Miguel Empleado, Erzieher-Azubi in Hamburg
Seit fast drei Jahren bin
ich an einer Fachschule für Sozialpädagogik in Hamburg. Ich mache die
Ausbildung zum Erzieher und bekomme eigentlich fast täglich die Krise. Ob
gestresste und überarbeitete Lehrer, mangelnde Unterrichtsqualität, Geldsorgen
und das damit verbundene Gerenne von Amt zu Amt, überarbeitete Mitschüler, die
arbeiten müssen, um die Ausbildung zu finanzieren, oder die Schule, die aus
allen Nähten platzt: All das macht die schulische Ausbildung kaputt. Parallel
dazu ist der Mangel an Erziehern und Kitas kein Problem von gestern, sondern
existiert seit Jahren als Teil des Kita-Ausbaus. In etlichen Einrichtungen wird
dieses Problem damit „gelöst“, dass die arbeitslose Bäckerin und der
überforderte, altersarme Rentner angestellt über Zeitarbeitsfirmen auf viel zu
viele Kinder aufpassen sollen.
Gleichzeitig wird versucht,
mit allen Mitteln möglichst viele ausgebildete Erzieher in kurzer Zeit auf den
Arbeitsmarkt zu bringen, ohne die Ressourcen dafür bereitzustellen. Meine
Schule ist nicht für wachsende Schülerzahlen ausgelegt, in den letzten 20
Jahren hat sich die Zahl der Schüler aber dennoch verdoppelt – die Zahl der Lehrkräfte und Räumlichkeiten nicht.
Weitere Beispiele sind die Schaffung der Sozialpädagogischen Assistenz (SPA),
der erleichterte Zugang zur Ausbildung, die Bafög-Reförmchen oder die Schaffung
eines Schnellkurses für Erzieher ohne reguläre Ausbildung. Und für den
Arbeitsmarkt soll dann gelten: Fachkraft gleich Fachkraft. In der Statistik
taucht der Beruf der SPA als ausgebildete Fachkraft auf, trotz geringer
Qualifikation und einer Entlohnung, die mieser kaum geht.
Statt Ausbildung und Beruf
aufzuwerten, wird mit diesen Maßnahmen die soziale Degradierung des Erziehers
und die „Flexibilisierung“ der Arbeit vorangetrieben. Der Ausbau der Kitas wird
gleichzeitig genutzt, um Personalkosten zu sparen und „flexible“
Anstellungsverhältnisse voranzutreiben. Diejenigen, die über den regulären,
staatlichen Weg in den Erzieherberuf einsteigen, müssen nach ihrer Ausbildung
oft noch Kredite abbezahlen oder während der Ausbildung arbeiten. Und klar ist
es möglich, nach einer Ausbildung zur SPA noch den Erzieher dranzuhängen, aber
viele können sich das ohne Ausbildungsvergütung nicht leisten. Und selbst wenn
man einen Kredit aufnimmt – auf die Ausbildung folgt auch nur das niedrige
Gehalt des Erziehers.
Erzieherinnen und Erzieher in die Offensive!
Die Maßnahmen, die die Politik ergriffen
hat um den Mangel an Kitaplätzen zu beheben, beweist nur, dass ihre Interessen
nicht die unseren sind. Wir können uns nicht auf Berlin oder den Senat
verlassen, wir müssen selbst für gutes Gehalt und die Qualität von Ausbildung
und Beruf kämpfen. Die Selbstorganisation und Streiks der Kolleginnen, Kollegen
und Auszubildenden sind der einzige Weg, auf dem wir das erreichen können. Auch
bisher waren sie die einzigen Maßnahmen, die die Krise im Bereich Erziehung an
die Öffentlichkeit gebracht und zumindest geringfügig für Aufwertung und
Solidarisierung der Eltern sorgen konnten. Trotzdem ist die ver.di-Führung im
letzten Streik weit hinter dem zurückgeblieben, was möglich gewesen wäre. Die
vorhandene Kampfkraft wurde nicht ausgeschöpft – weder was die Mobilisierung
der Kolleginnen und Kollegen angeht, noch die öffentliche Wahrnehmung des
Streiks. Denn der desaströse Personalnotstand in den Kitas ist nur ein Teil im
ganzen Puzzle des Notstands der öffentlichen Versorgung – vom Personalmangel
und der würdelosen Behandlung in Krankenhäusern, über Schulen bis hin zur
Altenpflege. Eine deutliche Verbesserung der Situation der Auszubildenden wurde
darum im Tarifabschluss nicht erreicht.
Vereinzelung im Kampf gegen (Kinder-)Armut
Nicht nur an der fehlenden
Vergütung, auch am Inhalt der Ausbildung muss etwas geändert werden. Ein großer
Teil der Ausbildung dreht sich um die Förderung und Entwicklung des Kindes als
Individuum. Auch die Forschung zum Thema Resilienz – auf Deutsch zur
Widerstandskraft des Einzelnen gegen Risikofaktoren wie Verlust, Behinderung
oder Armut) – hat einen individuellen Fokus. Klar kann schon in der frühen
Erziehung gefördert werden, mit Armut umzugehen, in einer kleinen verlotterten
Bude zu hausen, nur das billigste und wenig zu konsumieren – kurz: Ein Erzieher
in schulischer Ausbildung zu sein. Aber weil ständig nur auf das Individuum
geschaut wird, treten die Gemeinsamkeiten der Kinder und jungen Menschen in
einer solchen Lage in den Hintergrund. Ob Kinderarmut oder Armut durch
Ausbildung – „Risikofaktoren“ fallen nicht vom Himmel! Kinderarmut begegnen wir
als Erzieher später nicht am besten mit der besten Bewältigungsstrategie für
die Kinder. Kinderarmut wird durch die Ausbeutung ihrer Eltern ausgelöst. Armut
gehört bekämpft! Mangelnder Ausbildungsvergütung und schlechten Zuständen
begegnen wir nicht am besten durch Verzicht oder Nebenjobs, sondern durch den
Kampf um Ausbildungsvergütung und mehr und besser geschultem Lehrpersonal!