Die Groko ist am Ende? Wir nicht!
Erklärung der Marxistischen Organisation Offensiv
In den
letzten Wahlen haben die etablierten „Volksparteien“ CDU und SPD ein historisch
schlechtes Ergebnis nach dem anderen eingefahren. Parallel dazu haben die
Neuwahlen in England die Stabilität des Herzensprojekts des deutschen Kapitalismus
– die Europäische Union – erneut untergraben, der wichtigste europäische
Partner Frankreich wird von Generalstreiks erschüttert und die angekündigten
Stellenstreichungen in der Autoindustrie und ihren Zulieferern werden in der
kommenden Zeit hoffentlich durch starke Arbeitskämpfe erwidert.
In den
letzten Jahren haben wir in der Bundesrepublik die größten
Massenmobilisierungen seit einem Jahrzehnt gesehen. Von großer Bedeutung waren
vor allem die Kämpfe im Gesundheitswesen, der Kampf von „Deutsche Wohnen
Enteignen“, die großen Warnstreiks der IG Metall 2018, die Kampagnen und
teilweise internationalen Vernetzungen bei Amazon, Lufthansa etc. und regionale
Streiks, wie bei Halberg Guss, WMF und anderen. Dass gesellschaftliche Themen
wie die Frage der Enteignung von Immobilien- und Großkonzernen im letzten Jahr
verstärkt präsent waren, ist Ausdruck einer sich über Jahre verschärfenden
Polarisierung zwischen den Klassen, die sich auf Wahlebene durch eine
zunehmende Ablehnung des „Status Quo“ bürgerlicher Politik ausdrückt. Vor
diesem Hintergrund stehen die Großlobbyisten, Polit-Berater und Chefstrategen
in Berlin vor der schwierigen Aufgabe, eine Nachfolge für Angela Merkel 2021 zu
finden und die instabile Groko-Regierung aufrecht zu erhalten.
Das Ende der Groko?
Die
Parteien der Großen Koalition haben die allgegenwärtige Umweltbewegung
ausgenutzt, um soziale Kürzungen voranzutreiben, und sie haben weitere
Kürzungen im Ärmel. An anderer Stelle sind wir bereits auf den Inhalt des
Klimapakets eingegangen (1). Klar ist,
dass Reformen wie die CO2-Steuer einen Angriff auf den Lebensstandard der
arbeitenden Bevölkerung darstellen. Der Verband „Haus und Grund“ hat berechnet,
dass eine vierköpfige Familie in einer 115 Quadratmeter großen Wohnung, die mit
Gas heizt, bei einer CO2-Steuer von 35 Euro pro Tonne jährlich 132 Euro mehr
bezahlen müsste – bei 180 Euro, was das angedachte Ziel ist, bereits 677 Euro.
Und es braucht nicht viel Fantasie, um sich die Auswirkungen eines auch nur um
wenige Cent gestiegenen Benzinpreises vorzustellen in einem Land, in dem die
Bahnpreise immer weiter steigen und abertausende Pendler auf Autos angewiesen
sind.
Der als
Reaktion auf den Druck der durch ihre Umfragewerte bestärkten Grünen vom
Vermittlungsausschuss und Bundesrat vorgelegte Vorschlag zur CO2-Bepreisung
spricht Bände über die Funktionsweise der Großen Koalition. In nahezu
erpresserischer Manier wird der Bundesregierung Druck gemacht, so schnell es
geht eine CO2-Steuer zu verabschieden, ausgerechnet gegen den Einwand der CDU
selbst, die auf die Entlastung von Pendlern und Mehrwertsteuererleichterungen
für eine Preissenkung der Bahntickets beharrt. Zwar sind das vor allem
kosmetische Maßnahmen, die den antisozialen Charakter des Klimapakets nicht
ändern werden, sie zeigen aber auch, dass sich die Union dem dünnen Eis bewusst
ist, auf dem sie spaziert. Benzinpreise und eine „Öko-Steuer“ waren schließlich
auch der Tropfen, der in Frankreich vor über einem Jahr das Fass zum Überlaufen
brachte.
Gleichzeitig
ist die CDU an einer Fortführung der Großen Koalition interessiert. Die Grünen
bieten dabei willige Unterstützung bei der Stabilisierung. Sie geben den
steuerlichen Angriffen einen grünen Anstrich und bieten so auch der neuen
SPD-Spitze von Walter Borjans und Saskia Esken die Möglichkeit, die sozialen
Versprechen ihrer Wahlkampagne, die die CDU nicht ohne weiteres mittragen
könnte, schnell unter den grünen Teppich zu kehren und somit die Groko von 41%
vorerst zu stabilisieren.
Die
herrschende Klasse Deutschlands will die politische Stabilität, die jahrelang
ihr Markenzeichen war, um jeden Preis aufrecht erhalten. Doch es ist heute
klar, dass ihr das nicht auf Dauer gelingen wird. Innerhalb Deutschlands
stolpern die herrschenden Politiker von einem Fettnäpfchen ins nächste – nun
ist es Scheuers Mautaffäre! International haben zuletzt Trumps Sanktionen gegen
den Bau der Pipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland gezeigt,
wie fragil die Bundesrepublik im sich zuspitzenden Konflikt der großen
imperialistischen Blöcke dasteht.
AKKs
wiederholte Vorstöße für ausgeweitete Bundeswehreinsätze in der Sahel-Zone oder
in Syrien sind auch ein Ausdruck des Wunsches, sich in Zeiten eskalierender
Konflikte im Mittleren Osten als „Global Player“ zu behaupten. Und das, während
die Wirtschaft Ende 2019 de facto in die Rezession eingetaucht ist.
Merkels Erbe
Mit dem
Ende der Ära Merkel eröffnet sich ein Kampf um ihre Nachfolge in der
traditionellen Partei der deutschen Bourgeoisie, der CDU. Annegret
Kramp-Karrenbauer konnte sich gar nicht so schnell in ihrem neuen Posten als Parteivorsitzende
einrichten, wie sie sich mit ungeschickten Kommentaren wieder ins Aus
geschossen hat. Zwar ist ihre Position als Vorsitzende nach dem Bundesparteitag
der Union gefestigt, doch es ist unwahrscheinlich, dass sie als
Kanzlerkandidatin aufgestellt wird. Friedrich Merz sitzt ihr weiterhin als
Vertreter des äußerst rechten Flügels der Partei im Nacken und wird nicht müde,
die unter so viel Anstrengung am Leben gehaltene Groko bei jeder Gelegenheit zu
attackieren.
Unabhängig
davon, wie sich der Flügelkampf in der CDU entwickeln wird, verkörpert die
Figur Merz den Wunsch eines Teils der herrschenden Klasse nach einer stärkeren
Führungsfigur an der Spitze der Nation. Mit niemandem ist der Blackrock-Bänker
Merz besser zu vergleichen, als mit Frankreichs Emmanuel Macron. Er ist der
Kandidat, wenn es um den neoliberalen Generalangriff auf soziale Standards
geht.
Es ist
nicht ausgeschlossen, dass das deutsche Kapital auf einen solchen Kandidaten
zurückgreifen wird. Die nach unten tendierende Konjunktur nimmt dem deutschen
Kapitalismus Raum zum Manövrieren und treibt die gesellschaftliche Polarisierung
voran.
Von rechts
bekommt der „Groko-kritische“ Flügel um Merz Aufwind durch die weiterhin – wenn
auch langsamer – erstarkende AfD. Nach den Thüringer Landtagswahlen ist ihr
ultrarechter Flügel um Björn Höcke so stark wie nie zuvor, oder, wie Alexander
Gauland es ausgedrückt hat, die „neue Mitte der Partei“. Er organisiert ohne
Zweifel auch Faschisten in seinen Reihen. Trotzdem ist die AfD weiterhin keine
faschistische Partei; sie propagiert nicht den Bruch mit der parlamentarischen
Ordnung und organisiert als Partei keine bewaffneten Fußtrupps auf der Straße.
Vielmehr ist sie eine national-konservative Partei, die das durch den
Bedeutungsverlust der etablierten Partei entstandene Vakuum von rechts ausfüllt
und in der desillusionierte Kleinbürger und Beamte wie Höcke und Gauland
wachsenden Einfluss haben.
Eine
Koalition mit der AfD ist weiterhin eine rote Linie, die allerdings deutliche
Risse bekommen hat. Teile der CDU haben nach der Landtagswahl ihre Offenheit
für Gespräche selbst mit der Thüringer AfD um Björn Höcke signalisiert, der
seinerseits die Tolerierung einer CDU-geführten Regierung durch die AfD
angeboten hat.
Die Krise der Sozialdemokratie
Die AfD
ist die Partei, die am meisten von der Polarisierung in Deutschland profitiert.
Dass immer wieder tausende Wähler, die gestern noch ihre Stimme für die LINKE
abgegeben haben, heute AfD wählen, zeigt, dass diese Schichten die AfD nicht
als überzeugte Rassisten, sondern vor allem aus Wut über das politische
Establishment wählen.
Dafür ist
DIE LINKE mit verantwortlich. Gerade in der heutigen Situation erweist sie sich
als völlig unfähig, einen deutlichen Ton anzuschlagen, Rückgrat zu beweisen und
von der Krise der „Volksparteien“ zu profitieren. Das täte sie mit klarer
Abgrenzung von der neoliberalen Politik der Großen Koalition. Stattdessen zollt
sie dem Theater um das neu gewählte Führungsduo der SPD noch ihre Anerkennung
und beglückwünscht sie zu ihrer Wahl!
Vom
„Aufstand“ des linken Parteiflügels (Kühnert, Borjans und Esken) in der SPD ist
wenig übriggeblieben. Die SPD ist eng mit der herrschenden Klasse verbunden.
VW, Audi und RWE waren unter den Hauptsponsoren des letzten Parteitages und die
Folgen von 17 Jahren SPD-Regierung in den letzten 21 Jahren können wir jeden
Tag spüren. Aus den angekündigten „kühnen Neuverhandlungen“ einer Koalition
entlang klarer sozialer Forderungen wie einem höheren Mindestlohn ist nun ein
dankbares Anlehnen an die „ökologischen“ Forderungen der Grünen geworden. Kevin
Kühnert redet nicht mehr von der Enteignung von BMW und biedert sich in seinem
neuen Posten dem Konservatismus der SPD-Führung an.
Anstatt
diese schreiende Halbherzigkeit der SPD in den klarsten Worten bloßzustellen,
rückt die Führung der LINKEN unter Katja Kipping nach dem siegreichen
Flügelkampf mit Wagenknechts „Aufstehen“ immer weiter nach rechts und tritt auf
wie ein linker Flügel der SPD, nur ohne ihren Einfluss. Berlin, Thüringen,
Bremen und die Erfolge der Grünen bestärken die Regierungsbefürworter in der
LINKEN in ihrem Traum von einer „progressiven“ rot-rot-grünen Koalition.
Anders als
der SPD ist es der LINKEN nie gelungen, eine breite Basis in der
Arbeiterklasse, vor allem der industriellen, zu gewinnen. In ihren Strukturen
dominieren kleinbürgerliche Anschauungen. In Zeiten von Polarisierung offenbart
sich eine solche Klassenzusammensetzung durch die Wankelmütigkeit der Partei
und ihre Unfähigkeit, entschlossen mit der bürgerlichen Politik zu brechen.
Die Kämpfe, die vor uns liegen
Die
deutsche Bourgeoisie geht auf politischer sowie auf wirtschaftlicher Ebene
höchst instabil in das Jahr 2020. Die Frage der Kanzlerkandidaturen werden die
Konflikte und Flügelkämpfe in den Parteien neu aufreißen lassen und die
Wirtschaft sitzt auf einem wackeligen Ast.
Gleichzeitig
ist eine neue, junge Generation auf die politische Bühne getreten. Bis jetzt
dominiert in Bewegungen wie Fridays for Future der versöhnlerische O-Ton
universitärer Zirkel. Früher oder später wird die heutige Arbeiterjugend aber
unweigerlich auf die brennenden sozialen Fragen unserer Zeit stoßen: Löhne,
Mieten, Infrastruktur, Sozialsysteme und sichere Arbeitsplätze.
Währenddessen
sind die Führungspositionen in den DGB-Gewerkschaften eng mit der
arbeiterfeindlichen SPD-Führung verwoben. Anstatt organisiert gegen die
zunehmenden Flexibilisierungen, Leiharbeitsstellen und Stellenstreichungen zu
mobilisieren, ruft die IG Metall lediglich zu einem „fairen“ Wandel der
Wirtschaft auf und appelliert an die „Sozialverträglichkeit“ von
Massenentlassungen, wie in den letzten Wochen in der Autoindustrie. Das ist nur
ein Vorgeschmack auf die schändliche Rolle, die solche Gewerkschaftsbürokraten
in Krisenzeiten spielen werden.
Es ist die
Aufgabe einer organisierten Linken, systematisch und langfristig in den
Betrieben, in der millionenstarken Basis dieser Gewerkschaften, zu arbeiten,
für den Erhalt aller Arbeitsplätze zu kämpfen und der Sozialpartnerschaft der
Sozialdemokraten Beispiele für gut organisierte und kämpferische Streiks von
unten und ein klassenkämpferisches Programm gegenüber zu stellen. Die
organisierte Arbeiterklasse ist der Schlüssel im Kampf gegen den Kapitalismus.
Die
Arbeiterklasse ist weder tot noch verwirrt. Millionen Arbeiterinnen und
Arbeiter leben und arbeiten in Deutschland, der größten Wirtschaftsmacht
Europas. Die deutschen Gewerkschaften des DGB zählen zu den größten in Europa
und weltweit und könnten mit einem radikalen Programm eine enorme Kampfkraft
entfalten. Die kommenden Krisen – sei es auf wirtschaftlicher oder politischer
Ebene – werden uns direkt betreffen. Was wir brauchen, ist eine proletarische
Arbeiterpartei mit marxistischem Programm, die für Verbesserungen im Hier und
Jetzt kämpft und diesen Kampf mit einem grundsätzlichen verbindet: dem für eine
neue, sozialistische Gesellschaft.
(1)
https://offensiv-marxisten.blogspot.com/p/umweltschutz-sozial-gerecht-nein.html