Veröffentlicht auf Spanisch am 19.12.2019
Die
Wahlen in Großbritannien haben zu einem unerwartet deutlichen Sieg für Boris
Johnson und seine Konservative Partei geführt. Mit 13.966.565 Stimmen – das
sind 43,6 Prozent – erreichten die Tories eine komfortable absolute Mehrheit
von 365 Abgeordneten. Das sind 47 Sitze mehr als bei der Wahl 2017. Trotz der
Tatsache, dass der Stimmgewinn der Konservativen von 329.881 Stimmen (1,2%)
trotzdem nur begrenzt war, hat die Nachricht vom starken Verlust von Labour
unter Jeremy Corbyn die britische Linke, breite Sektoren der britischen
Arbeiterklasse und Jugend sowie auch Aktivisten auf der ganzen Welt überrascht.
Für die
Vorbereitung auf kommende Kämpfe – zu denen es unter dem Reaktionär Boris
Johnson unweigerlich kommen wird – ist
es wichtig, zu verstehen, was der Grund für dieses Ergebnis war. Eine
saubere Analyse von Corbyns Niederlage ist auch nötig, um auf die Lügen der
herrschenden Klasse in den Medien reagieren, die bis über beide Ohren in einer
schmutzigen Verleumdungskampagne gegen Jeremy Corbyn stecken. Auch müssen wir
vermeiden, in oberflächliche Erklärungen zu verfallen, die die Verantwortung
von Corbyn, den Führern von Momentum und den Gewerkschaften für die
eingefahrene Niederlage verbergen. Nur wenn wir aus Corbyns Scheitern die
richtigen politischen Lehren ziehen – so bitter sie auch sein mögen – können
wir die Grundlage für eine politische Alternative zum Alptraum der
Tory-Regierungen legen.
Verleumdungskampagne… und vieles
mehr
Bei den
britischen Wahlen 2019 verlor Labour im Vergleich zu den Wahlen von 2017
2.582.853 Stimmen und fiel von 40 auf 32,2 Prozent. Die bürgerlichen Medien
haben eklatant gelogen und dieses Ergebnis als das schlechteste seit 1935
dargestellt. In Wirklichkeit hat Corbyn jedoch mehr als 10 Millionen Stimmen
erhalten, also mehr als Tony Blair bei seinem letzten Wahlsieg 2005 und weit
mehr als die 29%, die Gordon Brown 2010 eingefahren hat.
Einige
Kräfte – darunter auch solche, die sich selbst als marxistisch bezeichnen –
bedienen sich bei ihren „Erklärungen“ der Argumente aus der Lügenkampagne der
herrschenden Klasse und ihrer Massenmedien, die aufgebaut wurde, um Corbyn zu
verleumden. Auf etlichen Foren werden hinterhältige Anschuldigungen gegen
Corbyns angeblichen Antisemitismus wiederholt.
Auch die
Blairites (der rechte Flügel in Labour,
A.d.Ü.) haben diese Anschuldigungen bereitwillig wiederholt und sich nicht
gescheut alles zu versuchen, um Corbyns Kandidatur durch feindselige Äußerungen
in zahlreichen Zeitungen und Fernsehshows zu sabotieren. Sie haben sich bemüht,
Corbyn als die „rote Pest“ darzustellen, der auf Rache an den Bossen aus ist
und dessen Programm von Verstaatlichungen Großbritannien in den
wirtschaftlichen Kollaps führen würde. Diese Flut wütender Angriffe auf den
Labour-Kandidaten macht nur deutlich, wie viel Angst die herrschende Klasse vor
einem möglichen Sieg von Corbyn hatte. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen,
dass schon 2017 eine ähnliche Verleumdungskampagne gegen ihn organisiert wurde,
aber Corbyn damals trotzdem deutlich größeren Zuspruch erhielt. Es war zu
erwarten, dass die britische Bourgeoisie nicht untätig zusehen würde, wie
Corbyn sei soziales Programm umsetzt und die über drei Jahrzehnte aufrecht
erhaltene Agenda von Kürzungen und Sparmaßnahmen aufhebt. Für sie stand viel
auf dem Spiel.
Die entscheidende
Frage ist, warum die Labour-Führung unter Corbyn diesem Druck nicht widerstehen
konnte und warum mehr als zwei Millionen Wähler – vor allem Arbeiter – sich von
ihm abgewandt haben.
Erstens:
Welche Haltung hat Corbyn gegenüber dem Brexit und der Kampagne für ein zweites
Referendum eingenommen und wie hat er sich angesichts der Schließung des
britischen Parlaments im vergangenen August positioniert?
Zweitens:
Die britische Arbeiterklasse und Jugend leiden unter einer Vielzahl von
arbeiterfeindlichen Reformen, Lohnkürzungen, sich weiter verbreitender Armut,
Kürzungen des öffentlichen Gesundheitssystems (NHS), Privatisierungen im
Bildungssystem, einer rassistischen Einwanderungspolitik, zügellosen
Spekulationen mit Wohnraum, Mietsteigerungen,… Doch parallel dazu verfolgen die
Gewerkschaften eine Strategie des sozialen Friedens und der Demobilisierung.
Was hat Corbyn angesichts dieser Politik der Gewerkschaftsbürokratie getan?
Drittens:
Tausende von Labour-Ratsmitgliedern und Bürgermeistern in ganz Großbritannien
verfolgen weiterhin eine Politik der Kürzungen. Wie hat Corbyn sich dazu
positioniert?
Viertens.
In Schottland wurde Labour bei den Wahlen beiseite gefegt: Sie behalten nur 1
Sitz von den 59 umkämpften Sitzen. Hier müssen wir uns ansehen, wie sich der
Labour-Führer angesichts des Selbstbestimmungsrechts des schottischen Volkes
und des wachsenden Strebens nach Unabhängigkeit positioniert hat.
Corbyn und der Brexit
Nicht
wenige Salonrevolutionäre beklagen sich bitter darüber, wie schädlich die
Brexit-Debatte für die Arbeiterklasse gewesen wäre. Sie protestieren von der
Warte ihrer PCs aus dagegen, dass die „Polarisierung“ des Brexit die britische
Gesellschaft nicht entlang der Klassengrenzen sondern anhand von „reaktionären
Argumenten“ gespalten und Verwirrung gestiftet hätte, die Johnson ausgenutzt
hat. Diese Argumente erinnern an das, was die Führer von Unidas Podemos im
spanischen Staat sagen, wenn sie sich über den Ausbruch der nationalen Frage in
Katalonien beklagen und die gute alte Zeit zurückwünschen, als sie sich nicht
mit diesen Fragen beschäftigen mussten.
Aber die
Wege der Klassenkämpfe führen selten über die Straßen, die Opportunisten ihnen
bereitgemacht haben. Es stimmt: die Frage des Brexit entstand als ein Manöver
eines Teils der herrschenden Klasse Großbritanniens, die nach einem Ausweg aus
der schweren wirtschaftlichen und politischen Krise gesucht haben, in der sich
das Land in dem Augenblick befand. Sie wollten einen Weg finden, sich selbst
aus der Verantwortung zu ziehen indem sie die Fahne des Chauvinismus erhoben.
Aber das Ergebnis des Brexit-Referendums war Ausdruck dessen, wie überdrüssig
die einfachen Arbeiter der Sparmaßnahmen und Kürzungen der kapitalistischen
EU-Elite sind. Es wurde zu einem Weckruf, mit dem Status Quo zu brechen, der
dem Interesse der Arbeiterklasse entgegengeht.
Manche
„marxistischen Theoretiker“ behaupteten damals, dass es nach dem Referendum ein
Aufflammen reaktionärer Tendenzen in Großbritannien geben würde. Tatsächlich
vertiefte das Referendum aber die Spaltungstendenzen innerhalb der herrschenden
Klasse, führte zur schwersten institutionellen Krise der jüngsten Geschichte
und zu einem beispiellosen internen Kampf sowohl in der Tory- als auch der
Labour-Partei. Und genau in dem Moment wurden wir Zeuge von Corbyns
Erdrutschsieg gegen die Kandidaten des Blairite-Apparats. All das bestätigt nur
die enorme soziale und politische Polarisierung in Großbritannien, und wie
breite Teile der Arbeiterklasse bereit sind, sich in ihrem Angesicht nach links
zu wenden.
Obwohl
es stimmt, dass ein sehr beträchtlicher Teil von Labour-Anhängern damals nicht
am internen Leben der Partei teilnahm, wandten sich nach Corbyns erster Wahl
zum Parteivorsitzenden am 12. September 2015 Hunderttausende Arbeiter und
Jugendliche der Labour-Partei zu. Corbyn konsolidierte dieses Wachstum auch in
seiner Wiederwahl am 24. September 2016, als er sich mit 61,8 Prozent gegen
Owen Smith durchsetzte, den Kandidaten der Blairites. Das Brexit-Referendum
selbst fand am 23. Juni 2016 statt, also genau zwischen er ersten Wahl von
Corbyn und seiner Wiederwahl. Damit waren alle Voraussetzungen gegeben, dass
Labour die vom Brexit geschaffenen Bedingungen hätte ausnutzen können.
Statt
aber mit der kapitalistischen EU zu brechen und eine sozialistische Alternative
dazu aufzubauen, statt der Macht der Banken und Konzerne in- und außerhalb
Großbritanniens die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse
entgegenzusetzen – wozu Corbyn zunächst um eine grundsätzliche Änderung des
Kurses der Gewerkschaften hätte kämpfen müssen – gab Corbyn den Positionen der
Blairites nach, indem er die Forderung nach einem zweiten Referendum übernahm.
Diese
Politik war katastrophal und wurde in den folgenden zwei Jahren nicht
korrigiert, sondern vertieft. Das Votum der Arbeiterinnen und Arbeiter im
Brexit-Referendum eröffnete ein Vakuum, das mit proletarischen und
sozialistischen Inhalten hätte gefüllt werden können, aber die Führer von
Momentum – viele von ihnen Kleinbürger, benebelt von den Vorurteilen der
EU-Eliten – überließen Johnson das Feld, der seine Demagogie entfalten und
Corbyn beschuldigen konnte, sich dem Willen des Volkes zu widersetzen.
Auch am
28. August – dem Höhepunkt der Brexit-Krise, an dem Johnson beschloss, das
britische Parlament zu schließen – hatte das sprunghafte Verhalten von Corbyn
und seinem Team negative Auswirkungen. Sein Ansatz einer Regierung der
nationalen Einheit falls Johnson scheiterte, mit dem er de facto auf die
Unterstützung der EU-Befürworter und Liberalen abzielte, die den Brexit stoppen
wollten, kam der Tory-Regierung zugute. Statt sich auf unabhängige Kämpfe der
Arbeiterklasse zu stützen und die Gewerkschaften zu entschiedenen
Streikaktionen gegen Johnson aufzufordern griff Corbyn auf politische Manöver
zurück, die Vertreter des Establishments einbezogen.
Die
Niederlage von Labour hat zum Stimmverlust in alle Richtungen geführt. Sie
verdeutlicht aber vor allen Dingen auch, wie stark Labour in Arbeitervierteln,
die traditionell Labour gewählt haben (die so genannte „rote Wand“, das sind
v.a. Wahlkreise in Nordengland und Wales) verloren hat. In Gebieten, in denen
die Mehrheit (über 60 Prozent) für den Brexit gestimmt hat, geht die
Unterstützung für Labour im Durchschnitt um
10 Prozent zurück; in einigen Wahlkreisen sogar 16 bis 24 Prozent. Die
folgende Grafik ist dazu sehr aufschlussreich:
Region
|
% Stimmen für den Brexit
|
% Stimmentwicklung von Labour
|
% Stimmentwicklung der Konservativen
|
% Stimmentwicklung der Brexit-Partei
|
Bassetlaw
|
67,80%
|
-24,90%
|
11,90%
|
10,60%
|
Redcar
|
66,20%
|
-18,10%
|
12,80%
|
7,10%
|
Don Valley
|
69%
|
-17,80%
|
1,40%
|
13,70%
|
Sedgefield
|
57,50%
|
-17,10%
|
8,40%
|
8,50%
|
Rotter Valley
|
67,90%
|
-16%
|
4,80%
|
12,90%
|
Bolsover
|
70,80%
|
-16%
|
6,90%
|
9%
|
Blyth Valley
|
53,40%
|
-15%
|
5,40%
|
8,30%
|
Stoke-on Trent North
|
69,40%
|
-14,30%
|
7%
|
5,90%
|
Newcastle-under-Lyme
|
63%
|
-12,30%
|
4,40%
|
4,30%
|
Workington
|
58,60%
|
-11,90%
|
7,50%
|
4,20%
|
Birmingham Northfield
|
50,40%
|
-10,70%
|
3,60%
|
3,80%
|
Schottland und Nordirland
Einer der großen Gewinner dieser Wahlen war die SNP (Scottish National Party), die 1.242.373 Stimmen (das sind 3,9 Prozent der abgegebenen Stimmen und 264.803 Stimmen mehr als im Jahr 2017) und damit 48 der 59 durch Schottland gestellten Abgeordneten erhielt.
Vor einigen Jahrzehnten noch war Schottland ein Hinterhof von Labour und viele schottische Abgeordnete hatten gute Verbindungen zur Labour-Linken. Doch Jahrzehnte brutaler Angriffe auf die von der Arbeiterklasse erkämpften Zugeständnisse und massiver Kürzungskampagnen im öffentlichen Dienst sowohl durch die blairistische Labour Partei als auch durch die Konservativen haben die Voraussetzungen für ein Wiederaufleben der nationalen Frage und der schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen geschaffen.
Das Unabhängigkeitsreferendum vom 18. September 2014 hat das bestätigt. Labour war eine der Stützen der "Nein"-Kampagne und schloss sich dabei mit den Konservativen zusammen. Aber der Sieg dieses Blocks war ein Pyrrhussieg. Dass die schottische Unabhängigkeit durch die etablierten Parteien verweigert wurde, wurde von weiten Teilen der Arbeiterklasse und Jugend als ein Angriff sowohl auf ihre nationalen Rechte als auch auf ihre sozialen Interessen gesehen. Doch bei der letzten Wahl erscheinen die Verhältnisse noch einmal komplizierter, denn die Führung der SNP, die in den Wahlen sehr profitiert hat, hat sich auch gegen den Brexit gestellt und verbindet den Verbleib in der EU mit den Kampf um Unabhängigkeit.
Anstatt das Recht auf Selbstbestimmung klar zu verteidigen und für ein sozialistisches Schottland zu kämpfen, hat sich Corbyn in offene Opposition zu einem neuen Unabhängigkeitsreferendum begeben.
Mit 511.838 Stimmen und 18,6 Prozent hat Labour das schlechteste Ergebnis in der Geschichte Schottlands erzielt. In einem Jahrzehnt hat Labour 50 % seiner Wählerschaft verloren.
Schottland, wo das Votum für den Verbleib in der EU eine Mehrheit fand, wird einer der zentralen Brennpunkte für Johnsons konservative Regierung sein. Auch sind die Spannungen an der nationalen Frage nur ein weiterer Ausdruck der tiefen Krise, in der der britische Kapitalismus steckt.
Bei den Parlamentswahlen in Nordirland schließlich gewannen in der Summe zum ersten Mal die Kandidaten, die für einen Verbleib in der Europäischen Union eingetreten sind (Sinn Féin und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei), während die DUP-Unionisten, ein traditioneller Verbündeter der Tories, 48.188 Stimmen und einen Abgeordneten verloren haben.
Eine Periode der Instabilität und entscheidender Kämpfe
Trotz des deutlichen Wahlergebnisses werden die Regierung Boris Johnson und die Konservative Partei weiterhin von Problemen und Zerwürfnissen geplagt sein. Sie bewegen sich in einem krisenhaften Umfeld, und daran hat sich kaum etwas geändert. Der britische Kapitalismus durchläuft, wie auch das bürgerliche System weltweit, eine Periode des Niedergangs und der Krämpfe, die von Volatilität gezeichnet ist. Diese Situation wird noch verschärft durch die Aussicht auf einen wirtschaftlichen Abschwung, der jederzeit in eine offene Rezession übergehen kann.
Die erste große Aufgabe, die Johnson nun erwartet, ist die Durchführung des Brexit in den kommenden Monaten. Viele Fragen, wie die nach den Auswirkungen des Brexit auf die Wirtschaft, sind noch ungeklärt.
Wie wir in anderen Artikeln erklärt haben, ist der Brexit eines der Gesichter des Handelskrieges und des erbitterten Kampfes zwischen den verschiedenen imperialistischen Mächten um Kontrolle und Hegemonie auf dem Weltmarkt.
Nach der Wahl beeilte sich Donald Trump Johnson zu beglückwünschen. Er hebt die Notwendigkeit hervor, den Brexit wirksam durchzuführen und Großbritannien als Verbündeten des US-Imperialismus zu gewinnen. Auch ein bedeutender Teil der britischen Bourgeoisie befürwortet diese Alternative. Das geplante Freihandelsabkommen mit den USA wird aber auch die sozialen Widersprüche verschärfen und kann den Klassenkampf anheizen, denn es bringt eine neue Welle der Privatisierung und Deregulierung der Arbeit auf den Tisch. Die Drohung, den NHS – das öffentliche Gesundheitswesen – zugunsten mächtiger US-amerikanischer und britischer Privatunternehmen zu privatisieren, wird zweifellos massivere Mobilisierungen der Arbeiterklasse auslösen als wir sie in den letzten Jahren schon gesehen haben.
Die reaktionäre Regierung Johnson wird eine bittere Schule für die Arbeiterklasse und die Jugend sein. Die Bourgeoisie, sowohl die Befürworter als auch die größten Gegner von Brexit, muss ihre Sparpolitik fortsetzen, und dies umso mehr angesichts der Perspektive einer wirtschaftlichen Rezession. Keines der Probleme, die hinter dem Chaos in Großbritannien stehen - das exponentielle Wachstum von Armut und Ungleichheit, Niedriglöhne und soziale Unsicherheit bei der Arbeit, die Degradierung des öffentlichen Dienstes - wird unter dieser Regierung gelöst oder abgemildert werden.
Der Rücktritt von Corbyn und einiger seiner engsten Mitarbeiter stellt auch einen Schlag für Tausende von Jugendlichen und Aktivisten dar, die nun demoralisiert und desillusioniert sind. Es wäre ein Fehler, die Schlussfolgerung zu ziehen, dass es keine Chance gibt, auch in der nächsten Zeit Tories und den Flügel der Blairites von links anzugreifen. Im Gegenteil! Was wir brauchen ist ein Schluss des Zögerns und der zweideutigen Aussagen. Wir brauchen mindestens die gleiche Entschlossenheit wie die unserer Gegner, um den Sieg zu erreichen.
Der Klassenkampf wird den revolutionären Marxisten in Großbritannien große Möglichkeiten eröffnen. Um sie zu nutzen ist es nötig zu verstehen, was nach dem Brexit-Votum und in der letzten Wahl passiert ist, Tausende von Kämpfern – viele davon heute in den Reihen der linken Labour-Partei, in den Gewerkschaften, in der Jugend,... zu versammeln und beim Aufbau einer echten Arbeiterpartei voranzukommen – einer Partei, die die Grenzen des Kapitalismus durchbricht und dem Druck anderer Klassen nicht nachgibt, wie stark er auch sein mag.
Offensichtlich
nutzt die Bourgeoisie alle möglichen Strategien, um die Arbeiterklasse zu
spalten und den Klassenkonflikt so in den Hintergrund zu drängen. Das ist
nichts Neues – und deshalb ist es auch lächerlich, die Frage des Brexit (wie
auch in Spanien die nationale Frage in Katalonien) für Wahlverluste von Corbyn
oder Podemos verantwortlich zu machen. Die zentrale Frage ist, welche
politische Strategie es braucht um den Spieß umzudrehen, aus der Situation zu
profitieren und die Demagogie der herrschenden Klasse in die Schranken zu
weisen. Der Brexit war das zentrale Thema bei diesen Wahlen. Das hätte aber
nicht zum Schaden von Corbyn sein müssen. Es war seine Position zu dieser
entscheidenden Frage, die zu seiner Wahlniederlage beigetragen und den
Konservativen den Weg bereitet hat.
Corbyn
und der Klassenkampf
Wenn diese
Wahlen etwas bewiesen haben, dann, dass es nicht ausreicht, nur Reden zu halten
und ein gutes schriftliches Programm vorzulegen, sondern dass Worten auch Taten
folgen müssen. Das Programm von Corbyn und Labour bei dieser Wahl, das zweifellos
das linkeste Programm seit Jahrzehnten war, hatte vielen Umfragen zufolge eine
breite gesellschaftliche Unterstützung, aber Corbyns praktisches politisches
Handeln in diesen Monaten ging in die entgegengesetzte Richtung und hat seiner
Glaubwürdigkeit geschadet.
Die von
den Medien der Bourgeoisie und von Teilen der reformistischen Linken
verbreitete Vorstellung, die Niederlage der Labour Party sei das Ergebnis
dieses radikalen Programms, entspricht nicht der Wahrheit. Wie sonst lassen
sich die historischen Ergebnisse von Corbyn im Jahr 2017 mit fast 13 Millionen
Stimmen mit einem Programm dieser Art erklären?
In
vielen Städten in England und Wales werden Hunderte von Labour-Räten immer noch
vom Blairite-Flügel dominiert. Sie treten in die Fußstapfen der Konservativen
und führen eine Politik der Sparmaßnahmen und Kürzungen und Privatisierungen im
öffentlichen Sektor durch. Boris Johnson hat das für sich genutzt und während seiner
Wahlkampagne demagogisch darauf hingewiesen, dass auch Labour Kürzungen
vornimmt, während er mehr Investitionen für den NHS verspricht.
Der
rechte Flügel von Labour hat Corbyns Kampagne aktiv boykottiert, ihn in allen
möglichen Foren angegriffen und sich sogar in bezahlten Anzeigen und auf
Plakatwänden gegen seine Wahl ausgesprochen. Was hat Corbyn in den letzten vier
Jahren dagegen unternommen? Warum hat er nicht öffentlich die Politik der
Kürzungen durch Labour-Stadträte angeprangert? Warum hat er sich nicht auf die
Parteibasis verlassen, um einen Prozess der Ab- und Wiederwahl dieser Ratsmitglieder
zu eröffnen und sie so durch kämpferische Kürzungsgegner zu ersetzen? Warum hat
er sich nicht auf die Mobilisierung der Arbeiter und Jugend gestützt und mit
der Politik des sozialen Friedens der Gewerkschaftsbürokratie gebrochen, um die
von ihr in Worten gepredigte Wende nach links in der Praxis durchzusetzen?
Der
letzte Punkt ist entscheidend. Die bürgerlichen Wahlen sind eine ebene des
Klassenkampfes, aber bei weitem nicht das günstigste Terrain für die Arbeiter
und ihre Organisationen. Jede Form des Wahlkampfes muss darum mit aktiver
Mobilisierung auf der Straße, mit Streiks und der bewussten Organisierung der
Arbeiterklasse verbunden werden.
Den
mächtigen Hebeln, die der Bourgeoisie zur Verfügung stehen (die Medien, der
Staatsapparat, die reformistischen Führer und die Gewerkschaftsbürokratie...) kann
nur der Klassenkampf etwas entgegensetzen. Nach der Verfassungskrise im
September beschloss Corbyn, statt auf Mobilisierung zu setzen, indem er die
Führung des Gewerkschaftsdachverbands TUC zur Ausrufung eines Generalstreiks
auffordert, alles auf die Karte des Parlamentarismus und Institutionalismus zu
setzen und zu warten, bis ihm die Regierung wie eine reife Frucht in die Hände
fällt. Aber so einfach sind die Verhältnisse nicht zu ändern – und das noch
weniger in diesen Zeiten der großen Umwälzungen und der Instabilität.
Dass
vereinte Massenmobilisierungen der Beschäftigten – und damit meinen wir nicht
defensive und nach Sektoren getrennte Streiks, sondern Massenstreiks, die zum
Dreh- und Angelpunkt der nationalen Politik werden (wie jetzt z.B. beim
Generalstreik in Frankreich) – gegen die kapitalistische Kürzungspolitik
ausbleiben, ist der entscheidende Grund, warum die verschiedenen konservativen
Regierungen überleben. Diese gewerkschaftliche Ausrichtung ist die direkte
Folge der Passivität der Führung des TUC, der Gewerkschaftsbürokratie, sowohl
ihrer rechten Sektoren, als auch in Sektoren, die sich einer linkeren Rhetorik
bedienen und offiziell Corbyn „unterstützt“ haben.
All
diese Faktoren erklären, warum die schlimmste Krise der Tories seit 150 Jahren nicht
zum Nutzen der Arbeiterklasse oder der Labour Party gelöst wurde. Ähnliche
Phänomene finden sich oft in der Geschichte der Klassenkämpfe. Zweifellos waren
die objektiven Umstände für einen Sieg von Jeremy Corbyn in den letzten vier
Jahren gegeben, aber politische Fehler werden bezahlt, und manchmal sehr teuer.