Corona und der „Globalismus“: Was der Kapitalismus damit zu tun hat




Katharina Doll, Offensiv Hamburg

Als Reaktion auf den Corona-Virus haben die chinesischen Behörden 13 Städte in der Provinz Hubei unter Quarantäne gestellt. Etwa 50-60 Millionen sind davon betroffen. 170 Virustote und mehr als 7.000 Infizierte wurden bisher registriert. Es wird vermutet, dass Fledermäuse der Ursprung des Virus waren, der dann durch den Kontakt zu bestimmten Schlangenarten die ersten Patienten auf dem Markt für Meerestiere in Wuhan infiziert hat.

Die internationalen Katastrophenmeldungen über Corona haben jeden Sinn für Proportionen verloren und rassistischen Kommentatoren Auftrieb verschafft. Sie beschweren sich über asiatische Essgewohnheiten, fordern Einreiseverbote für Chinesen und striktere Grenzkontrollen.

„Der Wuhan Virus verbreitet sich rasend schnell. Offene Grenzen bedeuten auch offene Grenzen für Viren“ twittert Martin Sellner, Führungsfigur der rechten Identitären Bewegung in Österreich. „Sellner hat Recht, durch die Globalisierung und das uneingeschränkte Reisen verbreiten sich die Epidemien schneller – wie in der Vergangenheit (z.B. die Pest)“ twittert einer seiner Unterstützer namens „MC Nierenversagen“.



Andere Medien, wie die rechte Onlineplattform „The Epoch Times“, machen die Belt and Road Initiative (die dem US-Imperialismus ein Dorn im Auge ist) für die Verbreitung des Virus verantwortlich.[1] Nutzen tut das den westlichen Mächten, die über den wachsenden wirtschaftlichen Einfluss Chinas besorgt sind. Deshalb steigen nun auch bürgerliche Blätter in die chinafeindliche Hetze ein. „Corona-Virus Made in China: Wenn Globalisierung zur tödlichen Gefahr wird“ titelt der gestrige Spiegel.



Ursache für die Verbreitung von Viren

Die Verbreitung von Viren ist in erster Linie keine Frage von Essgewohnheiten, sondern von Lebens- und Arbeitsbedingungen. Auf dem Markt in Wuhan haben sich einfache Arbeiter um den Verkauf gekümmert – kaum ausgestattet mit Schutzkleidung und den entsprechenden Hygienevorkehrungen. Viele verschiedene Tierarten wurden auf geringstem Raum in engen Käfigen gehalten – die perfekte Brutstätte für Viren und andere Krankheiten.

Neben der Lebensmittelproduktion sind die Lebensbedingungen der einfachen Bevölkerung wichtig für die Eindämmung von Keimen. Gedrängte Wohnflächen und schlechte hygienische Zustände beschleunigen die Verbreitung von Viren – sichere und saubere Wohn- und Arbeitsverhältnisse würden dem entgegenwirken. Und ein gut ausgestattetes Gesundheitswesen. In China kommen auf rund 1.000 Personen nur 4.2 Krankenhausbetten.

Ein „asiatisches Problem“?

Diese Probleme sind keine „asiatischen Probleme“, sondern eine Frage sozialer Verhältnisse. Zwar gibt es in Deutschland 8.3 Betten pro 1.000 Einwohner. In Japan hingegen sind es 13.4, 13.2 in Nordkorea und nur 2.9 in den USA und 2.8 in Großbritannien – und das trotz deutlich geringerer Einwohnerzahl und Landfläche. Auch wäre es dem deutschen Staat – anders als dem chinesischen – nicht möglich, in wenigen Tagen ein Krankenhaus zu bauen, da der chinesische Staat nach wie vor über weitreichendere Kontrolle über die Wirtschaft verfügt.

Auch das Problem der Keimverbreitung in der Massentierhaltung ist in Deutschland bekannt. Großkonzerne im Agrarbereich, subventioniert durch die EU, geben ihren Tierbeständen massenweise Antibiotika, um Krankheiten einzudämmen. Darum hat sich u.a. das Auftreten des multiresistenten Keims MRSA seit 1992 verzehnfacht. Schätzungen sprechen von über 132.000 MRSA-Nachweisen in Deutschland und etwa 25.000 Todesfällen durch antibiotikaresistente Keime pro Jahr in der EU.[2] In der Säuglingsstation des Klinikums Bremen-Mitte kam es 2011 und 2012 wiederholt zum Tod mehrerer Frühgeborener durch multiresistente ESBL-Erreger, die sich vor allem durch den Antibiotikaeinsatz in der Tiermast entwickeln.

Globalisierung

Das Problem heißt nicht „Globalismus“, sondern Kapitalismus! Mit dem Voranschreiten der Industrialisierung wurden zehntausende Chemikalien neu entwickelt und zur Profitmaximierung größtenteils unkontrolliert in die Umwelt freigesetzt. Auch heute noch tun Großkonzerne alles dafür, dass Umweltstandards weltweit herabgesetzt werden und auch die Wissenschaft von Konzerninteressen beeinflusst wird.[3]
Der Imperialismus verschärft das Problem von Verschmutzung und Epidemien, indem er Bevölkerungsballung und soziale Sparprogramme fördert und die einheimische Produktion zerstört. Projekte der „Entwicklungshilfe“ auch im Bereich der Epidemiebekämpfung werden oft durch medizinisches Personal der westlichen Armeen ausgeführt und sind oft verbunden mit Aufforderungen zu Privatisierungen im öffentlichen Sektor, die die Engpässe und Profitorientierung im Gesundheitssystem verstärken.
Subventioniertes Billigfleisch aus Deutschland, Spekulationen und andere soziale Verbrechen zerstören die Landwirtschaft in ärmeren Ländern. Sie sind der Grund, warum Landarbeiter in die Großstädte getrieben werden und dort sogenannte „mega cities“ entstehen. Dadurch wurden neue chronische Massenkrankheiten zur internationalen Erscheinung.
Die „Globalisierung“ der 80er-Jahre war nicht im Interesse ärmerer Länder, sondern ein Elitenprojekt im Kampf der Banken und Konzerne um die Aufteilung des Planeten – gegen den Widerstand sozialer Bewegungen in etlichen Ländern.[4] Ihre Grundlage waren die objektiven Bedingungen des modernen Kapitalismus, in dem sich multinationale Monopolkonzerne über den ganzen Planeten erstrecken. Für die Herrschenden dieser wirtschaftlichen Ordnung bedeuten „offene Grenzen“ immer zuerst offene Grenzen für Banken und Konzerne, um die arbeitende Bevölkerung anderer Länder und ihre natürlichen Ressourcen auszubeuten.
So wurden die optimalen Bedingungen geschaffen, Umweltgifte zu verbreiten und dass neue, multiresistente Keime über den ganzen Planeten gestreut werden. Ein Beispiel: Nahezu alle großen deutschen Pharmakonzerne schütten in ihren Fabriken im indischen Hyderabad bei der Produktion von Pilzen und Antibiotika unzureichend gereinigte Abwässer in die Flüsse. Sie züchten so, gegen Antibiotika resistente Keime heran, die neuartige Infektionen hervorbringen und sich über die ganze Welt verbreiten können.

Lösung Abschottung und Nationalstaat?

Der multinationale Charakter des modernen Kapitalismus kann nicht einfach zurückgedreht werden zu einem frühkapitalistischen Stadium. Und selbst wenn: Wäre das die Lösung für die gesundheitlichen Probleme, die es heute gibt? Selbst Sellner und seine Freunde, die mit Sicherheit die ersten, die sich beschweren, dass es in der DDR weder Bananen noch Reisefreiheit gab, wollen wohl nicht wirklich die globale Ökonomie abschaffen und das Reisen verbieten.

Gerade hinsichtlich der Bekämpfung von Epidemien hält die globale, industrialisierte Produktion viele Fortschritte bereit. Ihre Ressourcen würden es erlauben, soziale Unterversorgung effektiv zu bekämpfen, die Gesundheitsstandards in allen Ländern anzuheben und auch in der medizinischen Forschung international zusammenzuarbeiten. Nur die Grenzen der kapitalistischen Privatwirtschaft und der bürgerliche Nationalstaat hemmen diesen Fortschritt.

Beispiel Ebola

Ein Beispiel hierfür ist Ebola. Der Virus, an dem zwischen 2014 und 2016 mehr als 11.000  Menschen starben, war seit 1976 bekannt. 2010 ging die Lizenz für einen Ebola-Impfstoff an den kleinen US-Konzern NewLinkGenetics. Weil der Vorstand ihn nicht als profitabel ansah, stand er im Regal, ohne, dass seine Tauglichkeit am Menschen getestet wurde. Noch im März 2014 erklärte die WHO an der Seite des Pharma-Riesen GlaxoSmithKline, dass sich die Herstellung eines Ebola-Impfstoffs nicht lohnen würde.[5] Von den 1.500 neuen Medikamenten, die zwischen 1875 und 2004 auf den Markt kamen, wirken nur 10 gegen tropische Infektionen, an denen jedes Jahr Millionen sterben. Die „Kunden“ sind nicht zahlungskräftig genug.

Die Weltgesundheitsorganisation, die heute bei der Bekämpfung weltweiter Epidemien die Hauptverantwortung trägt, wird zu 80 Prozent aus privaten Spenden finanziert. Deutlich weniger öffentliche Gelder fließen in die WHO als beispielsweise in militärische Ausrüstung. Die Herstellung des Antikörperserums gegen Ebola genannt ZMapp gelang deshalb auch unter anderem durch die US-amerikanische „Defense Threat Reduction Agency“, eine Behörde des US-Verteidigungsministeriums mit einem Etat von 2.6 Milliarden US-Dollar jährlich, die unter anderem an der Entwicklung biologischer Kampfstoffe beteiligt ist, und das „National Institute of Allergy and Infectious Diseases“, dessen Vorsitzender Tony Fauci in den 80er-Jahren in die Vertuschung des Ursprungs von AIDS verwickelt war.[6]
Zivilisationskrankheit Kapitalismus: Mit Planwirtschaft bekämpfen!
Multinationale Banken und Großkonzerne haben bei der Virenbekämpfung ein grundsätzlich anderes Interesse, als einfache Arbeiter. Sie funktionieren für den Profit – wir wollen, dass Massenkrankheiten ausgerottet werden und ein gesundes und friedliches Leben bis ins hohe Alter. Das Gegenteil ist der Fall. 2017/18 gab es durch die Grippewelle in Deutschland 25.000 Tote – mehr als in den 30 Jahren zuvor.  Auch „Volkskrankheiten“ wie Krätze, Masern, Kinderlähmung und andere kommen zurück.
Anders, als es ein deutsches Sprichwort behauptet, ist der „Tod nicht gerecht“. Für die ärmsten Schichten in Wuhan ist es am wahrscheinlichsten, an Corona zu erkranken und, einmal erkrankt, daran auch zu sterben. Denn bisher ist nur gestorben, wer bereits ein schwaches Immunsystem hat. Und das sind vor allem alte Menschen und diejenigen, deren Körper von harter Arbeit früher altert. Und „arm stirbt früh“ gilt nicht nur in Wuhan, sondern überall auf der Welt.
Medizin, Gesundheit und Lebensmittel sind zentrale Bedürfnisse eines jeden Menschen . Aus diesem Grund müssen wir für das öffentliche Eigentum an den großen Pharma- und Lebensmittelkonzernen und ihre strikte demokratische Kontrolle durch die Beschäftigten und einfachen Verbraucher kämpfen.
Die private Wirtschaft versagt bei der Bekämpfung von Massenkrankheiten. Anders kann es gar nicht sein – denn sie produziert für den Profit, und nicht für das allgemeine Wohl. Ein Manager, der in der Chefetage anderes vorschlägt, ist seinen Job schnell los. Ein Beispiel: Der chinesische Vizeminister Wang Jiangping erklärte vor kurzem, die Provinz Hubei bräuchte täglich mehr als 100.000 Schutzanzüge, kann aber nur 30.000 bekommen, während private Konzerne täglich 50.000 solcher Anzüge für den Export herstellen. Das macht deutlich: Es reicht nicht, die Pharma- und Lebensmittelindustrie demokratisch zu kontrollieren. Auch die Schlüsselindustrien und alle größeren Konzerne müssen in öffentliche Hand und unter demokratische Kontrolle. Denn nur eine Wirtschaft, die nach den Bedürfnissen der einfachen Bevölkerung rational und demokratisch geplant wird, kann gesundheitliche Probleme und andere Missstände stoppen.
Wir fordern:
·       Für umfassende, kostenlose Präventionsprogramme und Zusammenfassung der Krankenkassen in eine öffentliche!
·       Verstaatlichung und demokratische Kontrolle der Pharma- und Lebensmittelindustrie. Restlose Öffnung der Bücher und exakte Aufklärung über Inhaltsstoffe und Wirkweisen!
·        Zeitarbeit abschaffen, Kündigungsschutz ausdehnen! Bedingungslose Lohnfortzahlung im Krankheitsfall!
·         Gesundheitszentren und Apotheken in jede Nachbarschaft!
·        Strikte Kontrollen von Arbeits- und Infektionsschutz durch Vertreter der Gewerkschaft, finanziert durch den Staat.
·        In betroffenen Gebieten: Nachbarschaftsversammlungen und demokratische Kontrolle der Maßnahmen zur Epidemiebekämpfung.
·       Weltweiter Kampf für die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und großen Agrarkonzerne. Umverteilung des Landes an Kleinbauern und Kooperativen in allen imperialistisch beherrschten Staaten!
·       Solidarität mit der Arbeiter- und Bauernbewegung aller Länder! Gemeinsamer Kampf um weltweiten Sozialismus!






[2] Presseinformation der ÄK Niedersachsen 25.4.2012
[3] Eine Reihenuntersuchung von 2.000 Datensätze deutscher Personen durch das Heinrich-Böll-Instituts ergab, dass 99,6% der Proben Glyphosat aufwiesen, 75% in bedenklicher Konzentration. https://www.boell.de/de/2016/03/04/glyphosat-untersuchung-75-prozent-der-deutschen-deutlich-belastet
[4] In Deutschland ist daraus unter anderem die Gruppe Attac hervorgegangen.
[5] Pharma Times vom 17. Oktober 2014
[6] Segal/Klug, AIDS ist besiegbar, S. 49 ff