»Tariflich wäre eine Verbesserung weiterhin möglich«

Interview mit Kirsten Rautenstrauch, Betriebsrätin an einem großen Hamburger Klinikum




Veröffentlicht in gekürzter Fassung in "Offensiv", Printausgabe Sept./Okt. 2019 


Kirsten, du hast den Kampf für mehr Personal in Hamburgs Krankenhäusern von Anfang an miterlebt. Wie ist gerade die Situation?

Die Volksentscheide für mehr Personal haben in Hamburg und Bayern eine Niederlage vor dem Verfassungsgericht eingefahren. Uns wurden die von Spahn eingeführten Personaluntergrenzen zum Verhängnis. Weil Spahn die bundesweit verabschiedet hat, kann auf der Landesebene laut dem Gericht nichts mehr gemacht werden. So wurden die Volksentscheide ausgehebelt. Tariflich wäre eine Verbesserung aber weiterhin möglich. 

Das zweite Argument des Hamburger Gerichts war das sogenannte "Kopplungsverbot". Wir wollten ja mehr Personal für Reinigung und Pflege, das Gericht hat argumentiert, dass wir das in unserem Volksentscheid nicht verbinden könnten, weil man meinen könnte, es ginge uns nur um den Pflegebereich.  

Unser Hamburger Bündnis heißt ja aber "Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus". Warum ist gerade das Reinigungspersonal so wichtig? 

Stell dir mal vor ein Patient verlässt nach einer Darmspiegelung sein Zimmer, die Toilette ist verschmutzt und ein neuer Patient soll das Zimmer beziehen. Wenn da nicht ordentlich gereinigt wird ist die Ansteckungsgefahr hoch und das ist auch nicht schön. 

Vor der gerichtlichen Entscheidung stand ja die Klage des Hamburger Senats. Warum kam es dazu? 

Naja, es war schnell klar, dass wir einen Volksentscheid gewinnen würden. In drei Wochen haben wir 30.000 Unterschriften gesammelt, obwohl nur 10.000 in einem halben Jahr nötig waren. Die Leute spüren, dass sich die Arbeitsbedingungen und die Versorgung der Patienten im Krankenhaus verschlechtert haben. Mit der Einführung der Fallpauschalen (DRG) ist ermöglicht worden, mit unserer Gesundheit Geld zu verdienen. Auch wie schnell die Patienten entlassen werden, obwohl sie noch sehr krank sind und wie alleine sie und die Angehörigen gelassen werden – das wissen die Leute! Darum waren auch schon beim Volksentscheid zur Privatisierung der Landeskrankenhäuser über 70% dagegen – und wurden vom Senat übergangen...

Und jetzt, nach der Entscheidung, wie würdest du die Stimmung unter den Kollegen einschätzen?

Wir erleben immer wieder, dass neue Kollegen dazustoßen. Noch vor dem Gerichtsurteil hat eine Gruppe junger Pflegekräfte sich organisiert und will die Organisierung der Kollegen vor Ort vorantreiben. Ihre Reaktion auf das Gerichtsurteil war: „Wir machen weiter!“. Auch in ver.di werden immer wieder neue Diskussionen angestoßen, wie um bezahlte Pausen im Schichtdienst. Und eben die um bessere Personalbemessung – die gibt es aber schon seit 6 Jahren…

Du warst damals schon in der Tarifkommission bei ver.di. Wie ist das abgelaufen?

Wir haben uns für die Forderung nach einer besseren Personalbemessung eingesetzt, sind damit aber knapp unterlegen. Die Kollegen stehen da aber auf jeden Fall dahinter. Vor jeder Tarifverhandlung befragen wir die Kollegen, welche Forderungen ihnen am wichtigsten sind. Und da ist ganz klar: Es geht um die Arbeitsbedingungen, um mehr Personal und um höhere Löhne!

Würdest du sagen, die Arbeitgeber in Hamburg haben Angst vor einem Streik?


Auf jeden Fall! Spahn hat gesagt, jede zusätzliche Stelle in der Pflege wird voll finanziert. Von dem, was ich von Pflegekräften aus anderen Häusern höre werden aber keine zusätzlichen Pflegekräfte eingestellt und es gibt auch keine Stellenausschreibungen in denen Krankenhäuser dafür werben. Ich weiß, dass viele wieder in den Job zurückkommen oder ihre Arbeitszeit aufstocken würden, wenn sie wüssten, dass die Arbeitsbedingungen gut wären.

Du hast vorher die Privatisierung der Hamburger Krankenhäuser angesprochen. Würdest du sagen, dass sie die Krise in den Krankenhäusern verschärft hat?

Das Fallpauschalen-System ermöglicht es den Krankenhäusern profitorientiert zu arbeiten, das haben sich vor allem die privaten Krankenhäuser zu eigen gemacht. Nicht der kranke Mensch steht im Mittelpunkt, sondern der Ertrag den man aus seiner Behandlung ziehen kann. Unser Ziel ist darum die Abschaffung einer profitorientierten Gesundheitsversorgung. Gesundheit ist keine Ware und gehört in die öffentliche Hand!

Ein letzter Punkt: In den letzten Jahren haben in den Hamburger Krankenhäusern ja viele Ausgliederungen stattgefunden. Wie siehst du das?

Für die Kollegen macht das überhaupt keinen Sinn. In einem Krankenhaus greift alles wie ein Zahnrad ineinander: der Patiententransport, die Logistik und vieles andere. Das gehört nicht in ausgegliedert! Die Ausgliederungen werden zum Lohndumping genutzt und schaden dem Zusammenhalt der Kollegen. Früher, als wir noch in einer Belegschaft waren, habe ich in meiner Pause gemeinsam mit den Transportpflegern gegessen. Sie haben das Essen gebracht, ich den Küchendienst gemacht. Heute arbeitet jeder für sich. Die Ausgliederung hat zu Entsolidarisierung geführt und uns vereinzelt.

„Ein Betrieb – eine Belegschaft“ ist da ja ein bekannter Slogan. Könnte es auch im Krankenhaus möglich sein, die Kollegen wieder zusammenzuführen?

Es ist nötig, die Kollegen zusammenzubringen. Dazu braucht es eine Menge politischen Druck. ver.di hat die Mittel dazu in der Hand, vor allem aber müssen wir uns organisieren und gemeinsam dafür kämpfen, dass die ausgegliederten Bereiche wieder ingesourct werden!

Das Interview führte Katharina Doll, Offensiv Hamburg

Anmerkung von Offensiv - Marxistische Organisation: Von Anfang an haben wir die Kolleginnen und Kollegen in ihrem Kampf um mehr Personal unterstützt. In diesem gemeinsamen Kampf sind wir der Meinung, dass nur die Organisierung und der Arbeitskampf der Kollegen die Bedingungen für Beschäftigte und Patienten auf lange Frist verbessern kann. Es gibt etliche Beispiele für Volksentscheide (wie oben genannt), die nicht umgesetzt wurden; genauso wie für gesetzliche Personaluntergrenzen wie in der Psychatrie, die einfach nicht eingehalten werden. Nur die gewerkschaftliche Organisierung und die Streikfähigkeit allein können sicherstellen, dass bessere Arbeitsbedingungen im Zweifel erkämpft werden können.

Weitere wichtige Forderungen sind aus unserer Sicht, dass das Outsourcing gestoppt wird wie es auch Kirsten in unserem Interview sagt, und die sofortige Abschaffung der Leiharbeit, die auch für Hamburgs Kliniken gelten muss. Siehe auch "Wir fordern"