2020: Ihre Krise – unsere Kämpfe


Die Groko ist am Ende? Wir nicht!






Erklärung der Marxistischen Organisation Offensiv


In den letzten Wahlen haben die etablierten „Volksparteien“ CDU und SPD ein historisch schlechtes Ergebnis nach dem anderen eingefahren. Parallel dazu haben die Neuwahlen in England die Stabilität des Herzensprojekts des deutschen Kapitalismus – die Europäische Union – erneut untergraben, der wichtigste europäische Partner Frankreich wird von Generalstreiks erschüttert und die angekündigten Stellenstreichungen in der Autoindustrie und ihren Zulieferern werden in der kommenden Zeit hoffentlich durch starke Arbeitskämpfe erwidert.

In den letzten Jahren haben wir in der Bundesrepublik die größten Massenmobilisierungen seit einem Jahrzehnt gesehen. Von großer Bedeutung waren vor allem die Kämpfe im Gesundheitswesen, der Kampf von „Deutsche Wohnen Enteignen“, die großen Warnstreiks der IG Metall 2018, die Kampagnen und teilweise internationalen Vernetzungen bei Amazon, Lufthansa etc. und regionale Streiks, wie bei Halberg Guss, WMF und anderen. Dass gesellschaftliche Themen wie die Frage der Enteignung von Immobilien- und Großkonzernen im letzten Jahr verstärkt präsent waren, ist Ausdruck einer sich über Jahre verschärfenden Polarisierung zwischen den Klassen, die sich auf Wahlebene durch eine zunehmende Ablehnung des „Status Quo“ bürgerlicher Politik ausdrückt. Vor diesem Hintergrund stehen die Großlobbyisten, Polit-Berater und Chefstrategen in Berlin vor der schwierigen Aufgabe, eine Nachfolge für Angela Merkel 2021 zu finden und die instabile Groko-Regierung aufrecht zu erhalten.

Das Ende der Groko?


Die Parteien der Großen Koalition haben die allgegenwärtige Umweltbewegung ausgenutzt, um soziale Kürzungen voranzutreiben, und sie haben weitere Kürzungen im Ärmel. An anderer Stelle sind wir bereits auf den Inhalt des Klimapakets eingegangen (1).  Klar ist, dass Reformen wie die CO2-Steuer einen Angriff auf den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung darstellen. Der Verband „Haus und Grund“ hat berechnet, dass eine vierköpfige Familie in einer 115 Quadratmeter großen Wohnung, die mit Gas heizt, bei einer CO2-Steuer von 35 Euro pro Tonne jährlich 132 Euro mehr bezahlen müsste – bei 180 Euro, was das angedachte Ziel ist, bereits 677 Euro. Und es braucht nicht viel Fantasie, um sich die Auswirkungen eines auch nur um wenige Cent gestiegenen Benzinpreises vorzustellen in einem Land, in dem die Bahnpreise immer weiter steigen und abertausende Pendler auf Autos angewiesen sind.

Der als Reaktion auf den Druck der durch ihre Umfragewerte bestärkten Grünen vom Vermittlungsausschuss und Bundesrat vorgelegte Vorschlag zur CO2-Bepreisung spricht Bände über die Funktionsweise der Großen Koalition. In nahezu erpresserischer Manier wird der Bundesregierung Druck gemacht, so schnell es geht eine CO2-Steuer zu verabschieden, ausgerechnet gegen den Einwand der CDU selbst, die auf die Entlastung von Pendlern und Mehrwertsteuererleichterungen für eine Preissenkung der Bahntickets beharrt. Zwar sind das vor allem kosmetische Maßnahmen, die den antisozialen Charakter des Klimapakets nicht ändern werden, sie zeigen aber auch, dass sich die Union dem dünnen Eis bewusst ist, auf dem sie spaziert. Benzinpreise und eine „Öko-Steuer“ waren schließlich auch der Tropfen, der in Frankreich vor über einem Jahr das Fass zum Überlaufen brachte.

Gleichzeitig ist die CDU an einer Fortführung der Großen Koalition interessiert. Die Grünen bieten dabei willige Unterstützung bei der Stabilisierung. Sie geben den steuerlichen Angriffen einen grünen Anstrich und bieten so auch der neuen SPD-Spitze von Walter Borjans und Saskia Esken die Möglichkeit, die sozialen Versprechen ihrer Wahlkampagne, die die CDU nicht ohne weiteres mittragen könnte, schnell unter den grünen Teppich zu kehren und somit die Groko von 41% vorerst zu stabilisieren.

Die herrschende Klasse Deutschlands will die politische Stabilität, die jahrelang ihr Markenzeichen war, um jeden Preis aufrecht erhalten. Doch es ist heute klar, dass ihr das nicht auf Dauer gelingen wird. Innerhalb Deutschlands stolpern die herrschenden Politiker von einem Fettnäpfchen ins nächste – nun ist es Scheuers Mautaffäre! International haben zuletzt Trumps Sanktionen gegen den Bau der Pipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland gezeigt, wie fragil die Bundesrepublik im sich zuspitzenden Konflikt der großen imperialistischen Blöcke dasteht.

AKKs wiederholte Vorstöße für ausgeweitete Bundeswehreinsätze in der Sahel-Zone oder in Syrien sind auch ein Ausdruck des Wunsches, sich in Zeiten eskalierender Konflikte im Mittleren Osten als „Global Player“ zu behaupten. Und das, während die Wirtschaft Ende 2019 de facto in die Rezession eingetaucht ist.

Merkels Erbe


Mit dem Ende der Ära Merkel eröffnet sich ein Kampf um ihre Nachfolge in der traditionellen Partei der deutschen Bourgeoisie, der CDU. Annegret Kramp-Karrenbauer konnte sich gar nicht so schnell in ihrem neuen Posten als Parteivorsitzende einrichten, wie sie sich mit ungeschickten Kommentaren wieder ins Aus geschossen hat. Zwar ist ihre Position als Vorsitzende nach dem Bundesparteitag der Union gefestigt, doch es ist unwahrscheinlich, dass sie als Kanzlerkandidatin aufgestellt wird. Friedrich Merz sitzt ihr weiterhin als Vertreter des äußerst rechten Flügels der Partei im Nacken und wird nicht müde, die unter so viel Anstrengung am Leben gehaltene Groko bei jeder Gelegenheit zu attackieren.
Unabhängig davon, wie sich der Flügelkampf in der CDU entwickeln wird, verkörpert die Figur Merz den Wunsch eines Teils der herrschenden Klasse nach einer stärkeren Führungsfigur an der Spitze der Nation. Mit niemandem ist der Blackrock-Bänker Merz besser zu vergleichen, als mit Frankreichs Emmanuel Macron. Er ist der Kandidat, wenn es um den neoliberalen Generalangriff auf soziale Standards geht.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass das deutsche Kapital auf einen solchen Kandidaten zurückgreifen wird. Die nach unten tendierende Konjunktur nimmt dem deutschen Kapitalismus Raum zum Manövrieren und treibt die gesellschaftliche Polarisierung voran.

Von rechts bekommt der „Groko-kritische“ Flügel um Merz Aufwind durch die weiterhin – wenn auch langsamer – erstarkende AfD. Nach den Thüringer Landtagswahlen ist ihr ultrarechter Flügel um Björn Höcke so stark wie nie zuvor, oder, wie Alexander Gauland es ausgedrückt hat, die „neue Mitte der Partei“. Er organisiert ohne Zweifel auch Faschisten in seinen Reihen. Trotzdem ist die AfD weiterhin keine faschistische Partei; sie propagiert nicht den Bruch mit der parlamentarischen Ordnung und organisiert als Partei keine bewaffneten Fußtrupps auf der Straße. Vielmehr ist sie eine national-konservative Partei, die das durch den Bedeutungsverlust der etablierten Partei entstandene Vakuum von rechts ausfüllt und in der desillusionierte Kleinbürger und Beamte wie Höcke und Gauland wachsenden Einfluss haben.

Eine Koalition mit der AfD ist weiterhin eine rote Linie, die allerdings deutliche Risse bekommen hat. Teile der CDU haben nach der Landtagswahl ihre Offenheit für Gespräche selbst mit der Thüringer AfD um Björn Höcke signalisiert, der seinerseits die Tolerierung einer CDU-geführten Regierung durch die AfD angeboten hat.

Die Krise der Sozialdemokratie


Die AfD ist die Partei, die am meisten von der Polarisierung in Deutschland profitiert. Dass immer wieder tausende Wähler, die gestern noch ihre Stimme für die LINKE abgegeben haben, heute AfD wählen, zeigt, dass diese Schichten die AfD nicht als überzeugte Rassisten, sondern vor allem aus Wut über das politische Establishment wählen.

Dafür ist DIE LINKE mit verantwortlich. Gerade in der heutigen Situation erweist sie sich als völlig unfähig, einen deutlichen Ton anzuschlagen, Rückgrat zu beweisen und von der Krise der „Volksparteien“ zu profitieren. Das täte sie mit klarer Abgrenzung von der neoliberalen Politik der Großen Koalition. Stattdessen zollt sie dem Theater um das neu gewählte Führungsduo der SPD noch ihre Anerkennung und beglückwünscht sie zu ihrer Wahl!

Vom „Aufstand“ des linken Parteiflügels (Kühnert, Borjans und Esken) in der SPD ist wenig übriggeblieben. Die SPD ist eng mit der herrschenden Klasse verbunden. VW, Audi und RWE waren unter den Hauptsponsoren des letzten Parteitages und die Folgen von 17 Jahren SPD-Regierung in den letzten 21 Jahren können wir jeden Tag spüren. Aus den angekündigten „kühnen Neuverhandlungen“ einer Koalition entlang klarer sozialer Forderungen wie einem höheren Mindestlohn ist nun ein dankbares Anlehnen an die „ökologischen“ Forderungen der Grünen geworden. Kevin Kühnert redet nicht mehr von der Enteignung von BMW und biedert sich in seinem neuen Posten dem Konservatismus der SPD-Führung an.

Anstatt diese schreiende Halbherzigkeit der SPD in den klarsten Worten bloßzustellen, rückt die Führung der LINKEN unter Katja Kipping nach dem siegreichen Flügelkampf mit Wagenknechts „Aufstehen“ immer weiter nach rechts und tritt auf wie ein linker Flügel der SPD, nur ohne ihren Einfluss. Berlin, Thüringen, Bremen und die Erfolge der Grünen bestärken die Regierungsbefürworter in der LINKEN in ihrem Traum von einer „progressiven“ rot-rot-grünen Koalition.

Anders als der SPD ist es der LINKEN nie gelungen, eine breite Basis in der Arbeiterklasse, vor allem der industriellen, zu gewinnen. In ihren Strukturen dominieren kleinbürgerliche Anschauungen. In Zeiten von Polarisierung offenbart sich eine solche Klassenzusammensetzung durch die Wankelmütigkeit der Partei und ihre Unfähigkeit, entschlossen mit der bürgerlichen Politik zu brechen.

Die Kämpfe, die vor uns liegen




Die deutsche Bourgeoisie geht auf politischer sowie auf wirtschaftlicher Ebene höchst instabil in das Jahr 2020. Die Frage der Kanzlerkandidaturen werden die Konflikte und Flügelkämpfe in den Parteien neu aufreißen lassen und die Wirtschaft sitzt auf einem wackeligen Ast.

Gleichzeitig ist eine neue, junge Generation auf die politische Bühne getreten. Bis jetzt dominiert in Bewegungen wie Fridays for Future der versöhnlerische O-Ton universitärer Zirkel. Früher oder später wird die heutige Arbeiterjugend aber unweigerlich auf die brennenden sozialen Fragen unserer Zeit stoßen: Löhne, Mieten, Infrastruktur, Sozialsysteme und sichere Arbeitsplätze.

Währenddessen sind die Führungspositionen in den DGB-Gewerkschaften eng mit der arbeiterfeindlichen SPD-Führung verwoben. Anstatt organisiert gegen die zunehmenden Flexibilisierungen, Leiharbeitsstellen und Stellenstreichungen zu mobilisieren, ruft die IG Metall lediglich zu einem „fairen“ Wandel der Wirtschaft auf und appelliert an die „Sozialverträglichkeit“ von Massenentlassungen, wie in den letzten Wochen in der Autoindustrie. Das ist nur ein Vorgeschmack auf die schändliche Rolle, die solche Gewerkschaftsbürokraten in Krisenzeiten spielen werden.

Es ist die Aufgabe einer organisierten Linken, systematisch und langfristig in den Betrieben, in der millionenstarken Basis dieser Gewerkschaften, zu arbeiten, für den Erhalt aller Arbeitsplätze zu kämpfen und der Sozialpartnerschaft der Sozialdemokraten Beispiele für gut organisierte und kämpferische Streiks von unten und ein klassenkämpferisches Programm gegenüber zu stellen. Die organisierte Arbeiterklasse ist der Schlüssel im Kampf gegen den Kapitalismus.

Die Arbeiterklasse ist weder tot noch verwirrt. Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter leben und arbeiten in Deutschland, der größten Wirtschaftsmacht Europas. Die deutschen Gewerkschaften des DGB zählen zu den größten in Europa und weltweit und könnten mit einem radikalen Programm eine enorme Kampfkraft entfalten. Die kommenden Krisen – sei es auf wirtschaftlicher oder politischer Ebene – werden uns direkt betreffen. Was wir brauchen, ist eine proletarische Arbeiterpartei mit marxistischem Programm, die für Verbesserungen im Hier und Jetzt kämpft und diesen Kampf mit einem grundsätzlichen verbindet: dem für eine neue, sozialistische Gesellschaft.

(1) https://offensiv-marxisten.blogspot.com/p/umweltschutz-sozial-gerecht-nein.html