Fernando Setién, Esquerra Revolucionària Barcelona (Katalonien)
Veröffentlicht auf Spanisch am 7. Januar 2019
Der Klassenkampf in Frankreich ist weiter in vollem Gange.
Das Jahr beginnt mit der Einberufung von zwei neuen Demonstrationstagen durch
die CGT und andere Gewerkschaften am 9. und 11. Januar und mit der Lähmung
eines strategisch wichtigen Sektors - der Raffinerien - vom 7. bis 10. Januar.
Ein Monat nach dem erfolgreichen Generalstreik vom 5. Dezember, der das Land
lähmte und etwa anderthalb Millionen Demonstranten auf die Straße brachte, hat
die Stärke der Arbeiterklasse – die entschlossen ist, die Rentengegenreform der
Regierung Macron zurückzuschlagen – die Gewerkschaftsführer gezwungen, weit
über ihre ursprünglichen Pläne hinauszugehen und diese Streikbewegung zu der
längsten seit 1985 gemacht. Eine Bewegung, die durch den Generalstreik eine
kämpferische Einheit zwischen Gelbwesten und Gewerkschaftsbewegung erreicht
hat; die sich durch die führende Rolle der Betriebsversammlungen in den
Entscheidungen über die Ausweitung des Kampfes auszeichnet; die mit den Streiks
im Verkehrswesen sowohl den öffentlichen als auch den privaten Sektor betrifft
und neue Schichten in die unbefristeten Streiks und Demonstrationen einbezieht;
die eine massive soziale Unterstützung erreicht – 61% der Franzosen
unterstützen die Streiks und 75% lehnen die Inhalte von Macrons Rede zum
Jahresende ab -; die sich in einem historischen Widerstandsfond materialisiert,
der in nur einem Monat 1,6 Millionen Euro aufbringen konnte; eine Bewegung, die
die Möglichkeit hat, Macron und seine Regierung zu stürzen und zu einem
Bezugspunkt für die Arbeiterbewegung in ganz Europa zu werden.
Die Rentengegenreform - ein Wendepunkt
Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise hat die französische
Bourgeoisie einen Frontalangriff auf die Arbeiterklasse gestartet, die mit
heftigen Streiks und Generalstreiks reagiert hat, die in den letzten zehn
Jahren die aufeinanderfolgenden Regierungen in tiefe politische Krisen gestürzt
und die Karrieren mehrerer ihrer Führer zerstört hat. In diesem Kontext
markiert der am 5. Dezember begonnene Streik einen Wendepunkt.
Die Rentenreform ist eines der historischen Ziele der
französischen Bourgeoisie, an dem sich diese unter Chirac in den 1990er Jahren
und dann unter Sarkozy im Jahr 2012 versucht hat. Bei dieser Gelegenheit will
Macron die 42 bestehenden Beitragstranchen vereinheitlichen und nach unten
ausgleichen sowie das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre erhöhen. In
einer Präsentation von Zynismus und Arroganz stellt er diese Reform als „fair“
dar, aber die Realität ist, dass nicht einmal die Bescheidensten die Erhöhung
ihrer Renten sehen werden. Die Sektoren, die als Ergebnis eines
jahrzehntelangen Kampfes ein Rentensystem mit besseren Bedingungen haben,
werden zusehen können, wie diese zerfallen und nach der Pensionierung die
Folgen spüren.
Die Ankündigung der Einführung Anfang 2020 löste bei der
Arbeiterklasse Ärger aus. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass die
Eindringlichkeit und die Massivität, mit der die Arbeiterinnen und Arbeiter
reagierten, nicht nur eine Folge dieser einen Maßnahme ist, sondern vor allem
aus einer seit langem angehäuften enormen Unzufriedenheit resultiert.
In knapp zwei Jahren wurden unter der Regierung Emanuel
Macrons die Besteuerung des Kapitals auf 30% begrenzt und die auf die Reichsten
gerichtete „Fortune Solidarity Tax“ (ISF) abgeschafft. Gleichzeitig stiegen die
Mieten zwischen 2005 und 2015 um 50% und die Immobilienpreise schnellten
zwischen 2010 und 2018 in die Höhe. Ein Anstieg, unter dem die ärmsten Familien
in den Arbeitervierteln zu leiden haben. Hinzu kommt die Ausbreitung prekärer
Arbeitsverhältnisse und von Entlassungen oder das Einfrieren von Renten und
Kürzungen der Arbeitslosenunterstützung. Zum Thema Arbeit genehmigte Macron
2018 eine Änderung des EREs, die die Entlassung eines Teils der Belegschaft
eines Unternehmens ermöglicht, wenn die Mehrheit der Gewerkschaftsvertreter
zustimmt, wodurch frühere Kontrollen und Abfindungen abgeschafft werden. Nach
dieser Genehmigung entließen Giganten wie Peugeot und Société Générale 1.300
bzw. 900 Beschäftigte. In diesem Kontext war die Ankündigung der Rentenreform
der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Die Massenstreiks vom 5. und 17. Dezember
Die Notwendigkeit, alle Sektoren in einem großen
Generalstreik zusammenzubringen, fand ihren Ausdruck in einem Aufschrei der
Arbeiter. Die massive Beteiligung und die Kontinuität, die dieser Kampf hat,
zeigen die Stimmung und die Bereitschaft der Arbeiter, den Weg bis zum Ende zu
gehen.
Die Reaktion auf den Streikaufruf war absolut historisch. Es
wird geschätzt, dass etwa 1,5 Millionen Arbeiter an den mehr als 250
Demonstrationen im ganzen Land teilnahmen, wobei besonders der Verkehrssektor
mit einer 90 prozentigen Lähmung des Bahnbetriebes hervorzuheben ist. Die
Beschäftigten des öffentlichen Verkehrs hatten bereits angekündigt, dass der 5.
Dezember der Ausgangspunkt für
einen unbefristeten Streik sein würde,
der auch einen Monat später noch anhält. Auch im privaten Sektor konnten wir
große Auswirkungen sehen. Vor allem die Raffineriearbeiter bildeten die
Speerspitze und stellten die Produktion beinahe zu 100% ein.
Der Erfolg des Aufrufs und das enorme Gefühl der Stärke, das die Arbeiterinnen und Arbeiter
empfinden, hat die Führer
gezwungen, den Streik in praktisch allen Sektoren fortzusetzen und zwar so
sehr, dass die Beteiligung am Streik vom 17. Dezember sogar noch größer war und
die Anzahl der Sektoren, die auf Versammlungen entschieden, sich dem
unbefristeten Streik anzuschließen, zunahm.
Der Auftritt von Premierminister Èdouard Philippe am 11.
Dezember, der einige Änderungen und die Eröffnung eines Dialogtisches zur
Erzielung einer Einigung ankündigte,
hatte nicht nur nicht die erhoffte demobilisierende Wirkung, sondern führte auch dazu, dass sich die
CFDT - die wichtigste Gewerkschaft, die sich nicht an den Streikaufrufen
beteiligt hatte - schließlich gegen eine Anhebung des Rentenalters auf 64 Jahre
aussprach.
Nieder mit der Regierung von Macron!
Alle Pläne der Regierung Macron, die darauf gezielt haben,
den Kampf zu ersticken, sind gescheitert. Die demagogische Ankündigung, seine lebenslange Rente als
Staatsoberhaupt aufzugeben, hat niemanden befriedigt und den verzweifelten Ruf
nach einem "Weihnachtsfrieden" haben die Arbeiter erneut an die Wand
geschlagen. Am Weihnachtstag verkehrten nur 4 von 10 Zügen in Frankreich und von den 16 Linien der
Pariser U-Bahn waren nur zwei geöffnet. Darüber hinaus haben die Beschäftigten der
Energiegewerkschaft CGT mehreren der großen börsennotierten Unternehmen den
Strom abgestellt und in fünf
Raffinerien beschlossen sie am 26., 27. und 28. Dezember einen Gesamtstreik,
der die Lieferung von Treibstoff blockiert hat und die Tätigkeit der Häfen
beeinträchtigte, in denen sich Hafenarbeiter dem Streik anschlossen.
Doch damit nicht genug! Das Kommuniqué, welches von den
Arbeitern der Pariser U-Bahnen und der Eisenbahnen des Pariser Raums
verabschiedet wurde, ist nicht nur in Bezug auf die Regierung, sondern auch in
Bezug auf die Gewerkschaftsführer sehr eindringlich: „Nachdem sie demonstriert
haben, dass es keinen Waffenstillstand geben wird, will die Basis die
Verallgemeinerung des Streiks“. In die gleiche Richtung geht das Kommuniqué der CGT-Verbände für Eisenbahn, Verkehr, Energie
und Chemie, das Macron warnt: „Wenn der Premierminister darauf besteht zu
bekräftigen, dass das Land nicht blockiert ist, werden die Arbeiter des
öffentlichen und privaten Sektors die Schlussfolgerung ziehen, dass sie die
Mobilisierungen verdoppeln, die Streikaufrufe in allen Unternehmen
vervielfachen und das Niveau ihrer Aktionen noch weiter erhöhen müssen".
Macron weiß sehr wohl, dass die Möglichkeit einer Einigung
heute noch in weiter Ferne liegt. Die Gewerkschaftsführer haben keine andere Wahl, als die vollständige
Rücknahme des Plans zu fordern
und den Streik fortzusetzen. Der Druck von unten ist enorm. Der Generalsekretär
der CGT, Philippe Martinez, erklärte zu Beginn des Jahres 2020: "Überall
sind mehr Streiks notwendig" und forderte eine Raffinerie-Blockade am 7.
und 10. Januar, um mehr Druck auszuüben.
Große Demonstrationen werden für
den 9. und 11. Januar erwartet, kurz bevor diese Reform im Ministerrat
diskutiert und im Februar in die Nationalversammlung gebracht wird.
Die schlimmsten Befürchtungen
der Bourgeoisie gehen in Erfüllung.
Eine Niederlage von Macron wäre eine Katastrophe für die Kapitalisten: Sie würde nicht nur das Ende der Regierung bedeuten,
sondern, was noch wichtiger ist, sie wäre ein historischer Sieg der
Arbeiterklasse, der neue Möglichkeiten eröffnen würde.
Die Voraussetzungen für einen solchen Sieg sind gegeben. Die
Gewerkschaftsführer können die Regierung nicht länger stützen; ihr Sturz muss
auf dem Plan stehen. Die CGT-Führung steht in der Verantwortung dafür und es
wird nicht ausreichen zu sagen, dass „mehr Streiks notwendig sind“.