von Offensiv (Hamburg), 30.10.2019
1. Das Wahlergebnis ist Ausdruck eines massiven
Bedeutungsverlusts der etabliert-bürgerlichen Parteien. Auch darum ist es kein
Zufall, dass gerade jetzt eine Reihe von bürgerlichen Medien wieder Friedrich
Merz als Merkels Nachfolger hochhalten. Die bürgerlichen Lager empören sich in
Worten über den Rassismus der AfD. Vor dem Hintergrund zunehmender
Polarisierung sind Teile des bürgerlichen Lagers aber zunehmend bereit, weiter
in den Trend zu autoritäreren Formen der Herrschaft einzustimmen, den es
international gibt.
2. Die voranschreitende Polarisierung hat soziale Ursachen
und ist in Ostdeutschland weiter fortgeschritten. Die Restauration des
Kapitalismus und die dortige Deindustrialisierung haben dazu geführt, dass
große Teile der ehemaligen ostdeutschen Arbeiterklasse in die Armut gerutscht
sind (fast jeder dritte Einpersonenhaushalt in Thüringen verfügt über ein
Nettoeinkommen von weniger als 900 Euro). Eine Schicht der Arbeiterklasse und
Arbeitslosen wurde abgehängt, das hat Demoralisierung, Frust und Hass auf
die herrschenden Parteien verbreitet.
3. Daran knüpft die AfD an und gibt sich als „einzige Partei
die anders ist als die anderen“. Die AfD vertritt nicht die Interessen der
Arbeiter und Armen, sondern einen Teil der bürgerlichen und kleinbürgerlichen
Klasse. Wenn sie eine Stimme der Armen bekommt, dann weil sie versuchen,
ihrem Frust Ausdruck zu verleihen aber nicht auf Verbesserungen hoffen. Sie ist
eine Stimme der Resignation. Auf genau diese Stimmen kann sie aber in
Ostdeutschland setzen. Darum bedeutet die Wahl in Thüringen erneut eine
Stärkung des Höcke-Flügels; die AfD wird sehr wahrscheinlich in der Zukunft
versuchen, stärker Arme und Teile der Arbeiterklasse anzusprechen. Schon bei
der Wahl in Thüringen war zwar „Zuwanderung“ das wichtigste Thema unter
AfD-Wählern, Löhne und Rente standen aber direkt an zweiter Stelle.
4. Die soziale Spaltung in Deutschland wird sich weiter
verschärfen. Eine einbrechende Krise ist von Seiten der Herrschenden kaum zu
beantwortet, wenn sie nicht auf soziale Kürzungen wie z.B. bei der Rente
zurückgreifen. Das wird die Polarisierung weiter befeuern.
5. DIE LINKE wurde als etablierte Partei gewählt. Die AfD
konnte – als erste Partei in der Geschichte Thüringens – ihr Wahlergebnis um
über 100% steigern und unter Nichtwählern deutlich mehr dazugewinnen als DIE
LINKE. 16.000 Wähler der LINKEN sind zur AfD gewechselt, bei allen
Altersgruppen unter 60 war die AfD Wahlsieger. DIE LINKE hat vor allem von
einer Umgruppierung sozialdemokratischer Wählerschichten profitiert: 20.000
SPD-Wähler sind zur LINKEN gegangen. Schon in der letzten Landtagswahl hat die
SPD mehr als 6% verloren – es dürfte sich also bei der jetzigen Wählerwanderung
um Stammwähler handeln. Vor dem Hintergrund der politischen Umgruppierung und Polarisierung
der letzten Jahre wurde DIE LINKE zwar wegen dem Bedeutungsverlust von SPD und
Grünen numerisch gestärkt, hat aber deutlich dabei versagt, einer wachsenden
Anti-Establishment-Stimmung Ausdruck zu verleihen. Nicht der Rassismus der
Arbeiterklasse und Armen, den bürgerliche Medien einem Viertel der Thüringer
Bevölkerung unterstellen, sondern das Versagen der LINKEN als linke Partei
jenseits des Establishments, die im Interesse der Arbeiter und Armen handelt
und sie in ihren Reihen versammelt, ist neben dem Versagen der bürgerlichen
Parteien der wichtigste Grund für das Erstarken der AfD.
6. Es ist nicht die Aufgabe einer Linken, zur „Mitte“
gehören zu wollen. Wir wollen die soziale und politische Zuspitzung. Wir wollen
dieses System nicht aufrecht erhalten, sondern massenhafte Kämpfe um soziale
Verbesserungen, Streiks, Aufstände und den Umsturz der
bürgerlich-kapitalistischen Ordnung und ihre Ersetzung durch die Demokratie der
Arbeiterklasse. Es ist die Pflicht jeder linken Partei, der AfD das Feld einer
„Anti-Establishment-Kraft“, das sie völlig unverdient bespielt, sofort streitig
zu machen. Dazu reicht es nicht, sich öffentlich wie ein getroffener Hund
moralisch über den Rassismus der AfD zu empören und sich dabei im Ton auf die
Seite aller bürgerlichen Parteien zu stellen. Das wird vor allem einen Effekt
haben, nämlich dass es früher oder später auf taube Ohren stößt. Sicherlich
darf dem Rassismus der AfD nicht nachgegeben werden – er ist eine reaktionäre
Ideologie im Interesse der herrschenden Klasse. Aber immer nur über ihren
Rassismus und nicht über das Totalversagen der bürgerlichen Politik zu sprechen
wird niemanden überzeugen, der nicht schon auf unserer Seite steht. In erster
Linie muss es die politische Linke werden, die sich im Parlament im Ton
vergreift, die herrschenden Parteien auf die Anklagebank setzt und zum
Widerstand aufruft gegen ihre asoziale Politik.
7. Die Wahl in Thüringen wird die Verwirrung im linken
Flügel der LINKEN verstärken. Schon jetzt werden Einige im linken Flügel
kleinlaut: haben wir nicht immer prophezeit, dass DIE LINKE dort, wo sie wie
eine etablierte Partei auftritt, parlamentarisch geschwächt werden wird? Die
These stimmt weiterhin. DIE LINKE, wie sie im Osten auftritt, kann als
etablierte Partei gewählt werden. Wenn sie diese Politik – wie sie sie auch
unter Bodo Ramelow macht – fortsetzt, wird sie früher oder später gezwungen
werden, weitere soziale Kürzungen durchzusetzen und wird es jetzt schon.
Verschärft sich die soziale Zuspitzung, wird auch DIE LINKE Verluste einfahren
und an Glaubwürdigkeit verlieren. Schon bei dieser Wahl kann man nicht leugnen,
dass deutlich mehr Arbeiter die AfD gewählt haben als DIE LINKE. Mit jedem Mal,
bei dem DIE LINKE in der Regierung kürzt, sich den bürgerlichen Parteien anbiedert
und sich in keiner Nuance von ihnen unterscheidet entfernt sie sich weiter davon,
Arbeiterpartei zu sein.
8. Der linke Flügel der Partei DIE LINKE wurde in den
letzten Jahren deutlich geschwächt und ist zunehmend handzahm geworden.
Parlamentarische „Erfolge“ wie in Berlin werden von einigen seiner Vertreter
kleinlaut anerkannt, viel zu oft zeigt man sich nun doch kompromissbereit. Mit
einer solchen Politik mag man zwar einen Posten gewinnen, aber sicherlich keine
linke Partei die ihrer Aufgabe gerecht wird. Auch der Flügel um Sahra
Wagenknecht hat sich öffentlich überschwänglich hinter Bodo Ramelow gestellt –
egal, wie oft er sich von jedem Zipfel linker Politik distanziert und mit
Arbeitgebern freundlich Hände geschüttelt hat.
9. DIE LINKE hat nur einen Wert für Arbeiterinnen und
Arbeiter, Jung, Alt und Arme, wenn die sich in jeder Frage auf die Seite der
Interessen der arbeitenden Bevölkerung stellt. Jede soziale Kürzung muss DIE
LINKE konsequent ablehnen. Dazu reicht das Parlament nicht – dafür brauchen wir
die Betriebe und die Straße. Nur mit einer radikalen Kehrtwende der Politik in
Thüringen ist an Regieren überhaupt zu denken. Und auch das wäre nur möglich
als konsequente Minderheitsregierung ohne Koalitionspartner, mit massiven
Mobilisierungen der Arbeiterklasse für ein sozialistisches Programm von
umfassenden, sofortigen Beschäftigungs-, Wohnbau- und Infrastrukturmaßnahmen
und Kommunalisierungen. Mit keiner Partei, die eine solche Politik nicht
mitträgt, kann eine linke Partei koalieren. Auch bei Neuwahlen müsste DIE LINKE
mit einem konsequent sozialistischen Programm antreten, das nicht das fordert,
was legal und in den Grenzen des Bestehenden möglich ist, sondern das, was wir
brauchen.