Wir brauchen eine marxistische Alternative im Kampf um Sozialismus!
Katharina Doll, Offensiv (Hamburg)
Veröffentlicht online am 13.07.2019
Veröffentlicht online am 13.07.2019
Die Merkel-Ära neigt sich dem Ende
zu. Dieses Ende ist gezeichnet von wachsender Instabilität und einem Aufschwung der
Klassenkämpfe in Deutschland. Die großen Parteien des bürgerlichen
Establishments nach dem Zweiten Weltkrieg verlieren an Einfluss, die politische
Polarisierung nimmt zu. Die CDU/CSU hat in den vergangenen Europawahlen im
Vergleich zu 2014 fast 8 Prozent verloren, die SPD mehr als 12. Gleichzeitig
kam es verstärkt zu Massenmobilisierungen und einer schrittweisen Zunahme betrieblicher
Kämpfe.
Die politische Polarisierung in
Deutschland ist Ausdruck der Entfremdung von einem politischen System, in dem
ökonomische Polarisierung und Ungleichheit immer weiter angewachsen sind – sei es
durch den Generalangriff Hartz IV oder durch die drastische Ausweitung der
Leiharbeit, der Anhebung des Rentenalters auf 67, der schrittweisen „Flexibilisierung“
des Rentensystems und zahlreichen Privatisierungen. Dazu kommen andere
Probleme, wie die nahende Klimakatastrophe, die in den Grenzen des bestehenden
Systems nicht zu lösen sind.
Neue Bewegungen wachsen, die an
Pfeilern der kapitalistischen Ordnung zu rütteln beginnen. In der Bewegung für mehr Personal
im Krankenhaus wird die Verstaatlichung des Gesundheitswesens gefordert. Dass
der private Wohnungsmarkt seit Jahren hohe Profite für private Eigner schafft,
aber keinen leistbaren Wohnraum für die Mehrheit der Arbeiterklasse, ist die
Grundlage für die Bewegung zur Enteignung des Immobilienriesen „Deutsche
Wohnen“ in Berlin.
Das Kevin Kühnert-Phänomen
Das ist
der soziale Boden, auf dem der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert Gehör findet. Am ersten Mai gab Kühnert ein
Interview, in dem er für die Enteignung von Großkonzernen wie BMW eintrat und
so die größte Debatte über Sozialismus seit vielen Jahren losgetreten hat.
Dieses Interview ist nicht Ausdruck einer wirklich marxistischen Positionierung
durch Kühnert, sondern der sozialen Polarisierung innerhalb der Gesellschaft
und der Radikalisierung bestimmter Schichten.
Kühnert
steht heute wie kein anderer für den Versuch einer „linken Erneuerung“ der SPD.
Aber die SPD ist alles andere als eine Kühnert-Partei. Kampagnen wie
„#SPDerneuern“, die sich in der SPD für einen Wandel einsetzen, sind personell
schwach und politisch moderat. Auch wirken starke Kräfte in der SPD, die selbst
den Tod der eigenen Partei dem Aufstieg eines deutschen Jeremy Corbyn vorziehen
würden. Schon jetzt haben rechte
SPD-Politiker eine Initiative ins Leben gerufen, um eine Linkswende ihrer
Partei zu verhindern.
So sieht
es ganz danach aus, als würde die SPD ihren historischen Denkzettel dafür
bekommen, seit Jahren die Kraft zu sein, die Merkel und ihre Regierung an der
Macht gehalten, die Sparpolitik der deutschen Bourgeoisie durchgesetzt und so
ihre Autorität in der deutschen Arbeiterklasse – besonders ihrer Jugend – immer
weiter untergraben hat.
DIE LINKE
Katja
Kipping, Vorsitzende der Partei DIE LINKE, bezeichnete Kühnerts Äußerungen zu
Enteignungen und Sozialismus als „sehr weitgehend“, statt an der
Enteignungsfrage eine mutige und konsequente Haltung einzunehmen.
In der
Europawahl fiel DIE LINKE vor allem dadurch auf, dass sie zu eigentlich keiner
gesellschaftlichen Frage mehr Profil aufwies, als irgendwie für ein sozialeres
und ökologisches Europa einzutreten. Doch unsere Köpfe sind abgenutzt von
leeren Phrasen, kaum unterscheidbaren Parteien und Versprechungen auf kleinste
Reförmchen, die am Ende nicht eingehalten werden. Und so bescherte ihr Kurs der
LINKEN eine Wahlschlappe von 5,5 Prozent – in einer Situation des massiven
Zurückweichens der SPD, die mehr als 2 Millionen Stimmen verlor! Das war das
historisch niedrigste Ergebnis der LINKEN bei den Europawahlen und zeigt ihre
Unfähigkeit, die Unzufriedenheit potenziell linker Wählerschaften zu
kanalisieren.
Trotz dem
Misstrauensvotum an LINKE und SPD wirbt Kipping im Nachklang der Europawahl
erneut für ein Regierungsbündnis mit SPD und Grünen im Bund. In dieser Position
würde DIE LINKE all die bürgerliche Politik der Armutsverwaltung, Kürzungen,
Kriegstreiberei usw. in der Regierung mittragen würde, genauso wie SPD und
Grüne das heute tun.
In Bremen wurde nun als erstes West-Bundesland
eine rot-rot-grüne Regierung gebildet. Die SPD, die dort seit 73 Jahren den
Bürgermeister stellt, hat schon im Wahlkampf Kürzungen angekündigt und ist
jetzt auf ein historisches Stimmtief gefallen. Anders als manche in der LINKEN
es behaupten, ist es offensichtlich, dass man nicht von einer allgemeinen Begeisterung
der einfachen Bevölkerung für eine SPD-geführte rot-grüne oder R2G-Regierung
sprechen kann.
Die Politiker der LINKEN, die sich an den Verhandlungen beteiligt haben,
präsentieren jetzt stolz die wenigen Reformen die sie erreicht haben, wie kostenfreie
Zugfahrten für Kinder armer Familien oder Legalisierungsprogramme für
Papierlose. Gleichzeitig müssen sie aber jetzt schon zugeben, dass alles was
verhandelt wurde unter Finanzierungsvorbehalt steht und jederzeit zurückgezogen
werden kann. Auch wurde die Politik der schwarzen Null – die faktisch einen
rigiden Sparkurs bedeutet – vollständig von den Delegierten der LINKEN akzeptiert.
So wird die LINKE, die klar als ein Arm des Establishments auftritt anstatt für
eine wirkliche Veränderung der Gesellschaft zu kämpfen, über lange Frist weitere
Desillusionierung in den Reihen der
Arbeiterklasse sähen.
Die AfD konsolidiert ihren politischen Einfluss
Einer der Sieger der Europawahl war die AfD, die
11% (4,1 Millionen) der Stimmen erhielt, 2 Millionen mehr als bei den Europawahlen
2014, aber etwas weniger als bei den Bundestagswahlen 2017 (12,6% bzw. fast 6
Millionen Stimmen). Allgemein konnten sie ihre starke politische Unterstützung jedoch
halten und wurden in Brandenburg und Sachsen was die Wählerstimmen betrifft stärkste
Partei.
Die AfD trat mit dem Slogan „Geht’s noch Brüssel?“
mit einem klaren und populistischen Anti-EU-Profil. Aber die AfD ist nach wie
vor alles andere als eine „Partei der kleinen Leute“! In ihrem
90-Sekunden-Werbespot orientiert sie auf den deutschen Mittelstand und kleine
Unternehmen. Die AfD macht Politik im Interesse der Banken und Konzerne. Eine
Stimme für sie aus den Reihen der Arbeiterklasse ist eine Stimme der Resignation und
Passivität.
Aufstieg der Grünen: Vakuum auf der politischen Linken
Das starke Stimmergebnis für die Grünen war auch
Ausdruck einer verstärkten Berichterstattung zum Klimawandel. Es reicht aber
nicht, den Aufstieg der Grünen allein mit Greta Thunberg und Fridays for Future
zu erklären. In dieser Wahl wählten auch vermehrt junge Arbeiterinnen und
Arbeiter die Grünen, um ihre Stimme gegen die reaktionäre AfD abzugeben. Die
Grünen erhielten 4,5 Millionen Stimmen mehr als noch bei der Wahl 2014, viel
mehr als SPD und LINKE gemeinsam verloren hatten. Das haben sie auch einer
gestiegenen Wahlbeteiligung zu verdanken (14,4% mehr als 2014).
Aber die grüne Partei, die kapitalistische Politik
mit grünem Anstrich macht und für die Kürzungspolitik mitverantwortlich ist,
ist keine Alternative. Sie ist nichts anderes als der grün angestrichene
Macron, und will jetzt eine CO2-Steuer vergleichbar mit der in Frankreich
geplanten „Öko-Steuer“ einführen, die vor allem Arbeitern und Armen schaden und
an der Umweltzerstörung durch die kapitalistische Wirtschaftsordnung rein gar
nichts ändern wird.
Wahlen sind nur ein verzerrter Ausdruck des
allgemeinen Bewusstseins. 40% der deutschen Bevölkerung – vor allem ärmere
Schichten der Gesellschaft – haben nicht gewählt. Und was in diesen Wahlen am
meisten aufgefallen ist, ist die Abwesenheit einer Partei, die die
Arbeiterklasse an einem radikalen sozialen Programm eint und den etablierten
Parteienbrei von links herausfordert. Denn wann wenn nicht jetzt ist die Zeit
für offensive Kampagnen zur Arbeitszeitverkürzung, für einen Kampf um
Enteignungen und Verstaatlichungen, gegen eine EU der Banken und Konzerne und
für eine sozialistische Welt.
Für mehr Personal und radikale Arbeitszeitverkürzung! Für Enteignungen und Verstaatlichungen der Schlüsselindustrien und Banken!
Wir brauchen eine sozialistische Partei, auch um
für die derzeitigen gewerkschaftlichen Kämpfe Solidarität von unten zu
organisieren und sie mit allgemeinen politischen Kampagnen zu begleiten. Denn
politische Massendemonstrationen sind nicht genug, um einen fundamentalen
Wandel zu erreichen. Es ist die arbeitende Bevölkerung, die in den Betrieben am
längsten Hebel sitzt.
Gleichzeitig haben Jahre des relativen „Klassenfriedens“
dafür gesorgt, dass in deutschen Gewerkschaften der bürokratische Filz angewachsen
ist, der durch neue Kämpfe durchbrochen werden muss. Das zeigt unter anderem
die #fairwandel-Kampagne der IG Metall. Die Warnstreiks im Metallbereich Anfang
letzten Jahres haben deutlich gezeigt, welches Potenzial es in den
Belegschaften für einen entschlossenen Kampf um Arbeitszeitverkürzung gäbe.
Statt auf diese Kraft zu bauen, und für eine Arbeitszeit von 30 Stunden bei
vollem Lohn- und Personalausgleich zu kämpfen, setzt die IG Metall-Führung auf
Co-Management und gemeinsame Konferenzen mit den Konzernchefs.
Mit dieser Politik haben sie den Kampf in einem
sehr frühen Stadium unterbrochen und sich geweigert, die Kraft der Arbeiter zu
nutzen. Sie haben stattdessen eine Einigung unterschrieben, die zwar kürzere
Arbeitszeiten für eine beschränkte Zahl an Arbeitern möglich macht.
Gleichzeitig wurde aber für die Bosse der Metallindustrie die Möglichkeit
ausgeweitet, noch mehr Kollegen mit 40-Stunden-Verträgen anzustellen. Das
untergräbt frühere Errungenschaften im Metallsektor, verschlechtert die
Arbeitsbedingungen für prekäre Schichten weiter und verstärkt die Spaltung der
Belegschaften.
Gleichzeitig bietet das Themenfeld der „Digitalisierung“
und des ökologischen Wandels die perfekte Grundlage, um für die Verstaatlichung
der Schlüsselindustrien und Banken unter demokratischer Kontrolle und
Verwaltung der Kollegen zu kämpfen. Dabei werden uns die Bosse nicht helfen. Wie
wir sehen nutzen sie die Argumente „Digitalisierung“ und „ökologischer Wandel“
nur als Begründung für zukünftige Entlassungen und Kürzungen. Wie der
Dieselskandal deutlich gezeigt hat, kann nur eine auch auf dem Gebiet der
Wirtschaft demokratisch organisierte Gesellschaft auch nach den Bedürfnissen
von Mensch und Natur organisiert werden, statt für die Profite. Deshalb müssen
wir marxistische Kräfte aufbauen und gemeinsam kämpfen: für eine revolutionäre
Veränderung der Gesellschaft, die Abschaffung der Klassengesellschaft und die Machtergreifung der Arbeiterklasse!