
Generalstreik steht hat alle Erwartungen übertroffen und eine neue Periode von
Klassenkämpfen in Kolumbien eingeläutet.
Der 21. November: Ein
historischer Streik
Der
Generalstreik am Donnerstag, dem 21. November war ohne Zweifel die wichtigste
Mobilisierung der Arbeiterklasse seit dem Generalstreik am 14. September 1977.
Die Reaktion der Arbeiter und Kleinbauern auf den Ausverkauf des ohnehin schon
mageren kolumbianischen Sozialsystems durch die Regierung Ivan Duque, einem
glühenden Anhänger des ultrarechten, militaristischen Ex-Präsidenten Alvaro
Uribe, war ein beispielsloser Volksaufstand. Die Maßnahmen der Regierung
sollten, wie vom Internationalen Währungsfonds gefordert, den bisherigen
Mindestlohn von etwa 220 Euro pro Monat senken, das jetzt schon lächerliche
Rentensystem abschaffen um im Gegenzug den reichsten Unternehmern
Steuervorteile zu gewähren.
Der
gesammelte Unmut und die weitverbreitete Ablehnung von Duques Regierung brachen
sich in den Wochen vor dem Streik. Besonders die harte Repression, die die
Studenten der Universität Bogota erfuhren, als sie für die Entlassung des
Universitätsdirektors demonstrierten, nach dem seine Verwicklung in einen
Korruptionsfall bekannt wurde führten zu einer weitverbreiteten Unterstützung
der Proteste. Darüber hinaus sorgte der Fall eines Luftangriffs auf ein
angebliches Lager von abtrünnigen FARC-Rebellen, der zum Tod von acht
Minderjährigen führte, und den Verteidigungsminister nur zwei Wochen vor dem
Streik seinen Job kostete, für Unmut. Guillermo Botero, der ehemalige
Verteidigungsminister stand davor schon wegen mehr als hundert Morden an
zivilgesellschaftlichen Aktivisten und Gewerkschaftern in der Kritik, bei denen
sein Militär zumindest weggeschaut hat, falls es nicht aktiv daran teilnahm.
Vor allem aber kann man den Enthusiasmus des kolumbianischen Volkes nur im
Kontext der Ereignisse in den anderen Ländern Lateinamerikas verstehen. Die
Rebellion in Ecuador gegen ihren eigenen „Paquetazo“, den Ausverkauf an die
Interessen des IWF, der Generalstreik in Chile und die revolutionäre Antwort
der Bolivianer gegen den Staatsstreich der rechten Eliten spielen eine
inspirierende Rolle für die Massenbewegungen der Nachbarländer, ähnlich den
Ereignissen des arabischen Frühlings zu Beginn dieser Dekade.
Obwohl
nur etwa 5 Prozent der Arbeiter Kolumbiens Gewerkschaftsmitglieder sind, war
die Streikführung im ganzen Land einheitlich. Das zeigt wie eine neue
Generation von Arbeitern entschieden die Initiative ergreift, wenn sie die
Möglichkeit hat die Klassenfeinde unter Druck zu setzen. Das zeigt, dass die
Abwesenheit bürokratisierter Gewerkschaften, deren sozialpartnerschaftliches
Vorgehen den sozialen Frieden sichert, nicht bedeutet, dass die Arbeiterklasse
lern- und kampfunfähig ist, sondern das Gegenteil. Es ist ein Fehler
Bewusstsein und Kampfkraft der Arbeiter und Jugend am Niveau der
gewerkschaftlichen Organisation oder der Politik reformistischer Parteien zu
messen.
Die
bürgerlichen Medien, die Regierung und die Arbeitgeber mussten hilflos die
Erfolge des Streiks anerkennen. Laut der Nationalen Föderation der Händler
(Fenalco) brach der Umsatz im Handel um 50% ein, ein Verlust von rund 60
Millionen Dollar in dem Sektor. Obwohl die kolumbianischen Bauern eine lange
Tradition von Massenbewegungen hat, wie etwa in den Streiks in der
Landwirtschaft 2008 und 2013, waren Arbeitskämpfe in der Industrie in den
letzten Jahren oft auf bestimmte Gebiete und Sektoren beschränkt. Die enormen
Ausmaße des jetzigen Streiks übertrafen stattdessen sämtliche Erwartungen
überall in Kolumbien, auch in Städten und Gemeinden in der Provinz.
Millionen
Menschen demonstrierten in Bogotá, Cali, Cartagena und Bucaramanga. Die größte
Überraschung waren allerdings jene Hunderttausende in Medellin, der
zweitgrößten Stadt des Landes und dem traditionellen Zentrum der ultrarechten
Uribe-Clique, die ihrem Ärger über die Regierung Duque Luft machten. Auch in
anderen traditionell konservativen Städten setzt sich der Niedergang der
Rechten fort, nachdem diese bei den Kommunalwahlen am 27. Oktober bereits in
sämtlichen Großstädten, unter anderem Bogota, Medellin, Cali und Cartagena,
Niederlagen erlitten hatten.
Repression und Massaker: Der
schmutzige Krieg
Die
Antwort der Regierung auf die Proteste folgte umgehend: Die Mobilisierung der
Armee, das Ausweiten der Befugnisse der Polizei und die Schließung der Grenzen
waren die Vorboten der brutalen Szenen, die sich, von den Protestierenden
gefilmt, rasend in den sozialen Netzwerken verbreiteten. Im Gegenzug nutzten
die bürgerlichen Medien chaotische Situationen, die von Polizeiagenten
provoziert wurden, um die Ausgangssperre in der Hauptstadt und die
rücksichtslose Räumung des Plaza de Bolívar zu rechtfertigen.
Trotz
der grenzenlosen Repression zu Beginn des Streiks folgten auch in den nächsten
Tagen massive Demonstrationen, bei denen mit Töpfe und Pfannen Krach gemacht
wurde, um gegen die Polizeieinsätze zu protestieren. Ohne konkrete Führung
bildeten sich in vielen Nachbarschaften der Großstädte Komitees, die
Bürgerwehren organisierten, um die Patrouillen der Polizei in Schach zu halten.
Unbewusst hat der kolumbianische Staat mit seiner langen Geschichte von
Massakern und schmutziger Kriegsführung gegen die eigene Bevölkerung so die
Selbstorganisation der Streikbewegung befeuert.
Entgegen
der Annahme der Regierung hat weder die Ausgangssperre in Bogotá, noch die
Terrorkampagne, die bisher 4 Todesopfer und hunderte Verletzte forderte, die
Bewegung gespalten. Stattdessen haben die Misshandlungen durch die
militarisierten Polizei der ESMAD auch die skeptischeren Teile der Bevölkerung
dazu gebracht, an den Mobilisierungen teilzunehmen.
Diese
Art der Repression ist keine neue Erfahrung für die Kolumbianer. Seit dem die
kolumbianischen Sicherheitskräfte in den letzten Jahrzehnten zum
Lieblingskettenhund des US-Imperialismus in der Region aufgestiegen sind,
dienten der Guerillakampf durch die FARC und der Drogenschmuggel zum Vorwand
für die Bourgeoisie den Staat zu militarisieren. Mit Unterstützung von CIA und
State Department wurden die Armee und ultrarechte Paramilitärs gestärkt und
elementare demokratische Rechte der Bevölkerung mit Füßen getreten. In mehr als
vier Jahrzenten wurde ein Terrorsystem errichtet, dass in eine echte politische
Diktatur geführt hat, ohne dass die Oligarchen die konstitutionelle Maske fallen
lassen mussten. Die Erinnerungen an die Massaker Mitte der Achtziger Jahre an
mehr als 3.500 Mitgliedern der Patriotischen Union, die von bewaffneten Banden
der Großgrundbesitzern ermordet wurden ist auch heute noch lebendig. Der
Höhepunkt dieser Entwicklung war die Machtergreifung des ultrarechten
Präsidenten Alvaro Uribe, der als Gouverneur von Antioquia eng mit
paramilitärischen Todesschwadronen kooperiert hatte. Diese Gruppen, die sich in
den Autodefensas Unidas de Colombia zusammengeschlossen hatten ermordeten in
den 15 Jahren ihres Bestehens zwischen 15.000 und 25.000 Menschen.
Das bekannteste Beispiel der Allmacht der Sicherheitsbehörden der letzten Jahre waren der Skandal um sogenannte „False Positives“. Militärs auf verschiedenen Ebenen entführten und töteten in nur drei Jahren etwa 4.500 junge Erwachsene, um sie den Medien als Guerillakämpfer zu präsentieren und so Erfolge im Bürgerkrieg vorzutäuschen.
Die
Repression ist, als Kampf gegen die Linke, die Fortführung der neoliberalen
Politik gegen die Arbeiter. Ein Blick auf die Zahlen, die von der Weltbank und
der kolumbianischen Statistikbehörde veröffentlicht werden, zeigt wie tief die
Ungleichheit in der Gesellschaft verwurzelt ist. Obwohl Kolumbien ein höheres
Bruttoinlandsprodukt hat als etwa Schweden oder Belgien leben fast 30% der
Kolumbianer in Armut, die Hälfte davon von weniger als 2 Dollar am Tag.
Tausende Minderjährige sterben jedes Jahr an den Folgen von Mangelernährung
während ein Prozent der Bevölkerung über 80% des bewirtschafteten Landes
kontrollieren. Dazu kommt die strukturelle Unterentwicklung ganzer
Landesteile, in denen 2 Millionen Einwohner keinen eigenen Zugang zu
Trinkwasser und 1.700 Gemeinden keine Elektrizität haben. Auch die
Analphabetenrate ist mit 5% einer der höchsten Werte der westlichen Welt.
Der Kampf geht weiter: Hin zum
unbefristeten Streik zum Sturz Duques! Für Arbeitermacht!
Es
ist unmöglich die zukünftige Perspektive der kolumbianischen Linken zu
beurteilen, ohne ihre Geschichte zu betrachten. Der Einfluss des
Guerillakampfes, insbesondere durch die FARC im Klassenkampf kann nicht
überschätzt werden. Auch ohne die programmatischen Limitierungen ihres
Programms, das vor allem „Nationale Selbstständigkeit“ und politische Demokratie
erkämpfen will, ist klar zu sehen wie die bewaffneten Aktionen, die sich
zunehmend den Methoden des individuellen Terrorismus bedient haben, die
Guerillagruppen vom Kampf der Arbeiter und Bauern entfernt haben und den
Oligarchen einiges an Munition geliefert haben, um Repression und Verfolgung
von Aktivisten zu rechtfertigen.
Der
Friedensprozess mit dem offiziellen Ende der bewaffneten Aktivität der FARC in
den Havanna-Verträgen 2016 hat keine Lösungen für die drängenden sozialen,
ökonomischen und politischen Problemen gebracht. Die Frustration bei vielen
Kämpfern hat zur Wiederbelebung verschiedener Dissidentengruppen geführt, die
die Sackgasse des Guerillakriegs weiter führen möchten. Gerade die
Massenmobilisierung des Generalstreiks zeigt, welche Methoden tatsächlich dazu
geeignet sind die Oligarchie zu besiegen und die Gesellschaft anhand eines
sozialistischen Programms zu reformieren.
Die
Tatsache, dass der Kampf der letzten Tage die kolumbianische Bourgeoisie härter
getroffen hat als 60 Jahre Guerillakampf bestätigt die Politik eines echten
revolutionären Marxismus.
Lenin
sagte zur Frage des Terrorismus: „Wir meinen, dass ein ganzes Hundert
Zarenmorde nie eine so aufrüttelnde und erzieherische Wirkung ausüben kann wie
diese einzige Beteiligung von Zehntausenden Arbeitern an Versammlungen, in
denen ihre lebenswichtigen Interessen und der Zusammenhang der Politik mit
diesen Interessen besprochen werden – wie diese Teilnahme am Kampf, durch den
wirklich neue und noch „unberührte“
Schichten des Proletariats zu bewussterem Leben, zu breiterem revolutionären
Kampf erweckt werden.“[1]
Der
historische Aufstand beleuchtet auch die tiefe politische Polarisierung der
kolumbianischen Gesellschaft, deren erste Hinweise die großen Wahlerfolge von
Gustavo Petro und Colombia Humana in den Präsidentschaftswahlen von 2018 und
den lokalen Wahlen im Oktober.
Trotz
der Abwesenheit einer klaren und konsistenten revolutionären Führung haben die
kolumbianischen Massen in den letzten Jahrzehnten große qualitative und
quantitative Fortschritte gemacht und ihr riesiges Potential und ihre
Entschlossenheit im Kampf gegen den Kapitalismus gezeigt. In diesem kritischen
Moment ist es unumgänglich, dass die Avantgarde der Streikenden ein konkretes
Programm zum Sturz von Duque und der Rücknahme sämtlicher neoliberaler Reformen
der letzten Jahre entwickelt. Um diese Ziele zu erreichen wird es nötig sein,
die Gewerkschaftsführer durch Aktionen der Basis zu zwingen, den unbefristeten
Streik zu unterstützen und demokratische Volksversammlungen aufzubauen, die in
den Städten und Dörfern die Selbstverteidigung und Mobilisierung in die Hand
nehmen. Auf dieser Grundlage müssen die nationalen Probleme angegangen werden:
·
Enteignung der
Großgrundbesitzer, die Verstaatlichung und Verteilung des Bodens an
Kleinbauern
·
ein Ende der sozial
Gegenreformen, statt dessen die Einführung eines lebenswürdigen Mindestlohns,
Renten- und Bildungssystems.
·
Vollständige Nationalisierung
der Ölwirtschaft, Banken und Monopolindustrien unter Arbeiterkontrolle
·
Sofortige Auflösung der US-Basen
im Land
·
Freiheit für alle politischen
Gefangenen und Auflösung der paramilitärischen Banden und der ESMAD
·
Bestrafung derjenigen, die für
die schmutzige Kriegsführung und den Terror gegen das eigene Volk
verantwortlich sind
Der
Fortschritt, den der Teilsieg des Paro Agrario 2013 gebracht hat, hat eine
Phase der Polarisierung gebracht, deren Früchte in den letzten Tagen von der
Streikbewegung geerntet wurden. Der offene Klassenkampf in Kolumbien ist Teil
der revolutionären Welle, die ganz Lateinamerika erfasst hat. Die unterdrückten
Kolumbianer haben ihre Entschlossenheit gezeigt, das ausbeuterische System der
Oligarchenherrschaft zu stürzen. Dafür braucht es eine entschlossene Führung –
eine revolutionäre marxistische Partei.
Nieder mit Duque! Für ein
sozialistisches Kolumbien und die sozialistische Föderation der Republiken
Lateinamerikas!
Tritt ein in die Reihen der
Internationalen Revolutionären Linken!
[1]
W. I. Lenin: „Neue
Ereignisse und alte Fragen“,
erschienen in der Iskra am 01.
Dezember 1902, Lenin-Werke, Band 6, S. 271.